TV-Serie:
Twin Peaks

Krimi-Couch Spezial von Jochen König

Teil 2: Eine Ankündigung wird wahr

»I’ll see you again in 25 years«, sagte Laura Palmer in der dritten Folge und zum Finale der zweiten Staffel zu FBI-Agent Dale Cooper, als sie in der Black Lodge aufeinandertreffen. Ganz hat es nicht hingehauen. Ein Zwist zwischen der Produktionsfirma Showtime und Regisseur und Autor David Lynch bremste das Vorhaben zunächst aus. Showtime wollten ursprünglich lediglich acht Folgen der Neuauflage von Twin Peaks zu überschaubaren Kosten bewilligen, David Lynch sah mehr Potenzial in der Rückkehr zu jenem Ort, in dem die Grenzen der Wahrnehmung fließend sind.

Man einigte sich schließlich auf achtzehn Folgen. Co-Autor blieb Mark Frost, doch im Gegensatz zur Inszenierungsvielfalt der ersten beiden Staffeln, nahm David Lynch jetzt alleine auf dem Regiestuhl Platz. Ein konsequenter Schritt, waren doch die wechselnden Regisseure der frühen Jahre – bei aller Begabung – selten mehr als verlängerte Arme Lynchs.

Wo wir gerade beim Stichwort »Arm« sind, bietet sich ein kleiner Exkurs an. »The Evolution Of The Arm«: Der »little Man from Another Place« Michael Anderson, der die »Black Lodge« (dt. die Schwarze Hüte) mit seinem roten Anzug, den abgehackten Tanzschritten und der ganz eigenen Sprache (rückwärts eingesprochen, dann vorwärts abgespielt) prägte wie die Venus von Milo, fehlt in der Neuauflage. Ein elektrischer Baum mit einem sprechenden Fleischballen in der Mitte, der auch aus »Eraserhead« stammen könnte, hat ihn ersetzt. Die logische Entwicklung des Arms (den Mike sich selbst amputierte, weil er Bobs Unwesen darin vermutete) könnte man meinen, wie sie bereits in »Fire Walk With Me« angekündigt wurde. Doch ist es in der außerfilmischen Realität wesentlich profaner. »We’re Only in It for the Money«, verkündete Frank Zappa bereits 1968 per Albumcover. Da hat sich nichts dran geändert. David Lynch und Michael Anderson hatten wohl unterschiedliche Ansichten über das »how much«. Bedauerlich.

Der Produktionsprozess erzeugte, wie kaum zu erwarten, weitreichendes mediales Echo. Und als am 21.05.2017 die Rückkehr nach Twin Peaks eingeläutet wurde, geschah, worauf man eigentlich hätte gefasst sein müssen: David Lynch enttäuschte die Erwartungen nicht. Er brach sie. Ohne dabei sein künstlerisches Universum zu verlassen.

Ein wunderbarer und seltsamer Ort

Der Beginn wirkt vertraut: Ein Ausflug in die Black Lodge zu Agent Cooper und Laura Palmer führt zu einem Flashback-Trip an die High School von Twin Peaks, vorbei an Nebelschwaden, die aus dem Wald aufsteigen und dem angrenzenden Fluss samt Wasserfall. Punktgenau landen wir in einer Schwarzweiß-Sequenz mit dem »Riesen« und dem gealterten Dale Cooper, die sich Geräusche über ein Grammophon anhören. »Es ist jetzt in unserem Haus«, raunt der große Mann, »Richard und Linda.« Man denkt unweigerlich an Richard und Linda Thompson, während Cooper antwortet: »Ich verstehe.« Womit gleich der schräge Humor, mit bitterernster Miene vorgetragen, seinen Platz in Twin Peaks gleich wieder einnimmt. Denn das mit dem »Verstehen« ist so eine Sache. Agent Cooper dürfte vorerst ziemlich allein damit auf weiter Flur sein.

