Gangsterkrieg 1942

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 1987
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  • New York: St. Martin’s Press, 1986, Titel: 'The Million Dollar Wound', Seiten: 335, Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1987, Seiten: 393, Übersetzt: Jürgen Langowski
Gangsterkrieg 1942
Gangsterkrieg 1942
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2005

Detektiv im Kampf gegen Japan und die Mafia.

Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941 sind die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. Das Kaiserreich in Fernost erweist sich als harter Gegner. Jede Insel im Pazifik muss zurückerobert werden. Da sich die Japaner praktisch nie ergeben, wurde daraus ein gnadenloser Vernichtungsfeldzug. Vor allem die Schlacht um Guadalcanal geht unrühmlich in die Geschichte ein. Sie tobt zwischen August 1942 und Januar 1943 grausam und verlustreich auf beiden Seiten.

Nate Heller ist eigentlich zu alt, um als Soldat gemustert zu werden. Der allzu patriotische (sowie während der Anwerbung betrunkene) Privatdetektiv zieht trotzdem in den Krieg und in die Hölle, der er nur knapp entkommt. Körperlich und vor allem mental angeschlagen wird er ausgemustert, kehrt in seine Heimatstadt Chicago zurück und versucht sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

‚Daheim‘ hat sich während seiner Abwesenheit wenig geändert. Weiterhin ist Chicago eine Stadt, in der die Mafia hinter den Kulissen das Sagen hat. Seit Al Capone im Gefängnis sitzt (und dort den Verstand verlor), hat Frank Nitti das Sagen. Er agiert verhältnismäßig diskret, ist aber allgegenwärtig dort, wo sich Geld verdienen bzw. unterschlagen lässt. Nitti schätzt Heller, der ihm einst das Leben gerettet hat. Dennoch gerät der Detektiv auf Kollisionskurs mit der Mafia, denn seine Fahndungen führen ihn quasi automatisch dorthin, wo Schnüffler ungern gesehen und vorsichtshalber ausgeschaltet werden.

In den folgenden Monaten gerät Heller noch in weitere Schwierigkeiten: Die Justiz will ihn vorladen und gegen die Mafia aussagen lassen. Dies würde er mit dem Leben bezahlen, was ihm die besagte Mafia bestätigt. Zwischen den Fronten versucht Heller als Detektiv zu arbeiten und dabei unter dem Radar zu bleiben. Doch dies ist eine trügerische Hoffnung, als Chicago zum Schauplatz eines Gangsterkrieges wird: Nittis Thron wackelt, und seine Gunst könnte sich für Heller zur Henkersschlinge entwickeln ...

Stets dort, wo er nicht sein sollte

Nate Heller ist ein Glückskind - oder ein Pechvogel; die Entscheidung ist eine Frage der Definition. Seine feine Schnüfflernase sowie der durch Autor Max Allan Collins heftig geforderte Zufall führen ihn immer wieder dorthin, wo Geschichte geschrieben wird. Wie Heller deutlich macht, ist das keine Gunst des Schicksals, denn die Geheimnisse, die er lüftet, sind lebensgefährlich. Dies gilt vor allem deshalb, weil und wo er in jene düstere Zone gerät, in der sich Verbrechen, Politik, Wirtschaft und Justiz lukrativ treffen.

Dieses Mal ist es die Filmbranche, die sich die Finger schmutzig macht. Collins greift jene historische Episode auf, als die Mafia sich bemüht in Hollywood Fuß zu fassen. Gewerkschaften werden gegründet bzw. unterwandert und Filmbosse unter Druck gesetzt. Sie knicken ein und leisten ‚Schutzzahlungen‘, um ihre eigenen, ebenfalls fragwürdigen Geschäftspraktiken fortsetzen zu können. Geld sorgt als Schmiermittel auf sämtlichen Ebenen für das anfängliches Gelingen des letztlich scheiternden Plans. Die Schuldigen werden nur stellvertretend zur Rechenschaft gezogen, die Studios bleiben ‚sauber‘.

Heller bemüht sich in Chicago so integer zu bleiben, wie es in dieser Stadt möglich ist. Dass er an dieser Herausforderung wiederholt scheitert und dabei Narben davonträgt, gehört zur Dramatik einer Krimi-Reihe, die seit 1983 läuft und die (US-) Vergangenheit dort aufleben lässt, wo sie im Schatten liegt und gefälligst bleiben soll. Heller muss oft auf des Messers Schneide tanzen, um den eigenen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden. Man respektiert ihn auf beiden Seiten des Gesetzes. Er hält den Mund, obwohl es ihn in Schwierigkeiten bringt: Zwar mag er ein Freund des „unbestechlichen“ Eliot Ness ein, doch dieser setzt ihn trotzdem unter Druck, vor Gericht gegen die Mafia auszusagen.

