Anette Hinrichs

06.2020 Mit „Die Spur des Mörders“ erscheint aktuell der zweite Band der „NORDLICHT“-Reihe der gebürtigen Hamburgerin Anette Hinrichs. Dabei steht ein dunkles Kapitel der deutsch-dänischen Vergangenheit im Fokus des ungleichen Ermittlerduos Vibeke Boisen und Rasmus Nyborg. Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit der Autorin unter anderem über die Hintergründe des Romans und ihre Liebe zur alten Heimat.

Die Corona-Krise hat die gesamte Buchbranche und auch mich als Autorin hart getroffen.

Krimi-Couch:
Frau Hinrichs, „Die Spur des Mörders“ ist der zweite Band Ihrer „Nordlicht“-Reihe. Worum geht es dabei?

Anette Hinrichs:
Es geht um ein dunkles Kapitel deutsch-dänischer Geschichte, um alte Wunden, um das Zusammenleben im Grenzgebiet, um Flüchtlinge und Vertriebene - damals wie heute - und um die Suche nach der eigenen Identität.

Krimi-Couch:
Seit 2014 gehen deutsche und dänische Polizisten grenzüberschreitend in Norddeutschland auf Streife. Sie rücken diese Zusammenarbeit der beiden Länder ins Zentrum Ihrer Reihe. Was hat Sie an dieser Idee so gereizt?

Anette Hinrichs:
Mich reizt das Zusammenspiel der unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen. In NORDLICHT muss ein zusammengewürfeltes Team aus deutschen und dänischen Polizisten, Menschen mit völlig verschiedenen Lebensweisen, Hand in Hand zusammenarbeiten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Darüber hinaus bietet das Grenzgebiet mit seinen Minderheiten und die gemeinsame historische Vergangenheit beider Länder zahlreiche Geschichten an.

Krimi-Couch:
Mit Vibeke Boisen und ihrem Kollegen Rasmus Nyborg gibt es zwei grundverschiedene Hauptfiguren. Mit welcher sympathisieren Sie persönlich mehr?

Anette Hinrichs:
Natürlich liegen mir beide Charaktere sehr am Herzen, aber ich muss gestehen, ich bin ein wenig verliebt in Rasmus. Er hat in der Vergangenheit viel einstecken müssen, trägt düstere Gedanken in sich und hat eine Schutzmauer um sich herum aufgebaut, damit niemand sieht, wie verletzlich er ist. Das berührt mich sehr.

Krimi-Couch:
Sie greifen in Ihrem Roman dramatische Ereignisse aus dem dänischen Flüchtlingslager Oksbøl am Ende des Zweiten Weltkrieges auf, die eng mit der deutschen Besatzungszeit verwoben sind. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen und warum ist es Ihnen so wichtig?

Anette Hinrichs:
Ich bin während meiner Recherche zur deutsch-dänischen Geschichte auf einen Artikel der dänischen Ärztin und Historikerin Kirsten Lylloff gestoßen, die in ihrer Dissertation 2005 den Leidensweg von 10.000 deutschen Flüchtlingskindern dokumentiert hat. Lylloff berichtete darin, dass der dänische Ärzteverband im März 1945 beschlossen hatte, den deutschen Flüchtlingen keinerlei medizinische Hilfe zukommen zu lassen, infolge dessen allein 1945 rund 7000 Flüchtlingskinder unter fünf Jahren an Unterernährung und Infektionskrankheiten in dänischen Lagern starben. Ein Artikel, der mich fassungslos und tief betroffen zurückließ. Einige Monate später stand ich vor den Gräbern dieser Kinder und es hat mich so aufgewühlt, dass ich beschloss, ihre Geschichte zu erzählen.

Krimi-Couch:
Besteht für Sie als Autorin bei einem gut recherchierten historischen Thema nicht auch die Gefahr, dass man dieses zu sehr in den Fokus des Romans rückt und dieser zum „Sachbuch“ wird?