Nach einem Besuch bei Dr. Jacoby, der Schaufeln vergoldet – wird sich später tatsächlich erklären – gibt es einen Break. Twin Peaks wird verlassen, und weiter geht es im nächtlichen New York. Scharfe, braun getönte Digitalbilder dominieren. Ein junger Mann starrt auf eine große, gläserne Box. Darin ein Bullauge, hinter dem die Silhouette New Yorks zu erkennen ist. Worauf er wartet, weiß er nicht. Vor der Eingangstür sitzt ein Wachmann. Als dieser auf unerklärliche Weise verschwindet, gesellt sich seine Freundin zu dem Mann auf die Couch. Die Einrichtung vor der Box sieht aus wie aus »Rabbits« transformiert. Die beiden haben Sex miteinander und etwas bewegt sich hinterm Glas, kommt näher, verlässt zitternd den gläsernen Käfig und zerfleischt das Liebespaar. Tödliche Grüße aus der Black Lodge.

»Ronnie Rocket«, David Lynchs Stein des Sisyphos, jenes seit Jahrzehnten geplantes und bislang nicht umgesetztes Filmprojekt um einen elektrischen Zwerg, wirft seine langen Schatten auf Twin Peaks: »In dem Film herrscht eine Art schlechter oder böser Elektrizität«, sagte Lynch in einem Interview.

Radioaktivität für dich und mich im All entsteht

Elektrizität, beinahe als Wesenheit gezeichnet, prägt die Rückkehr nach Twin Peaks. Kulminierend in der achten Folge, deren zweite Hälfte zum Radikalsten gehören dürfte, was sich ein Filmemacher im Rahmen einer TV-Serie je erlaubt hat. Eine gut halbstündige, surreale Sequenz, in Schwarzweiß gefilmt, zu der vor Krzysztof Pendereckis »Threnody for the Victims of Hiroshima« der Trinity-Test im Jahre 1945 bebildert wird. Dieser erste durchgeführte Kernwaffentest nimmt direkten Einfluss auf die Geschichte Twin Peaks». Hier werden (vermutlich) die rätselhaften Woodsmen ins Leben gerufen, jene bedrohlichen Wesen, die einer ölverschmierten Kreuzung aus Minenarbeiter und Holzfäller gleichkommen, welche geisterhaft und nur gelegentlich materiell die Geschichte(n) beeinflussen. Sie sind die personifizierte «böse Elektrizität», Wächter in jenem «Convenience Store», der als eine Passage zur Black Lodge dient. Die Woodsmen sorgen für Leid und Verwüstung und beschützen Mr. C, Dale Coopers finsteren Doppelgänger, der über fünfundzwanzig Jahre seinen Platz in der Welt eingenommen hat, um dort sein Unwesen im Geiste Bobs zu treiben. Meist stumm, wird der mit elektrischen Störgeräuschen unterlegte Bruch des Schweigens mittels der schlichten, stetig wiederholten Frage: «Gotta Light?" zum blanken Horror.

So changiert »Twin Peaks – The Return«, David Lynch lehnt die Einordnung als dritte Staffel ab, zwischen Zeit und Räumen, bietet wieder ausgefeilte Soundkonzepte und atemberaubende Bilder. Die titelgebende Stadt spielt nur peripher eine Rolle. Neben New York sind Las Vegas und Buckhorn, South Dakota (das Schattenbild Twin Peaks», von dem aus der Cooper Doppelgänger operiert) weitere Handlungsorte. In Las Vegas landet der «gute" Dale Cooper nach seinem Entkommen aus der Black Lodge, das auch durch die Box in New York führte. Er manifestiert sich in Gestalt des Versicherungsvertreters Dougie Jones. Eine Hülle, unbewusst auf die Suche nach dem Special Agent Cooper in sich selbst, ein argloser Katalysator, der die Menschen um sich herum stark und positiv beeinflusst. Kyle MacLachlan spielt den tumben Toren mit der Vorliebe für Polizeimarken, Kaffee und Kuchen mit schlafwandlerischer Liebenswürdigkeit wie er dem unheilvollen Mr. C. die Aura permanenter Gefährlichkeit verleiht. Großartige schauspielerische Leistung. Sowie Dreh- und Angelpunkt, wenn denn überhaupt so etwas existiert.

