Jäger in der Nacht
- Fischer
- Erschienen: Januar 2010
- 7
- Frankfurt am Main: Scherz, 2009, Seiten: 368, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Fischer, 2010, Seiten: 526
Langweilig. Wie das ganze Leben.
Oliver Bottini ist Krimipreisträger, einer der arrivierten Autoren im Lande. In seinem Erstling Mord im Zeichen des Zen schaffte er es, eine dichte Atmosphäre zwischen Verbrechen, Landschaft und der inneren Zerstörung seiner Hauptkommissarin Louise Boni zu weben, die gegen den Alkohol ankämpfte. Seitdem wendet er sich immer wieder politisch brisanten Themen wie Waffenhandel oder den Gräueln auf dem Balkan zu und lässt ihre Auswirkungen, ihre Abgründe bis ins beschauliche Freiburg schwappen.
Zu Anfang von Jäger in der Nacht zeichnet der Autor das Innenleben eines Jungen nach, der unter Gewalt und Unterdrückung aufgewachsen ist und sich plötzlich der Möglichkeit gegenübersieht, sein Leiden weiterzugeben. Er findet ein misshandeltes Mädchen, das sich in einer Scheune versteckt und plant, die Chance nicht ungenützt verstreichen zu lassen. Was hier im Kleinen wie eine Übersprungshandlung erscheint, wie ein aus der Verzweiflung heraus geborener Befreiungsschlag, wächst im Verlauf der Geschichte zu der Fratze männlichen Machtphantasien an.
Gewalt gegen Frauen führt auf den Bestsellerlisten dazu, dass dies möglichst reißerisch dargestellt wird. Bottinis Welt hingegen besteht aus dem Team um Louise Boni und Hugo Chervel auf der französischen Seite. Es ist die deutsche Amtstube mit ihren kleinen und großen Katastrophen, ihren Eifersüchteleien und ihren Karrieren. Bottinis Hang, immer wieder Vor- und Familiennamen seiner Personen aufzuführen, nervt allerdings. Es klingt allzu Deutsch immer zu spüren, dass der Autor sich in Dienstgrad und Dienstweg bestens auskennt, als müsse er unter Beweis stellen, dass die Realität gewahrt bleibt.
Es gibt einen Punkt, an dem Menschen nicht nur sich selber sondern anderen zur Gefahr werden, sich einreden, an der Reihe zu sein, sich nehmen zu dürfen, wonach es sie gelüstet, davon überzeugt sind, dass für sie keine Regeln, keine Gesetze mehr gelten. Am Ende wird eine Handvoll Menschen ihrer perversen Lust nachgegeben haben und doch aus ihrer Haut nicht heraus können. Bis auf den Drahtzieher, jenem Mann, der selbst Louise Boni gefährlich werden wird, jenem Mensch, der zu nah am Verbrechen gelebt hat, um es für sich nicht zu verharmlosen. Er muss Frauen Leid zufügen, um sich selber zu spüren. Womit eine Spirale der Gewalt losgetreten wird, die nicht zu stoppen ist.
Was scheinbar harmlos am Rand der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland beginnt, wie ein Scherz anmutet, über den man eigentlich nicht lachen sollte und trotzdem lacht, verfestigt sich allmählich zum Planspiel, zum Verbrechen, das allein dadurch auffliegt, dass es amateurhaft durchgeführt wurde. Bottini vermag, Kriminalfälle zu entwickeln, die aus versteckten geheimen Kanälen an die Oberfläche drängen, gleichermaßen um den Häuserblock schleichen, um in die guten Stuben zu dringen.
Burn out
Nicht nur die skandinavische Krimiwelt hat in ihrem Harry Hole von Jo Nesboe einen Alkoholabhängigen zum Helden. Hauptkommissarin Bonì hat sich in Freiburg durch die Höhen und Tiefen der Sucht geschlagen und en passant Verbrechen aufgeklärt. Sie ist immer noch gefährdet, vor allem, wenn sie sich nicht an den gesetzlichen Rahmen ihrer Arbeit hält, sich auf ihren Bauch verlässt. Ben Liebermann, der Mann an ihrer Seite stellt plötzlich Fragen nach der Perspektive zwischen ihnen und, dass er nie zufrieden mit sich und seinem Leben ist. Alltägliche Probleme reißen da in Freiburg auf. Das macht Bottinis Helden sympathisch. Auch diesmal wird sie wieder einen Kollegen verlieren, der sich nach langen Jahren im Dienst plötzlich vor dem Aus sieht.
Andere sagen sich wiederum, vor dasselbe Aus gestellt: Wenn das Leben so langweilig ist, muss man doch etwas Spaß haben. Sei es drum, dass Gedankenspiele zum Schrecken werden. Und die Frage taucht auf: Wie viele Spielarten von Gewalt tummeln sich unter der Decke einer Gesellschaft, die das alles gar nicht aufnehmen kann, was sie an gebrochenen Tabus hinterlässt.
Oliver Bottini, Fischer
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