Lukas Erler

Lukas Erler, finden Sie Rache politisch korrekt?

06.2011 Seit letztem Jahr neu im Krimi-Geschäft ist Lukas Erler. Mit Ölspur und Mörderische Fracht liegen schon die beiden ersten Teile seiner Trilogie um den Wissenschaftler Thomas Nyström vor. Jürgen Priester sprach mit ihm über seine Berufung, die Schwierigkeiten als Debütant und natürlich über seine Trilogie.

Krimi-Couch: Lukas Erler, Ihr Debütroman Ölspur hat Ihnen gleich eine Nominierung zum Friedrich-Glauser-Preis 2011 in der Kategorie »Bestes Debüt« eingebracht, trotzdem werden Sie den meisten Lesern ein Unbekannter sein. Wer ist Lukas Erler? Was macht er, wenn er gerade nicht arbeitet oder schreibt?

Lukas Erler: Lukas Erler ist ein Autor, der Krimis mit explizit politischem Hintergrund schreibt und hauptberuflich als Logopäde tätig ist. Er ist verheiratet, hat schulpflichtige Kinder, macht etwas Musik für den Hausgebrauch und plagt sich damit, dass der Tag nur 24 Stunden hat. An der Bekanntheit ließe sich möglicherweise etwas nachbessern.

Ölspur wurde im letzten Jahr wegen der Aktualität und Parallelität zu den Ereignissen im Golf von Mexiko ausgiebig im Rundfunk abgehandelt und ungefähr zeitgleich im »Handelsblatt«, der »NZZ« und in der »Jungen Welt« besprochen, womit das politische Spektrum von konservativ bis links prima abgedeckt war. Die ökologische Pointierung mag allerdings dazu geführt haben, dass die Bücher von der reinen Krimi-Szene nicht so wahrgenommen wurden.

Krimi-Couch: Ist es wirklich eine Frage der Wahrnehmung? Spätestens seit des Supergaus in Fukushima ist doch das Interesse an ökologischen Themen immens gestiegen. Kann es nicht sein, dass der stolze Preis von 17-19 € pro Band den einen oder anderen potenziellen Leser vom Kauf abhält?

Lukas Erler: Stimmt, das Interesse an ökologischen Themen ist mit Sicherheit noch einmal gestiegen. Ob das jetzt allerdings auf die Kaufentscheidung eines Krimi-Lesers durchschlägt, der ja in erster Linie spannend unterhalten werden will, wäre die Frage.

Der Preis ist immer ein Argument und gebundene Bücher sind leider teuer. Bei mir war es so, dass die Taschenbuchverlage die Romane zunächst nicht wollten und sie daraufhin im Hardcover erschienen sind. Dann auf einmal war das Interesse da, und so wird es erfreulicherweise die Trilogie ab 2012 auch als TB geben.

»Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber der typische Ermittler-Krimi und das Serienkiller-Einerlei, ebenso wie die privaten Probleme schwedischer Kommissare haben mir einfach keinen Spaß mehr gemacht.«

Krimi-Couch: »Spätberufene« nenne ich Autoren, die während oder nach Ausübung ihres »normalen« Berufes erst spät zur Feder greifen.
Was hat Sie motiviert, dies zu tun?
Oder gab es schon früher Tendenzen in diese Richtung?

Lukas Erler: »Spätberufene« ist ein schöner Ausdruck, beinahe poetisch. In Wahrheit war es natürlich prosaischer.

Ich schreibe tatsächlich erst seit etwa fünf Jahren, aber ich bin seit mehr als 45 Jahren ein enthusiastischer Krimileser, der in den letzten Jahren immer unzufriedener wurde. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber der typische Ermittler-Krimi und das Serienkiller-Einerlei, ebenso wie die privaten Probleme schwedischer Kommissare haben mir einfach keinen Spaß mehr gemacht. Und so kam mit einer gewissen Folgerichtigkeit die Frage auf, ob ich in der Lage wäre, etwas zu schreiben, dass ich selbst gerne lesen würde. Also habe ich versucht, diese Frage zu beantworten.

Krimi-Couch: In Ihren ersten beiden Romanen (Ölspur und Mörderische Fracht) geht es thematisch um Handelsschifffahrt und den damit verbundenen, potenziellen Gefahren.
Was bringt ein »Landratte« aus Westfalen zu diesem Thema?