Je weiter die Serie voranschreitet, umso mehr drängt sich die Frage auf: »Wann wird der gute Dale Cooper seinen Kokon Dougie verlassen und endlich wieder der brillante FBI-Agent, der er vor einem Vierteljahrhundert war?« Der scharfsinnige Dale Bartholomew Cooper, zwar am Rande der Karikatur angesiedelt, aber nie die Schwelle zur überkandidelten Parodie übertretend. Das geschah erst später, als sich Saturday Night Life gekonnt der Serie und ihrer Mechanismen annahm.

Coopers ohnmächtiger Tanz in Dougie Jones’ Schatten wird sich hinziehen, bis es kurz vorm Finale knallt. Erst Schreie, dann Schweigen. Verharren. Wie so oft während der gesamten Laufzeit. Wie sang der Van Der Graaf Generator (der Bezug zum entsprechenden Van-de-Graaff-Bandgenerator ist zufällig, aber passend. Alles verbindende Elektrizität halt): »Breathing, eating, defecating, screwing, drinking, spewing, sleeping, sinking ever down and down, and ultimately passing away time, which no longer has any meaning« Das Finale wartet. Später.

(»Atmen, essen, ausscheiden, ficken, trinken, kotzen, schlafen, immer tiefer versinken, während die Zeit unabänderlich verstreicht, was aber keine Bedeutung mehr hat«).

Und nicht vergessen: »We’re not gonna talk about Judy!«

Die Revolution pflanzt sich fort …

Am Ende wird doch über Judy gesprochen. Wie auch Richard und Linda nicht vergessen werden. Das ist das Hinterhältige an »Twin Peaks«, selbst flüchtige Bemerkungen und Begegnungen können von entscheidender Bedeutung sein. Müssen es aber nicht. Hier ist die Serie sehr realitätsnah: Im Alltag verstreichen viele Momente kurzen Aufeinandertreffens ohne Nachwirkungen, doch manchmal sind minimale Berührungen, sich zufällig kreuzende Blicke, ein paar Worte im Vorbeigehen von prägender Bedeutung. Dies zu erkennen und zu unterscheiden ist eine Kunst. Die oft erst beherrscht wird, wenn es bereits zu spät ist.

Ein Menschenauflauf

Es gab Vorwürfe, dass »Twin Peaks – The Return« einem Schaulaufen mehr oder minder bekannter Akteure und Aktricen gleicht. Mehr als 200 Personen treten einmalig, sporadisch oder länger auf. Dass ein Gutteil der ursprünglichen Besetzung mehr oder minder große Parts übernimmt, zeugt von großer Verbundenheit. Die größte Wandlung dürfte der ehemalige Möchtegerngangster Bobby Briggs durchgemacht haben. Dass er mit seiner Ex-Geliebten und -Gattin Shelly eine gemeinsame Tochter hat, dürfte nicht verwundern. Dass er mittlerweile geläutert als Deputy im Sheriffs-Department arbeitet, schon eher.

Überraschend auch das Verhalten Audrey Hornes, die erst spät auftaucht, anscheinend mit dem höchst unattraktiv gezeichneten Charlie zusammenlebt, den sie in ständigen Streitgesprächen dazu bewegen will, auf die Suche nach einem gewissen »Billy« zu gehen. Von der vorwitzigen, wagemutigen Tochter Benjamin Hornes ist nur ein Schatten ihrer selbst übrig. Und ein Nachkomme, der zu den übelsten Figuren der aktuellen Staffel gehört. Ein skrupelloser Kleinkrimineller, der ohne Reue ein Kind überfährt und seine Großmutter brutal ausraubt. Charaktere, die zu Spekulationen einladen.

Spoilerwarnung! Eine im Netz weitverbreitete Mutmaßung: Audrey Horne liegt seit dem Sprengstoffanschlag am Ende der zweiten Staffel im Koma, und ihre Erlebnisse sind ein weiterer Traum, der durch die Nachtschattenwelt fliegt. Ihr Sohn wäre dann das Produkt einer komatösen Vergewaltigung. Erzeuger: Mr. C., wer sonst? Eines von vielen Rätseln und Geheimnissen, mit denen Twin Peaks weit über randvoll ist. Vor der Doppelfolge zum Abschluss zeichnet sich eine Auflösung ab.