Die Kunst der situationsgerechten Reaktion

Im dritten Band der Heller-Serie verpflichtet sich unser ‚Held‘ wider besseres Wissen als Soldat. Einmal mehr hat ihm sein Gewissen quasi einen bösen Streich gespielt. Der erste Teil dieses Buches erzählt, was Heller in Übersee erlebt bzw. erleidet. Sämtliche moralischen Grundsätze werden außer Kraft gesetzt. Heller entwickelt eine Kriegsneurose, die ihm auch und gerade in Chicago zu schaffen macht.

Daheim wird Heller mit dem Kontrast zwischen dem Grauen der Front und der ernüchternden Erkenntnis konfrontiert, dass sich in der fernen Heimat niemand wirklich dafür interessiert. Die Nazis und die Japaner mögen die USA bedrohen, doch dort gehen die ‚Geschäfte‘ der Mafia und ihrer Komplizen ungestört weiter. Die ‚neue Zeit‘ zeigt sich höchstens in einer Zunahme der ausgeübten Gewalt. Dies kostet Frank Nitti, der als genialer Stratege sogar Al Capone kampflos aus dem Weg räumte, erst die Macht und dann das Leben. Die „Million-Dollar-Wound“ des Originaltitels deutet diesen Dualismus an: Einerseits bezeichnet er jenen „Heimatschuss“, der einen Soldaten endgültig vom Fronteinsatz befreit, andererseits thematisiert er die Jagd nach einem versteckten Vermögen, deren Brutalität den ‚moralischen‘ Niedergang des Verbrechens drastisch bestätigt.

„Gangsterkrieg 1942“ spielt auf mehreren Zeitebenen. Im Mittelteil schildert der Autor die Vorgeschichte jener Ereignisse, die nach Hellers Heimkehr ablaufen. Die Handlung mag dadurch Brüche aufweisen, doch Collins verdeutlicht dadurch, dass Heller faktisch gegen Windmühlenflügel kämpft. Nur selten und im kleinen Maßstab kann er etwas gegen ein System ausrichten, das ihn ansonsten mitreißt; ein Stilmittel, mit dem Collins zudem begründen kann, wieso die Geheimnisse, die Heller lüftet, nie öffentlich werden: Er würde es nicht überleben, oder es gibt keine objektiven Beweise. Heller muss mit seinem Wissen allein fertig werden. Die Nacherzählung seines Lebens ist eine Methode.

Prominenz ohne Glanz

Collins lässt in seinen Heller-Romanen echte Personen der Geschichte auftreten. Generell recherchiert er aufwändig für seine Bücher; wie üblich legt er in einem Nachwort seine Quellen offen. Vorsichtshalber erinnert er daran, dass „Gangsterkrieg 1942“ dennoch eine Fiktion darstellt. Wo es die Handlungsdramatik aus seiner Sicht erfordert, hat Collins die Realität ‚angepasst‘, d. h. Ereignisse neu arrangiert oder zeitliche Abläufe verändert.

Dies bezieht die realen Figuren ein. Ihre Biografien hat Collins dort ‚interpretiert‘, wo es der von ihm entworfene Plot erforderte. Dies gibt dem Verfasser den Freiraum, zusätzlich Vermutungen über historisch Ungeklärtes anzustellen. Hier sei als Beispiel der Tod von Frank Nitti erwähnt, der bis heute nicht wirklich geklärt ist. Collins beschreibt ihn nach einer Theorie, die logisch wirkt, aber ebenfalls nicht bewiesen werden konnte.

In einem zusätzlichen Nachwort beschäftigt sich der deutsche Krimi-Experte Jochen Schmidt mit den Heller-Romanen. Er führt die erstaunliche Glaubwürdigkeit darauf zurück, dass Collins kein lustvolles „Name-dropping“ betreibt, sondern die von ihm eingesetzten Real-Personen ohne nostalgieverstärkten Glanz beschreibt. Sie mögen (heute) prominent sein, doch dies ist ihnen in Hellers Gegenwart nicht bewusst. Hier sind sie schwach, böse, charismatisch, freundlich etc., während Collins nicht zwischen „gut“ und „böse“ differenziert. Hellers Welt ist grau, weshalb nicht nur unser ‚Held‘ hart an der Grenze entlang schlingert - eine spannende, manchmal ziellose Odyssee, die der Autor auch dieses Mal meisterhaft im Griff behält.

Fazit

Wieder verbinden sich Realgeschichte und Fiktion zu einem dichten, spannenden und über die gesamte Distanz fesselnden Kriminalroman; das Rätsel liegt nicht in der Suche nach Tätern, die sich ohnehin kaum um Tarnung bemühen, sondern in der Klarstellung der Tatsachen, die dies ermöglichen, und ihrer kriminellen Konsequenzen.

Gangsterkrieg 1942

Max Allan Collins, Bastei Lübbe

Gangsterkrieg 1942

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