Die Hornisse

  • Ullstein
  • Erschienen: November 2020
  • 12

- Ein Fall für Tom Babylon 3

- Broschur, 464 Seiten

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Thomas Gisbertz
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2020

Grandioses Kopfkino

„I love you all“, ruft der gefeierte Rockstar Brad Galloway seinen 22.000 Fans in der Berliner Waldbühne zu. Plötzlich tritt eine unbekannte Frau ins Scheinwerferlicht und überreicht ihm einen mysteriösen Umschlag. Der Inhalt löst beim Musiker Verblüffung und Ekel gleichzeitig aus. Am nächsten Abend wird Galloways Leiche im Gästehaus der Berliner Polizei gefunden. LKA-Ermittler Tom Babylon wird zum Tatort gerufen. Gemeinsam mit der Psychologin Sita Johanns fahndet er nach der unbekannten Frau. Die Spur führt dreißig Jahre zurück zu einer heimtückischen Kindesentführung mit dem Decknamen „Hornisse“ – und zu einer Frau, die zwischen zwei Männern stand. Beide waren bereit zu töten; einer sinnt noch heute auf Rache - und das kann Tom Babylon alles kosten, was er liebt ...

Mord an gefeiertem Star

Mit zahlreichen Seilen wurde Brad Galloway in sitzender Position auf einem Bett fixiert, sein Glied abgetrennt und auf seiner Brust in schwarzer Schrift „Was zählt das Leben deiner Lieben?“ geschrieben. Wer hat einen solchen Hass auf den bekannten Musiker, dass er sogar dabei zusah, wie jener allmählich verblutete? Wie konnte dies unbemerkt auf dem Gelände der Berliner Polizei in Reinickendorf geschehen? Und was hat die Unbekannte, die dem Opfer den geheimnisvollen Briefumschlag beim Konzert gab, mit dessen Tod zu tun? Plötzlich gerät vollkommen unerwartet eine Person in das Visier der Ermittler, die Tom sehr nahe steht. Der LKA-Ermittler muss sich nun selber die Frage stellen, was er bereit ist, für seine Lieben zu tun ...

Fortsetzung der Tom-Babylon-Reihe

Der Kölner Bestsellerautor Marc Raabe legt mit Die Hornisse den mittlerweile dritten Band seiner in Berlin spielenden Tom-Babylon-Reihe vor. Dabei erzählt er die persönliche Geschichte seiner Hauptfigur weiter, die eng mit der Ermordung des Rockstars in Verbindung steht. Der Autor beweist erneut, dass er mit zu den besten Thrillerautoren gehört, die es derzeit auf dem deutschsprachigen Markt gibt. Es ist schon beeindruckend, welche inhaltiche Qualität er konstant zu bieten hat. Alle drei Romane zeichnen sich durch Dramatik, Spannung und ein hohes Erzähltempo aus - Kopfkino auf hohem Niveau ist garantiert.

Nahe an der Geschichte

Eine große Stärke der Romane ist der wunderbar szenische Erzählstil des Autors, der die Handlung wie einen Film ablaufen lässt. Die Geschichte um Tom und Sita ist mit derart großer Leichtigkeit geschrieben, dass man beim Lesen regelrecht die Zeit vergisst und sich dem Sog des Romans nicht mehr entziehen kann. Dabei gibt sich Marc Raabe in seinen Romanen ausreichend Platz, seine Ideen umzusetzen. Man hat beim Lesen regelrecht das Gefühl, dass uns die Figuren selber ihre Geschichte erzählen wollen: das, was sie bewegt, aber auch das, was sie antreibt und woran sie schier verzweifeln. Wie ein stiller Beobachter verfolgt man ihre Wege durch das nächtliche Berlin, taucht ein in die schillernde Welt der Unterweltgröße Bene Czech und spürt regelrecht den Schmerz Toms, der Gerechtigkeit will und sich dafür auch an der Grenze zum Bösen bewegen muss.

Spuren aus vergangener Zeit

Es gibt wie in den anderen Bänden auch diesmal eine zweite Erzählebene: Raabes Romane sind immer ein Stück Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, insbesondere der Geschichte der DDR. Diese ist gleichzeitig auch Tom Babylons Geschichte, die ihn nicht nur prägte, sondern sein Leben bis heute mitbestimmt. Dabei geht es vor allem um seine Familie: den Tod der Mutter Inge und das Schicksal seiner kleinen Schwester Viola, das ihn nicht loslassen will.

Raabe tritt aber niemals als belehrender Geschichtsdozent auf, sondern schildert anhand einzelner Figuren ebenso menschliche Schicksale wie die dunkle Seite der DDR, insbesondere die Überwachung durch den Staat und den Verrat am Mitmenschen. Die Parallelgeschichte um Tom Babylons Vergangenheit bildet fast schon eine für sich stehende Einheit bzw. Handlung, die unglaublich packend ist und ihren ganz eigenen Ton findet. Dabei berührt den Leser besonders der Mut und das Schicksal von Toms Mutter Inge.

Vielschichtige Figurenentwicklung

Der Autor greift wie gewohnt Handlungsfäden aus den anderen Romanen der Reihe auf und erzählt die Geschichte seiner Figuren weiter - oder besser gesagt, er ergänzt deren „Lebenslauf“ und gewährt einen anderen Blick auf sie. Dies ist ein ganz großer Gewinn für die Reihe. Dennoch kann man alle Teile vollkommen unabhängig voneinander lesen.

Es sind oftmals die scheinbaren Nebenfiguren und -geschichten, denen auf einmal eine große Bedeutung zukommt und die so manche Charaktere oder Begebenheit in einem anderen Licht erscheinen lassen. Man versteht die Figuren dann zumeist besser in ihrem Handeln und kann ihre Beweggründe nachvollziehen; dies gilt diesmal insbesondere für Babylons Vater Werner und natürlich seine Mutter Inge.

Das Vertrauen der Fallanalytikerin Sita Johanns in Tom wird in diesem Roman auf eine harte Probe gestellt: Genauso wie der Rest des Ermittlerteams muss sie sich fragen, wie gut sie Tom wirklich kennt. Gleichzeitig versucht sie alles, um Tom aus der Schusslinie zu bekommen und den wahren Täter zu finden. Aber dieser hat alles genau geplant und scheint ihr immer einen Schritt voraus zu sein.

Fazit

Marc Raabes Reihe um den LKA-Beamten Tom Babylon und die Psychologin Sita Johanns bietet Nervenkitzel und beste Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau. Die Handlung weist eine große Dynamik und einen enormen Fluss auf, der einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt. Glaubwürdige Figuren und authentische Dialoge, aber auch genügend Action und fiktionale Freiheit machen Die Hornisse zu einem großen Lesevergnügen. Man kann nur hoffen, dass die Geschichte um die beiden Protagonisten noch lange nicht zu Ende erzählt ist.

Die Hornisse

Marc Raabe, Ullstein

Die Hornisse

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