Doch auch wenn Namen, autonome Ereignisse und neue Bewohner scheinbar wie losgelöst aus dem Dunkel auftauchen, um wieder darin zu verschwinden, herrscht kein Mangel an Zusammenhängen. Die natürlich, wie sollte es anders sein, von Zufall und Traumlogik massiv beeinflusst werden. Die Serie steckt voller Anspielungen auf den eigenen Kosmos, auf die grundlegende Serie natürlich, und fast verwunderlich, war die Rezeption doch (unverdientermaßen) etwas mau, ganz besonders auf den folgenden Film »Fire Walk With Me«. Ebenso lassen sich unter anderem Verweise auf den »Elefantenmenschen« finden, dessen Ästhetik des frühen Maschinenzeitalters häufig beschworen wird. David Lynchs Langfilmdebüt »Eraserhead« bekommt seine Reminiszenz während der Reise Dale Coopers durch die Zwischenwelt, die er durchqueren muss, um sein altes Ich wiederzuerlangen. Cooper begegnet einer engen Verwandten der geheimnisvollen Frau hinter der Heizung. Die Fahrten über nächtliche Straßen führen, wie sollte es anders sein, über den ein oder anderen »Lost Highway«. Weit später spielt auch Lynchs favorisierter Billy Wilder-Film »Sunset Boulevard« wieder eine funkensprühende Rolle.

Mehr als die Summe seiner Teile

So setzt sich die Rückkehr nach Twin Peaks, die nur partiell eine ist, zusammen aus vermeintlich wahllos zusammengetragenen Partikeln, Arrangements des Bizarren und Entwicklungen, die gleichsam aus dem Nichts auftauchen und wieder dorthin zu verschwinden scheinen. Neben dem Stammcast füllen zahlreiche neue Figuren das eh nicht kleinformatige Ensemble. Wie Naomi Watts als Dougie Jones erst missgestimmte, dann freudig erregte Gattin. Veteran Robert Forster spielt Sheriff Frank Truman, den Bruder Harrys (Michael Ontkean hat dem Filmbusiness den Rücken gekehrt), ein Killerpärchen, dargestellt von Jennifer Jason Leigh und Tim Roth, ist im Auftrag Mr. Cs unterwegs und wird lernen, das Falschparken kein Kavaliersdelikt ist.

Matthew »Shaggy« Lillard gibt einen Schuldirektor, dessen Fingerabdrücke an einem Tatort zu finden sind, den er nie betreten hat. Donna Haywards, mittlerweile erwachsene, kleine Schwester Gersten, darf mit ihrem Freund Steven, der gleichzeitig mit Shellys Tochter verbandelt ist, Paranoia pur erleben. Tom Sizemore, der völlig gegen seinen Typus besetzt ist, lernt als schmieriger Versicherungsvertreter zu bereuen, Jim Belushi und Robert Knepper spielen das ziemlich durchgeknallte Mitchum-Brüderpaar mit den »goldenen Herzen«. Casino-Besitzer, die nicht von ungefähr an Ben und Jerry Horne erinnern. Sie dürfen den Cherry Pie direkt aus einem Traum ins Rampenlicht hieven. In einem Traum erscheint auch Monica Bellucci FBI-Deputy Director Gordon Cole. Eine kleine Hommage an die Nouvelle Vague vielleicht oder ein Geschenk, das sich der Regisseur selbst macht. Wie damals die Kussszene mit Mädchen Amick.

»Twin Peaks – The Return« ist auch eine Show des Abschiednehmens. Miguel Ferrer (Albert Rosenfield), Warren Frost (Dr. Hayward) und David Bowie (Philip Jeffries) starben während der Drehzeit, ganz zu Beginn erlag bereits Catherine Coulson, die »Log Lady« Margaret Lanterman, einem Krebsleiden. Sie taucht noch, bereits todkrank, in einigen anrührenden Sequenzen auf und wird von David Lynch und seiner Besetzung auf herzerwärmend traurige Weise verabschiedet. Auch dafür ist die Serie hoch zu schätzen.