Lukas ErlerÖlspur und Mörderische Fracht sind die ersten beiden Bände einer Trilogie, die sich mit Tankern, Ölgeschäft, PR – Industrie und Umweltzerstörung beschäftigt.

Konkreter Anlass, sich mit diesem Thema zu befassen, war der Untergang des völlig maroden Öltankers »Prestige« und die Verseuchung der nordspanischen Küste im Jahre 2002. Ich hatte damals zunächst die Idee, ein Sachbuch über die sogenannten »Klassifizierungsgesellschaften« zu schreiben. Das sind Firmen, die den technischen Zustand und die Hochseetüchtigkeit von großen Schiffen prüfen und entsprechende Zertifikate ausstellen. Mir war aufgefallen, dass alle havarierten Schrottkähne solche Zertifikate hatten. Je mehr ich zu dem Thema recherchierte, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass das geplante Buch der Krimi werden würde, den ich gerne schreiben wollte.

Krimi-Couch: In Ölspur geht es um marode Handelsschiffe. In Mörderische Fracht um einen Anschlag tschetschenischer Terroristen. Ist letzteres nicht ein bisschen weit hergeholt?

Lukas Erler: Nein, durchaus nicht. Die Gefahr des maritimen Terrorismus wird von den Experten sehr ernst genommen, und die Tschetschenen bomben weiter, ob im Kaukasus oder in der Moskauer U-Bahn.
Russland verdankt seine neu erwachte Stärke dem Gas und Ölgeschäft und die Anzahl russischer Tanker auf den Meeren hat sich in den letzten 10 Jahren etwa verfünffacht. Warum sollte es für Terroristen irgendwie abwegig sein, Russland auf See anzugreifen? Fiktiv an der Romanhandlung ist lediglich, dass ich Tschetschenen auf dem Meer agieren lasse. Das war bisher nicht deren Terrain.
Aber, was heißt schon weit hergeholt? Ich meine, wenn ich diesen Gedanken hinkriege …

»Es ist einfach so, dass die meisten Dinge, die ich jeden Tag in der Zeitung lese, mich immer noch kolossal ärgern. Die Altersmilde will sich partout nicht einstellen.«

Krimi-Couch: Bei meiner Lektüre wurde ich unwillkürlich an Ihren Namensvetter Rainer Erler erinnert, dessen Verfilmungen zu brisanten Themen in den 1970/80er Jahren für Aufsehen sorgten.
Auch Sie verarbeiten realpolitische Themen in einem fiktiven Plot.
Das setzt doch eine persönliche Betroffenheit voraus.
Stimmen Sie mir da zu?

Lukas Erler: Im Prinzip schon, nur, dass ich »Betroffenheit« nicht so mag, weder als Begriff noch als Gemütszustand. Mit Empörung und bisweilen Wut kann ich schon mehr anfangen. Ich weiß nicht, wie das bei Rainer Erler war. Es ist einfach so, dass die meisten Dinge, die ich jeden Tag in der Zeitung lese, mich immer noch kolossal ärgern. Die Altersmilde will sich partout nicht einstellen.

Krimi-Couch: Heißt das jetzt, Lukas Erler ist auf z.B. Anti-AKW-Demos anzutreffen?

Lukas Erler: Nun, im Moment hege ich die zarte Hoffnung, dass das Thema AKW sich demnächst erledigt, aber die Antwort ist »ja«.

Krimi-Couch: Ihr Held Thomas Nyström ist Neuropsychologe, ein Beruf aus Ihrem realen Umfeld, außerdem erzählt Nyström aus der Ich-Perspektive. Das lässt auf eine enge Verbindung zwischen Autor und Figur schließen, oder?

Lukas Erler: Nur bedingt. Thomas Nyström brauchte natürlich einen Beruf, und ich habe ihm einen gegeben, den ich gut kenne und in dessen Spezialitäten ich mich nicht noch einarbeiten musste. Auch die Ich-Perspektive ist eine rein erzähltechnische Entscheidung gewesen.    

Aber natürlich mag ich Nyström. Vor allem, weil er kein Held ist und in beiden Romanen ja auch reichlich einstecken muss. Mich interessieren Menschen, die unversehens in gefährliche Machenschaften verstrickt werden, in verzweifelten Situationen über sich hinauswachsen und dabei an sich selbst auch die eine oder andere dunkle Seite entdecken. So entpuppt sich zum Beispiel der defensive, eher zögerliche Wissenschaftler Nyström als ein ziemlich rachsüchtiger Typ. Er ist durchaus ambivalent. Im Prinzip moralisch integer, aber keineswegs so nett, wie man am Anfang glauben möchte.

