Wiebke Lorenz

Tougher als man denkt

05.2015 Wiebke Lorenz liest genauso wie sie schreibt: Am liebsten quer durch alle Genres. Über ihren neuesten Thriller und die Reaktion der Leser sprach sie im Interview mit Lars Schafft.

Krimi-Couch: In dieser Sendung begrüße ich eine Autorin, die zwischen den verschiedenen Genre wandelt. Herzlich Willkommen, Wiebke Lorenz. Wenn ich jetzt nach dem Motto gehe: »Zeige mir was Du liest, und ich sage dir wer du bist«, habe ich bei Ihnen ein Problem. Was darf man aus dieser wilden Auswahl schließen?

Wiebke Lorenz: Vielleicht, dass ich ein bunter Hund bin und mich nicht richtig festlege. Ich springe sowohl wenn ich selber schreibe, als auch beim Lesen quer durch alle Genres, weil mich eigentlich – fast – alles interessiert. Ich lese einfach echt gern.

Krimi-Couch: Wonach suchen Sie Bücher aus?

Wiebke Lorenz: Eigentlich nach Klappentexten.

Krimi-Couch: Sie gehen richtig klassisch in Buchhandlungen?

Wiebke Lorenz: Ich habe natürlich auch viele befreundete Autoren, die mir ihre Bücher geben, so wie ich ihnen meine gebe, aber ich bin wirklich gerne und viel in Buchhandlungen und stöbere.

Krimi-Couch: Ganz aktuell erschienen ist Bald ruhest du auch. Ganz klar ein Psychothriller. Aber auch Familiendrama.

Wiebke Lorenz: Wie die Vorgänger Alles muss versteckt sein und Allerliebste Schwester kommt auch Bald ruhest du auch ohne Ermittler aus. Ich brauche keine Kommissar, es geht mir mehr um die menschlichen Abgründe, die zwischenmenschlichen Verwicklungen, die oft auch tragisch sind und zu Katastrophen führen.

Krimi-Couch: Die Katastrophe in Bald ruhest du auch ist, dass die Hauptfigur – hochschwanger – ihren Mann bei einem tragischen Unfall verliert. Und dann geht es erst richtig los, obwohl man fast sagen möchte, das reicht doch schon. Was passiert alles, was darf man verraten?

Wiebke Lorenz: Lena, im achten Monat schwanger, ist nach dem tödlichen Autounfall ihres Mannes schwer traumatisiert und bekommt nach einem Angriff seiner Teenagertochter während der Beerdigung ihr Baby zu früh. Als wäre das nicht schon genug, kämpft sie noch mit einer postnatalen Depression und als sie sich ihrem Baby endlich annähern kann, wird es am helllichten Tag entführt. Und da beginnt die eigentliche Geschichte, dass Lena versucht ihre Tochter zurück zu bekommen.

»Ich glaube, ich kann den Leser nur emotional packen, wenn ich über etwas schreibe, das mir selbst nahe geht.«

Krimi-Couch: Das sind rund 450 Seiten purer Albtraum, vor allem für eine Mutter. Ich kann mir vorstellen, dass Mütter bereits beim Lesen damit Probleme haben, Sie selbst sind Mutter und schreiben darüber und das vermutlich nicht nur zwei Wochen lang. Ist das nicht eine Art Selbstfolter?

Wiebke Lorenz: Tatsächlich suche ich mir beim Schreiben Geschichten, die mich selbst bewegen. Denn ich glaube, ich kann den Leser nur emotional packen, wenn ich über etwas schreibe, das mir selbst nahe geht, sonst bleibt die Geschichte farblos und hohl. Mit meiner 2 Jahre alten Tochter kann ich mich sehr gut in eine junge Mutter in dieser Situation reinfühlen. Aber beim Schreiben nehme ich auch eine Art Distanzhaltung ein, so dass mir das Geschehene nichts ausmacht. Es ist schließlich fiktional und nicht wirklich passiert. Bei Dingen, die in der Tageszeitung stehen, habe ich mitunter viel größere Probleme.

Krimi-Couch: Ich kann mir vorstellen, dass man für diese Distanz sehr konzentriert arbeiten muss, wenn sich so eine Geschichte beim Schreiben weiterentwickelt. Oder steht bei Ihnen der Plot von Anfang an fest?

Wiebke Lorenz: Ich entwickelt zu aller erst die komplette Geschichte von Anfang bis Ende und erst wenn alles steht, fange ich an zu schreiben. Anders könnte ich das gar nicht, da würde ich mich unterwegs verlieren.

Krimi-Couch: Und wie kommt man dann auf die Idee, sich damit auseinander zu setzen?

Wiebke Lorenz: Es gab mehrere Anstöße. Vor einigen Jahren ist der Mann – Kriegsberichterstatter – einer hochschwangeren Journalistin im Krieg ums Leben gekommen, dieses Schicksal hat mich sehr berührt und geisterte mir fortan durch den Hinterkopf. Und dann kommt eins zum anderen. Ich arbeite bei der Entwicklung einer Geschichte viel mit einer befreundeten Dramaturgin zusammen, mit der ich lose Fäden solange verknüpfe, bis sich daraus eine runde Geschichte entwickelt.