Dies ist nur eine kleine Auswahl der Menschen, die sich zwischen Twin Peaks, New York, Las Vegas, Buckhorn und der Black Lodge ein Stelldichein geben. Dazu gehört überraschenderweise auch Diane, Agent Coopers Adressatin hinter seinem Diktiergerät. Sie bekommt ein Gesicht, das Laura Dern gehört. Ein weiterer Kreis schließt sich, zwischen »Blue Velvet«, »Inland Empire« und »Twin Peaks«. Vom Schulmädchen aus »Blue Velvet« ist vorerst nur das Blond übriggeblieben. Und das ist diesmal eine Perücke.

Was die musikalische Untermalung und Kommentierung angeht, wurde der Musikeinsatz gegenüber der Originalserie weit zurückgefahren. Dafür endet eine Vielzahl von Folgen mit Auftritten von Musikern, die in den Twin Peaks-Kontext und ins Roadhouse passen. Hier gibt MTV zurück, was MTV Twin Peaks verdankt. Höhepunkt, zumindest was das Namedropping angeht: Der Solovortrag des Liedermachers Edward Louis Severson. Besser bekannt unter seinem Künstlernamen Eddie Vedder.

Besonders haften bleiben einmalige Auftritte wie jener Michael Ceras, der als Wally, der Sohn der unverwüstlichen Rezeptionistin Lucy und ihres Mannes, Deputy Andy Brennan, im Marlon Brando-Outfit der Sheriffstation seine Aufwartung macht, um ein pathetisches Gedicht vorzutragen. Als wäre das noch nicht absurd genug, findet sich der ehedem von David Bowie gespielte, verschwundene Agent Phillip Jeffries in Gestalt einer retrofuturistischen Dampfmaschine im Convenience Store wieder. Surreales und Lynchs ganz eigenes Theater der Grausamkeit haben nach wie vor ihren Platz in Twin Peaks und Umgebung.

Andreas Kilb behauptete in seiner schwachbrüstigen »Fire Walk With Me«-Kritik in der Zeit bereits vor über fünfundzwanzig Jahren, dass die zweite »Twin Peaks Staffel« bestenfalls etwas für »poststrukturalistische Wirrköpfe« sei. Ähnliche Vorwürfe wurden auch bei der neuerlichen Ausgabe laut. »Man könnte meinen, der Regisseur wäre seinem Faible für Esoterik und tibetische Tulpas (spirituell erschaffene Doppelgänger) vollends erlegen«, schreibt beispielsweise die NZZ. Und möchte das komplette Werk gleich als »Installation« ins Museum stecken. Wogegen sein Macher vermutlich gar nichts einzuwenden hätte.

(Alb)traumwelten

»Twin Peaks« funktioniert allerdings auch ohne den esoterischen Überbau. David Lynch beschwört zwar Mythen, nimmt sie ernst und spielt mit ihnen, erzählt aber auch von Verlust, vom Versagen angesichts einer Technologie, die der Menschheit bereits in ihren Anfängen über den Kopf gewachsen ist. Der Trinity Test ist nur ein Sinnbild dessen, der Beginn einer Auslöschung. Dagegen die Kraft von Träumen zu setzen, scheint ein Akt der Verzweiflung zu sein. Doch löst gerade dies Aktionen aus, die tatsächlich eine Veränderung herbeiführen. Birgt ein gewisses Risiko, wenn der Traum zum Alptraum wird. Das beherrscht »Twin Peaks« perfekt. Kindheitsängste und -traumata in Bilder und Töne zu setzen. Wer verfolgt dich im Traum die Treppe hinauf und will dich töten? Es gibt kein Gesicht, nur eine vage Gestalt und eine Vermutung. Wenn man sich dieser am Ende stellt, sieht man möglicherweise eine Vision seiner selbst.

Doppelungen und Doppeldeutigkeiten sind zentraler Bestandteil von Twin Peaks. Wenn man scheinbar disparates nebeneinander legt, wird eine Einheit draus. Dies wird im Internet gekonnt vielfach durchexerziert. Am eindrucksvollsten vielleicht in jener Sequenz, die Dougie Jones Weg zur Steckdose, dem letzten Kriechgang Richtung Dale Coopers Bewusstwerdung, mit dem rätselhaften Verhalten der jungen Ruby während eines Auftritts der Veils im Roadhouse kombiniert und koordiniert.

