Feuernacht

  • Fischer Taschenbuchverlag
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • Reykjavík: Veröld, 2008, Titel: 'Horfðu á mig ', Seiten: 388, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag, 2010, Seiten: 416, Übersetzt: Tina Flecken
Feuernacht
Feuernacht
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2010

Keine Überraschung: Yrsa erfüllt die Erwartungen ihrer Leser mit Leichtigkeit!

Ihr neuer Mandant ist Dora alles andere als sympathisch, denn der undurchsichtige Josteinn ist ein Sexualstraftäter, der bereits seit längerer Zeit in einer Anstalt für psychisch kranke Straftäter einsitzt. Der ebenfalls in dieser Anstalt einsitzende Jakob soll vor über anderthalb Jahren in einem Behindertenheim einen Brand ausgelöst haben, dem fünf Menschen zum Opfer fielen. Josteinn glaubt an Jakobs Unschuld und bittet Dora, den alten Fall wieder aufzunehmen. Da die Auftragslage nach der schweren Finanzkrise in Island alles andere als rosig ist, nimmt Dora den Fall an und entdeckt schon bald erste Widersprüchlichkeiten. Viel zu schnell wurde damals offenbar ein Schuldiger gesucht und mit dem hilflosen Jakob gefunden. Dieser überlebte als einziger Bewohner des Heims, doch war er überhaupt dazu fähig, den Brandanschlag organisatorisch zu bewerkstelligen? Jakob leidet an dem Downsyndrom, ist quasi ein erwachsenes Kind mit einem IQ von gerade einmal 48.

Schon bald erhält Dora mysteriöse SMS, ein Radiomoderator wird bedroht und bei einer Familie scheint es seit geraumer Zeit zu spuken. Schnell wird Dora klar, dass zwar alles dafür spricht, dass Jakob den Brand nicht gelegt haben kann, doch für eine Wiederaufnahme des Verfahrens benötigt sie einen neuen Verdächtigen. Die übrigen Heimbewohner sowie der Nachtwächter starben bei dem Brand, kommen jedoch ohnehin aus verschiedenen Gründen nicht als Täter in Betracht, bliebe das zahlreiche Pflegepersonal sowie die Besucher. Für Dora wird die Suche immer undurchsichtiger als sie eine schaurige Entdeckung macht. Lisa, die bei dem Feuer ebenfalls ums Leben kam, lag im Wachkoma … und war schwanger. Dieser Aspekt wurde bei dem damaligen Gerichtsverfahren nie untersucht, obwohl wegen Vergewaltigung hätte ermittelt werden müssen. Sollte dieses schreckliche Geheimnis durch den Brand verdeckt werden? Oder galt der Anschlag gar dem Nachtwächter, der kurz vor dem Feuerausbruch niedergeschlagen wurde?

 

"Manchmal ist Gutes schlecht und Schlechtes gut. Aber Schlechtes kann auch schlecht sein, und so ist es bei mir. Du kannst mir glauben, dass ich nur Böses im Sinn habe."

 

Mit Feuernacht setzt Yrsa Sigurdardottir ihre Anwältin-Dora-Reihe sehr gekonnt fort. Dabei verzichtet sie auf eines ihrer bisherigen Markenzeichen, nämlich auf die Aufklärung eines jahrzehntelang zurückliegenden Verbrechens. Dafür rücken verstärkt politische und gesellschaftliche Themen in den Vordergrund. Die Wirtschaftskrise, die Island bis ins Mark getroffen und die ganze Nation erschüttert hat, wirkt sich auch auf Doras Umfeld, genauer gesagt auf ihre Eltern aus, die sich gezwungen sehen, ihr Haus verkaufen zu müssen. Obwohl die Immobilienpreise im Keller sind, sehen sie keinen anderen Ausweg und müssen daher notgedrungen in Doras Garage untergebracht werden. Somit entsteht ein Vier-Generationen-Haushalt mit den damit einhergehenden Problemen. Da kommt Dora der neue Fall ganz recht, in den sie ihren Freund Matthias mit einbindet, damit dieser der heimischen Enge oder besser gesagt Doras Eltern von Zeit zu Zeit entfliehen kann. Auch für ihn selber wird es langsam eng, denn er hat noch immer keinen Job und ohne Job droht seine Aufenthaltsgenehmigung in Kürze abzulaufen. Dazu die üblichen Streitigkeiten mit der "Sekretärin des Jahres", aber das kennt man ja schon.

Zurück zum Fall: Die behinderten Heiminsassen und ihre recht unterschiedlichen Krankheiten werden ausführlich vorgestellt ebenso wie das alles andere als berauschende Gesundheitssystem des Landes. Auch der gesellschaftliche Umgang mit behinderten Menschen lässt nach wie vor zu wünschen übrig, so hieß noch bis zum Jahr 1980 ein Krankenhaus "Nationalheim für Idioten". Offenbar eine willkommene Gelegenheit für die Autorin, ihren Landsleuten den Spiegel einmal deutlich vor das Gesicht zu halten. So erhält der Krimiplot zudem einen gesellschaftskritischen Tiefgang, den man aus den vorhergehenden Romanen nicht kannte. Respekt!

Noch größeren Respekt verdient sich die Autorin allerdings dafür, dass sie bei den ständigen Irrungen und Wirrungen, die die Entwicklung des Falles mit sich bringt, noch den Überblick behält und am Ende zu einer sauberen Auflösung kommt. Diese mag zwar letztendlich nicht alle Leser überraschen (was die Person des Brandstifters betrifft), dennoch ist Feuernacht einmal mehr vorzügliche Krimikost aus dem kalten Norden.

Feuernacht

Yrsa Sigurðardóttir, Fischer Taschenbuchverlag

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