"Relax" vs. "Extrem" -
Gegensätzlicher können Krimis nicht sein.

von Jochen König

Florenz

Florenz gilt als eine der schönsten Städte der Welt - tolle Lage, interessante Menschen, viele Sehenswürdigkeiten. Bevor die Pandemie für Reisebeschränkungen sorgte, waren Besuche in den Uffizien oder der Ponte Vecchio geradezu verpflichtend für Italien-Touristen - was im Negativen dazu führte, dass die Stadt oft überlaufen war.

Und noch ein Schatten legte sich jahrzehntelang über den pittoresken Ort: „Il Mostro“, das „Monster von Florenz“ - ein Serienkiller, der zwischen 1968 und 1985 scheinbar willkürlich Liebespaare tötete. Der vertrackte Fall führte zu weiteren Morden und Selbstmorden und fand trotz einiger Hauptverdächtiger keinen überzeugenden Abschluss. Sowohl Douglas Preston (Die Bestie von Florenz) als auch Michele Giuttari (Das Monster von Florenz. Anatomie einer Ermittlung) haben Sachbücher darüber verfasst.

Aber auch in der Fiktion spielt Florenz in zwei Büchern eine Rolle, die wunderbar in die Rubrik Relax/Extrem passen ...

  • Krimi "Relax"

    Magdalen Nabb

    Vita Nuova

    Die leider bereits 2007 im Alter von 60 Jahren viel zu früh verstorbene Autorin Magdalen Nabb  war eine elegante, stilsichere, von Humanismus geprägte Autorin, die ihren bedächtigen und mitfühlenden  Maresciallo Guarnaccia in Florenz ermitteln ließ. Vergleiche mit Simenons Maigret sind durchaus zulässig. In Vita Nuova geht es um zerfallende, zerrüttete Familien, Ausbeutung und Zwangsprostitution.

    Nabb zeigt Florenz nicht als reine Idylle, sondern führt ihren integren Ermittler mitten hinein in ein marodes Gesellschaftsgefüge. Dabei schlägt der Roman keine schrillen Töne an, schleicht sich leise und bedächtig in Kopf und Herz seiner Leser*innen - passend zur Hauptfigur.

    Gekonnt und durchaus analytisch beschäftigt sich Magdalen Nabb mit italienischen Verhältnissen, die letztlich international sind, und spielt lustvoll mit Stereotypen wie Guarnaccias Sehnsucht nach beschaulichem Familienleben an der Seite seiner (in Vita Nuova abwesenden) Gattin.  Die verständige Darstellung eines faszinierenden Landes und seines Gemeinwesens beherrscht Magdalen Nabb weit besser als ihre „venezianische“ Kollegin Leon.  

    zur Rezension auf Krimi-Couch.de

  • Krimi "Extrem"

    Thomas Harris

    Hannibal

    Mehr noch die Verfilmung von Das Schweigen der Lämmer als der Autor selbst beeinflusste zahlreiche mehr oder meist minderbegabte Schreiber*innen, hochbegabten Serienkillern viel Zeit und Raum zu widmen.  Harris hatte mit Schwarzer Sonntag bereits einen soliden Politthriller verfasst, als er mit Roter Drache und vor allem Das Schweigen der Lämmer zwei faszinierende Romane um den genialen Serienkiller Dr. Hannibal Lecter und seine Widersacher beziehungsweise Protegés Will Graham und Clarice Starling verfasste. Er etablierte damit einen Standard, den die meisten seiner Nachfolger*innen, aber auch er selbst selten wieder erreichten. Erst die Fernsehserie Hannibal (ohne Bezug zum gleichnamigen Roman und Harris‘ direkte Beteiligung) konnte zu den Hauptwerken aufschließen.

    Hannibal ist in erster Linie Publikumsbefriedigung, führt das Buch doch Dr. Lecter und FBI-Agentin Clarice Starling wieder zusammen. Hannibal Lecter ist nach den Ereignissen des Vorgängers auf der Flucht und befindet sich in Florenz, wo er als Kurator (Spezialfach Dante Alighieri) hohes Ansehen genießt. Doch seine  Verfolger, angeführt und geleitet vom entstellten Mogul Mason Verger, rücken näher.

    Die in Florenz spielenden Passagen gehören zu den eindrücklichsten des Romans und gipfeln in einer darmverschlingenden, graphischen Hinrichtungsszene.

    Hannibal ist ein äußerst brutaler Text, der in Teilen Richtung Fantasy-Horror abdriftet. So ist Mason Verger ein (von Hannibal Lecter) missgestaltetes Monster biblischen Ausmaßes, das triefend vor Hass, Dr. Lecter (nicht  nur) an seine zu Fressmaschinen hochgezüchteten Hausschweine verfüttern möchte.

    Hannibal ist krude, absurd und in nahezu jeder Hinsicht over the top - auf überdrehte Weise allerdings phasenweise so blutig wie spannend. Harris gelingen einige kunstvolle Passagen, die an die beiden Vorgängerromane anknüpfen können. Insgesamt ist Hannibal aber eine Schlachtplatte von mäßiger Qualität - Fabrikware.

    zur Rezension auf Krimi-Couch.de

 

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Fotos: istock.com / teekid

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