Womit wir bei der Zeitfrage wären. Lynch wirft seine Zuschauer nicht nur orientierungslos in den Raum, sondern lässt auch die Zeitverhältnisse im Unklaren. Alles passiert. Gleichzeitig, wechselzeitig, vor- oder nacheinander. Es wird dem Publikum überlassen, die Zeitsplitter zusammenzusetzen. »Twin Peaks« verlangt viel. Mitdenken, Umdenken, Neudenken. Nicht alle Fragen werden beantwortet. Außer, man sucht sich mögliche Antworten selbst.

Konventionen sind zum Brechen da

Den Regeln herkömmlicher Spannungsdramaturgie wird selten entsprochen. Kaum eine Serie spielt derart mit Langsamkeit, die mitunter bis zum Stillstand beziehungsweise in Stillleben stagniert, wie »Twin Peaks«. So entstehen Bilder, keine Filme. Teilweise zum Bersten gefüllt, manchmal, in erschreckenden Momenten, erzählen sie aber auch von der Leere, die den Handelnden zu schaffen macht. Wenn man sich darauf einlässt, reizt die Serie zur wiederholten Betrachtung- und Bewertung. Wenn nicht, macht sich Langeweile breit. Denn stärker noch als in der zweiten Staffel fehlt ein dramaturgischer Mittelpunkt wie die Aufklärung des Mordes an Laura Palmer. Positiv ausgedrückt: David Lynch und seine Mitstreiter haben sich von den Fesseln linearen Erzählens nahezu komplett befreit. Zwar strebt die Staffel auf einen Klimax zu, der in Audrey Hornes Tanz, Dale Coopers Selbstfindung und dem Zusammentreffen der Hauptfiguren in der Sheriffstation von Twin Peaks gipfeln wird. Bis es soweit ist, werden allerdings derart viele Puzzleteilchen am Wegesrand verteilt, dass selbst an »Lost«, »The Wire«, »Breaking Bad«, »Game Of Thrones« oder »Preacher« geschulte Zuschauer um Fassung und Überblick ringen dürften.

Das Finale. Wird nicht verraten. Okay, ein bisschen: Die vorletzte Folge, in der Twin Peaks ganz im Mittelpunkt steht, ist eine Art in Erfüllung gegangener Traum. Markenzeichen, lieb gewonnenen Riten und ein Teil der bekannten Besetzung werden zum befriedigenden Showdown aufgereiht. Ein Happy End könnte im Bereich des Möglichen sein.

Doch es endet nicht. Natürlich endet es nicht. Crescendo vor Hochspannungsleitungen. Und es passiert, was passieren muss, zumindest in Twin Peaks: Alles zersplittert. Eine letzte Frage. Schwärze. Dann der Vorhang. Eine neuerliche, dringend nötige Rückkehr in den Ort, wo verdammt guter Kaffee und Kirschkuchen serviert wird. Ungewiss.

Was bleiben wird

Ob es wieder für einen innovativen Schub gut ist, sich etwas von der überbordenden Kreativität, über das Merchandising hinaus (u.a. Mark Frosts Buch, das erhellende Dossier »The Secret History of Twin Peaks« – Anmerkung dazu am Schluss ), zukünftig in Film und Literatur wiederfinden lässt, oder die Rückkehr nach Twin Peaks eine solitäre Randerscheinung bleiben wird, wird die Zeit zeigen. Im Moment steht Letzteres zu befürchten. Denn die Einschaltquoten, besonders in den USA, sind nicht berauschend, die Kritiken zwiegespalten.

Bleibt die Frage, ob bei der Berechnung nicht wieder der gleiche Fehler wie zu Beginn der Videoaufzeichnung gemacht wird. Denn zahlreiche potentielle Zuschauer nehmen die Staffel erst komplett auf, bevor sie sie en bloc anschauen. Zudem dürfte spannend werden, wie sich der Verkauf der Serie auf DVD oder BluRay gestalten wird.

Cover und Fotos: © Sky / Showtime
Alle drei Staffeln von Twin Peaks werden bei Sky ausgestrahlt.

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