»Ich habe sogar schon Mails bekommen, in denen ich wüst beschimpft wurde.«

Krimi-Couch: Zur Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich mal recherchiert, wie Ihre Geschichte bei den Lesern ankommt. Wir sehen das auch auf der Krimi-Couch, dass Krimis mit Kindern immer etwas heikel sind. Ein anderes Tabu für viele Leser, sind aber Haustiere. Und in Ihrem Buch geht es einem Hund gar nicht gut. Interessanterweise führt das bei vielen Lesermeinungen zu einem Punkteabzug. Können Sie das nachvollziehen?

Wiebke Lorenz: Einerseits kann ich es nachvollziehen, ja. Andererseits finde ich es natürlich schade, wegen dieser einen Szene gleich einen von fünf möglichen Punkten abzuziehen oder ein Buch gar negativ zu bewerten. Es ist dramaturgisch an dieser Stelle auch einfach nötig, ich bin an dieser Stelle nicht einfach brutal um der Effekthascherei willen. Ich bin wirklich überrascht, dass man Menschen meucheln und morden kann, bis der Arzt oder in diesem Fall nur noch der Leichenbestatter – kommt, aber dass bei Hunden die Emotionen so hohe Wellen schlagen. Ich habe sogar schon Mails bekommen, in denen ich wüst beschimpft wurde.

Krimi-Couch: Ist das ein Gender-Problem, oder täuscht das?

Wiebke Lorenz: Die Mails kamen bisher von Frauen, aber ich könnte nicht sagen, ob das so typisch ist. Ich erinnere mich noch an den Fall der spanischen Krankenschwester, die vor einen halben Jahr an Ebola erkrankte und deren Hund präventiv eingeschläfert wurde. Da sind die Menschen in Madrid mit Transparenten auf die Straße gegangen und haben demonstriert während in Nigeria jeden Tag hunderte Menschen an dieser Krankheit sterben. Natürlich ist ein Tier ein komplett unschuldiges Opfer, vielleicht macht es die Leser deshalb so emotional. Ich mag selber Hunde sehr gerne. Ich muss auch gestehen, beim Schreiben hat mir die Szene gar nicht so viel ausgemacht, wenn ich sie jetzt aber noch mal lese, wird mir selbst auch ein bisschen anders zumute. Dass diese Szene die Leser berührt, kann ich also ansatzweise verstehen, aber dass es dann solche Ausmaße annimmt, hat mich überrascht.

Krimi-Couch: Also ist Wiebke Lorenz tougher als man denkt?

Wiebke Lorenz: Ach ja, vielleicht. [lacht]

Krimi-Couch: Zum Schluss gibt es noch einen ganz schönen Twist, den auch die Leser überraschend finden. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie Ihre Charaktere gar nicht so richtig mögen, oder?

Wiebke Lorenz: Nicht?

Krimi-Couch: Es kommt keiner so richtig gut weg bei Ihnen – oder er muss sehr viel leiden.

Wiebke Lorenz: Naja, ich greife so richtig ins pralle Leben rein. Es ist durchaus eine tragische Geschichte. Ich mag dieses Schwarz und Weiß ohnehin nicht, diesen ganz Guten und den ganz Bösen und am Ende stellt sich heraus, dass alle irgendwie aus ihrer Haut nicht raus konnten und diese Grautöne, die jeder von uns in sich hat, letztendlich dazu führen, das passiert, was passieren soll. Ich mag auch diese Happyends nicht, bei denen man Hand in Hand in den Sonnenuntergang reitet.

Krimi-Couch: Sie schreiben ja auch noch mit Ihrer Schwester zusammen unter dem Pseudonym Anne Hertz und das keinesfalls so düster.

Wiebke Lorenz: Nein, das sind eher heitere Frauenromane, also ein ganz anderes Genre. Mit Frauke zusammen schreibe ich auch ganz anders, viel flotter. Bei meinen Thrillern ist das viel getragener.

»Es fließt immer ein bisschen was Persönliches von mir ein, denn jede Geschichte kommt aus meinem Kopf.«

Krimi-Couch: Sind die Thriller persönlicher?

Wiebke Lorenz: Würde ich so nicht sagen, nein. Alles muss versteckt sein war sicherlich sehr persönlich, da der Auslöser eine Zwangserkrankung ist, unter ich damals auch selbst sehr gelitten habe. Insofern war die Motivation eine sehr persönliche, das Buch selbst ist reine Fiktion. Sowohl bei Wiebke Lorenz als auch bei Anne Hertz fließt immer ein bisschen was Persönliches von mir ein, denn jede Geschichte kommt aus meinem Kopf.

Krimi-Couch: Kann man Sie auch mal persönlich treffen, gehen Sie auf Lesereise?

Wiebke Lorenz: Lesereise direkt nicht, denn ich habe ja eine kleine Tochter. Ich habe zum Beispiel die große Ehre im September das Krimifestival in Bremen zu eröffnen. Die Termine findet man auf meiner Homepage, beim Verlag oder auch auf Facebook.

Krimi-Couch: Danke, Frau Lorenz, dass Sie sich Zeit genommen haben und für Ihre Zukunft alles Gute.

Wiebke Lorenz: Danke, dass ich hier sein durfte.

Für das Interview trafen sich Chefredakteur Lars Schafft und die Autorin im Mai 2015 in Norden.

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