»Sie ist impulsiv, ungeduldig, anstrengend und rotzfrech. Ich könnte sie auch nicht dauernd um mich haben.«

Krimi-Couch: Weder Held noch Melancholiker, obwohl Halbschwede. Thomas Nyström ist ein wohltuend normaler Mensch. Das trifft auch auf die Personen in seinem Umfeld zu. Anna Jonas, die Schwester von Nyströms ermordeter Freundin, begleitet ihn durch seine Abenteuer.

Lukas Erler: An eine solche Beziehung war von Anfang an nicht gedacht. Die beiden sind grundverschieden, was natürlich auch den Reiz ausmacht und die Handlung vorantreibt.
Thomas Nyström ist – wie Sie schon sagten – sehr »normal«, zurückhaltend und bisweilen phlegmatisch, ein Mensch, der am besten »funktioniert«, wenn man ihn ein wenig tritt. Diesen Job übernimmt mit Vergnügen  Anna Jonas. Sie ist impulsiv, ungeduldig, anstrengend und rotzfrech. Ich könnte sie auch nicht dauernd um mich haben.

»Den tief verwurzelten archaischen Wunsch nach Vergeltung kann, glaube ich, jeder Mensch bei sich entdecken, wenn er ein wenig hinschaut.«

Krimi-Couch: Thomas Nyström ist ein Sympathieträger, mit dem man sich leicht identifizieren kann. Aber Sie haben ja selbst erwähnt, dass er auch ein rachsüchtiger Mensch ist, dessen Rache Selbstjustiz nicht ausschließt.
Finden Sie Rache politisch korrekt?

Lukas Erler: Nein! Weder politisch, noch philosophisch, ethisch oder sonst wie. Aber sie ist ungemein menschlich, oder? So wie Eifersucht.

Den tief verwurzelten archaischen Wunsch nach Vergeltung kann, glaube ich, jeder Mensch bei sich entdecken, wenn er ein wenig hinschaut. Und nicht erst seit dem »Grafen von Monte Christo« wissen Leser, die kühle Zelebrierung einer Rache zu schätzen. Diese wird allerdings in meinen Büchern auch nicht verherrlicht, – im Gegenteil. Nyström muss damit fertig werden, dass seine Rachsucht einen unschuldigen Menschen das Leben kostet und auch sonst üble Folgen zeitigt.

Krimi-Couch: »Kein Wort zu viel und keins zu wenig« so ist meine Rezension zu Mörderische Fracht überschrieben. Sie pflegen einen sehr prägnanten Stil. Ist das Ihre natürliche Ausdrucksweise oder ganz bewusst für diese Trilogie eingesetzt?

Lukas Erler: Der in den bisherigen Romanen gepflegte Stil entspricht, glaube ich, im Großen und Ganzen meiner normalen Ausdrucksweise. Er wurde jedenfalls nicht bewusst gewählt. Ich kann mir aber gut vorstellen, bei einem neuen Buchprojekt stilistisch zu experimentieren und etwas ganz neues auszuprobieren.

Krimi-Couch: Konzentrierte Spannung zeichnet die bisher erschienenen Romane aus. Wie lange müssen wir auf »Bilanz des Todes«, den Abschluss der Trilogie warten? 
Können Sie uns einen kleinen Ausblick auf das Kommende geben?

Lukas Erler: »Bilanz des Todes« erscheint im Frühherbst 2012.
Der Roman spielt hauptsächlich in Brüssel, und ich hatte viel Spaß bei den Recherchen. Er ist der definitiv letzte Teil der Nyström / Jonas – Reihe, in dem hoffentlich alle Fragen geklärt und alle Rechnungen beglichen werden.

Krimi-Couch: Arbeiten Sie schon an einem neuen Projekt?

Lukas Erler: Ich sammle Material für einen historischen Krimi, dessen Handlung in Paris, etwa 20 Jahre vor der Französischen Revolution angesiedelt ist.

Krimi-Couch: Lukas Erler, wir danken Ihnen, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben und wünschen Ihnen auch für Ihre zukünftigen Romane viel Erfolg.

Das Interview führte Jürgen Priester.

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