Rotes Gold

  • audio media
  • Erschienen: Januar 2012
  • 9
  • München: audio media, 2012, Seiten: 4, Übersetzt: Gregor Weber
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Matthias Kühn
73°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2012

Küchenmeisterdetektiv versus Fischmafia

In Teufelsfrucht wurde Xavier Kieffer gegen seinen eigenen Willen zum Ermittler – herrlich unbedarft, tapsig und nicht ganz von dieser Welt. Wer Teufelsfrucht nicht kennt, sollte jetzt lieber nicht weiterlesen, sondern sich das Buch besorgen. Es lohnt sich.

Im Erstling deckt Kieffer eine Gemüseverschwörung auf und verhindert, dass ein Forscher aus der Schweiz die Gaumen der Welt mit einem neuartigen natürlichen Geschmacksverstärker in die Irre führt. Am Ende kam er ziemlich in Gefahr, und das Buch endete mit einem wirklich schönen Schlussgag, der die Freude auf den zweiten Fall zusätzlich ankurbelte.

Hier ist er also, der zweite Band – und natürlich muss da genau das fehlen, was Teufelsfrucht ausmachte: Dass Kieffer nämlich in den Fall hineinrutscht, ohne etwas dagegen tun zu können. Dieses Problem hat Tom Hillenbrand zwar ganz ordentlich gelöst, indem er sich an den Gefallen erinnert, den Kieffer dem Bürgermeister von Paris schuldet. Der hat ihn schließlich, auf Bitten von Valérie Gabin, aus den Klauen von Gero Wyss gerettet. Aber auch der recht schlaue Kniff, der aus Kieffer plötzlich einen richtigen Ermittler mit nach oben offenem Spesenkonto macht, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Ganz glaubwürdig ist das leider nicht; zudem fehlt dadurch auch das Tölpelhafte, das Kieffer ausmachte.

Seit der Rettung ist rund ein Jahr vergangen, als Kieffer von Valérie zu einem außergewöhnlichen Ereignis eingeladen wird. Ereignisse sind für Kieffer natürlich immer kulinarischer Natur, und hier handelt es sich um ein Festessen im Musée d’Orsay, das der dekadente Bürgermeister zu Ehren des größten japanischen Sushimeisters in Europa gibt. Dann ist der tot, der Bürgermeister gerät in Bedrängnis und erinnert sich daran, dass Kieffer doch schon einmal einen Fall gelöst hat. Na ja, ein bisschen arg konstruiert ist das ja schon.

Egal, Kieffer stürzt sich in den Fall. Dass der Meisterkoch aus Japan sich nicht aus Versehen selbst vergiftet hat, liegt auf der Hand. Was aber sind die wahren Hintergründe? Mit ständig wiederkehrenden Exkursen über die japanische Küche, internationale Überfischung und den Thunfischfang sammelt der luxemburgische Koch Detail für Detail und setzt so ein wirklich gewaltiges Puzzle zusammen. Schön ist dabei, wie Kieffer aus seiner Vergangenheit ein kleines Netzwerk wiederbelebt; den Rest der Kontakte steuert Pekka Vatanen bei, EU-Beamter, Stammgast und bester – weil einziger – Freund des Kochs.

Hillenbrand stattet seinen Protagonisten diesmal mit einigen Zügen aus, die seine Zeitgenossenschaft untermauern und damit das Kauzige etwas demontieren. So erwähnt Hillenbrand, dass seine Figur beide Arten von Musik mag: gute (Talking Heads) und schlechte (U2). Außerdem läuft zwischen Kieffer und Valèrie Gabin eine Liebesbeziehung, die aus dem Einzelgänger einen beziehungsfähigen Mann macht – muss eigentlich nicht sein. Auch die plötzliche Bereitschaft zur körperlichen Gewalt überzeugt nicht ganz, auch wenn Kieffers Kraft – zumindest in den Händen – plausibel hergeleitet wird. Immerhin wichtig für den Fortlauf der Geschichte ist das Zugeständnis an eine moderne Kundschaft: Kieffer lässt in seinem Restaurant einen Internetzugang einrichten.

Hillenbrand hat unglaublich viel recherchiert für diesen Roman. Dass er die große Fülle seiner Rechercheergebnisse in den Roman packt, macht den etwas oberlehrerhaft und phasenweise nahezu langweilig: Da ist einfach zu viel an Erkenntnissen versammelt. Und die Liebe des Autors zur Technologie, die er im ersten Band noch unterdrücken konnte, kommt hier etwas zu sehr an die Oberfläche. Das zieht sich übrigens durch: Im letzten Drittel, in dem Rotes Gold immer mehr an Spannung gewinnt, stört das weniger, weil es besser in die Story integriert ist, aber selbst dort liest sich der Text manchmal wie ein Artikel in Geo. Höflich formuliert.

Natürlich: Hillenbrand gelingt es sehr kunstvoll, seine brillante Recherche in die Geschichte zu packen – oder umgekehrt. Wenn ich nächstes Mal beim Japaner ein Maguro-Sashimi genieße, werde ich sicher daran denken, welcher Aufwand betrieben wird, um diese Köstlichkeiten auch in die entlegensten Winkel der Welt zu verbreiten – und welche Folgen das alles hat.

Jetzt bin ich gespannt auf den nächsten Roman. Denn ein paar Fragen bleiben noch offen. Ob die dann geklärt werden, ist allerdings fraglich. Immerhin könnte Javier Kieffer seine Visitenkarte ändern; darauf müsste ab sofort stehen: "Regionale Küche, internationale Ermittlungen". Wie international das schon in Rotes Gold ist, das verrate ich jetzt aber nicht.

Sprachlich konnte Hillenbrand das Niveau nicht ganz halten; es holpert doch immer wieder mal. Aber das ist bei deutschen Krimis leider üblich, meist viel schlimmer als hier; es wäre eigentlich die Aufgabe eines guten Lektorats, das zu entschlacken.

Es gibt übrigens in Rotes Gold wieder ein Glossar, das diesmal neben den luxemburgischen Spezialitäten auch einige Begriffe aus der japanischen Küche enthält. Und es wird wieder geraucht, was das Zeug hält. In vielen Kritiken zum Erstling hieß es, das ständige Rauchen störe; Hillenbrand hat sich das zu Herzen genommen: In Rotes Gold wird noch viel mehr geraucht.

Rotes Gold

Tom Hillenbrand, audio media

Rotes Gold

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