Anette Hinrichs:
Das ist tatsächlich eine Herausforderung und eine Gratwanderung, um nicht nur dem historischen Thema gerecht zu werden, sondern dem Krimileser auch eine spannende Handlung zu bieten. In meinen Augen kommt es dabei vor allem auf die richtige Dosierung an. So ist in „Die Spur des Mörders“ tatsächlich nur ein Bruchstück dessen, was ich über Monate hinweg über die Besatzungszeit und die Flüchtlingslager in Dänemark recherchiert habe, ins Buch geflossen. Die Quintessenz sozusagen.

Krimi-Couch:
Sie wohnen jetzt in Bayern, Ihre Krimis spielen aber in Norddeutschland. Sind die Recherchen vor Ort für Sie als gebürtige Hamburgerin eine willkommene Rückkehr in die alte Heimat?

Anette Hinrichs:
Oh ja! Meine Sehnsucht nach dem Norden ist nach wie vor unendlich groß und ich bin sehr glücklich darüber, dass ich für die Recherchen und zu Lesungen häufig dorthin reisen kann.

Krimi-Couch:
Die Corona-Krise hat auch Sie als Autorin sicherlich getroffen. Lesungen und Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Wie geht man als Schriftstellerin damit um? Konnten Sie die Zeit produktiv nutzen oder fällt es schwer, seinen gewohnten Schreibrhythmus zu finden?

Anette Hinrichs:
Ja, die Corona-Krise hat die gesamte Buchbranche und auch mich als Autorin hart getroffen. Mein Buch ist erschienen, während die Buchläden geschlossen hatten. Anfangs war ich deshalb sehr besorgt, auch weil es hieß, dass diese Titel ins Nichts fallen. Doch ich habe eine großartige Welle an Solidarität und Zuspruch erfahren. Von Buchhändler*Innen, Leser*Innen, aber auch von zahlreichen Kollegen*Innen, meinem Verlag und meiner Agentin. Alle gehen in dieser Krise Hand in Hand. Und mein NORDLICHT wird gelesen. Dafür bin ich sehr dankbar. Natürlich habe ich diese Zeit auch produktiv genutzt. Nicht nur weil ich Verträge habe und der nächste Abgabetermin näher rückt, sondern weil mir das Schreiben tatsächlich dabei hilft, meine Sorgen und Ängste auszublenden. Nicht im gewohnten Schreibrhythmus, denn mit einem Schulkind Zuhause verläuft auch mein Alltag anders als gewohnt, aber zumindest jeden Tag für ein paar Stunden.

Krimi-Couch:
Bekannt geworden sind Sie durch die Reihe um die Hamburger Kommissarin Malin Brodersen. Können Sie sich vorstellen, diese Serie irgendwann fortzusetzen oder konzentrieren Sie sich nun allein auf Ihre neue NORDLICHT-Reihe?

Anette Hinrichs:
Ich konzentriere mich vorerst ganz auf meine NORDLICHT-Reihe. Allerdings hänge ich noch sehr an Malin Brodersen. Ihre Geschichte ist auch noch längst nicht auserzählt, von daher könnte ich mir also gut vorstellen, irgendwann einen weiteren Band dieser Serie zu schreiben.

Krimi-Couch:
Im Frühjahr 2021 erscheint bereits der dritte Band um Vibeke Boisen und Rasmus Nyborg. Was können Sie darüber schon verraten?

Anette Hinrichs:
Im dritten Band wird an der jütländischen Küste unter einem heruntergebrannten Sankt-Hans-Feuer die Leiche einer Gastschülerin gefunden. Es geht um eingeschworene Gemeinschaften, dunkle Abgründe hinter gutbürgerlichen Fassaden, alte Ziegeleien und unterschiedliche Kulturen.

Das Interview führte Thomas Gisbertz im Juni 2020.
Foto: © Anette Göttlicher

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