Mikael Niemi

»In Der Mann der starb wie ein Lachs repräsentiert der Mord das Auslöschen unserer Sprache und Kultur.«

03.2008 Am Rande der LitCologne sprach Krimi-Couch-Redakteurin Eva Bergschneider mit dem vielseitigen Autor Mikael Niemi über seinen ersten Kriminalroman und die kulturellen Besonderheiten und Probleme seiner Heimat Tornedalen.

Krimi-Couch: Wie kam es dazu, dass Sie nach »Populärmusik aus Vittula« einen Krimi geschrieben haben?

Mikael Niemi:  »Der Mann, der starb wie ein Lachs« ist mein erster Krimi und vielleicht auch mein letzter. Ich werde auf keinen Fall zehn Krimis schreiben, wie Henning Mankells Wallander-Romane oder wie Liza Marklund. Ich kam auf die Idee, weil mein Vater Polizist war. Über die Polizeiarbeit in einem kleinen Ort wusste ich Einiges, weil mein Vater mir viele der dramatischen Ereignisse, die ihm passierten, erzählt hat.

Krimi-Couch: Es wäre ja durchaus möglich, aus Therese Fossnes eine Serienermittlerin zu machen.

Mikael Niemi: Nein, das wird wohl nicht passieren. Ich bin eher ein Autor, der Abwechslung braucht. Ich habe zuvor ein Jugendbuch geschrieben und danach Science-Fiction, ich möchte möglichst mit jedem Buch das Genre wechseln.

Krimi-Couch: Ist es wahr, dass in ihrer Heimat Tornedalen niemand ein Haus betritt, wenn vor dessen Eingangstür ein Besen gestellt wurde?

Mikael Niemi: Ja, das ist Tradition, wenn ein Besen vor der Tür steht, ist das Haus abgeschlossen.
Bis in die 80er Jahre hinein hat das jeder in Pajala so gemacht. Langsam ändert sich das, aber meine Mutter macht es immer noch, wenn sie zum Beispiel Einkaufen geht.

Interessant ist, dass wir in Pajala eine der niedrigsten Kriminalitätsraten überhaupt haben. Das liegt vielleicht an der hohen Arbeitslosigkeit, die Leute gehen weg und die Kriminellen ebenfalls. Es ist schwierig eine kriminelle Karriere an einem Ort zu machen, wo jeder jeden kennt.

Es gibt auch kaum Drogenkriminalität. Ein junger Mann erzählte mir, dass Händler aus Finnland versuchten, in einer Kneipe Pillen zu verkaufen. Die wurden von den Jugendlichen durch die Scheibe geworfen. Auch Einbrüche in Privatwohnungen sind äußerst selten, wenn überhaupt brechen Leute von auswärts mal in ein Geschäft ein. Aber es gab durchaus schon Mord. In Der Mann der starb wie ein Lachs repräsentiert der Mord allerdings das Auslöschen unserer Sprache und Kultur.

Krimi-Couch: Wie Sie schon angedeutet haben, geht es in »Der Mann, der starb wie ein Lachs« nicht nur um Mord, sondern um die Menschen in Tornedalen. Der bilinguale Gebrauch der Sprachen, Finnisch und Schwedisch, scheint die Bevölkerung in zwei Lager zu teilen; in die, die den Erhalt des Meänkielei (Tornedalen-Finnisch) unterstützen und die, die das nicht wollen.
Was ist denn ihre Sprache? Sind auch Sie hin und her gerissen zwischen den Kulturen, wie einige der Figuren im Buch?

Mikael Niemi: Schwedisch ist meine erste Sprache. Es hat sich in meiner Familie genau so entwickelt, wie im Buch beschrieben. Mein Vater musste Schwedisch in der Schule lernen. Er schämte sich für seine finnische Muttersprache, einfach weil ihm das so beigebracht wurde. Und so entschied er, das mein Bruder und ich Schwedisch lernen sollten, damit wir es leichter hätten. Erst als Erwachsener lernte ich Meänkieli. Es wird nie meine vertrauteste Sprache sein, obwohl ich es gut finde, beide Sprachen zu können und der Kultur dieser Minderheit anzugehören.

Die Unterdrückung unserer Kultur ist das Resultat eines Missverständnisses und die Folgen sind noch nicht überwunden. Als die jetzt finnische Grenze noch die russische war, befürchtete Schweden, wir wollten zu Russland gehören. Aber das war niemals unsere Absicht. Heute wird der Druck nicht mehr vom schwedischen Staat ausgeübt, sondern von uns selbst. Das ist frustrierend, aber auch ein interessanter Stoff für einen Autor. Diesen Typ Mensch, der ihm Buch ermordet wird, der militanter Gegner des Meänkieli, gibt es allerdings. Er stirbt langsam aus, aber noch trifft man gelegentlich auf ihn.

Krimi-Couch: Wie zeigt sich denn diese Unterdrückung, die von den Tornedalenern selbst ausgeht?

Mikael Niemi: Vor einigen Wochen fand eine Versammlung der Bürger und des Stadtrates statt. Es wurde erstmalig angeboten, das Meänkieli gesprochen und übersetzt werden konnte. Lediglich drei Leute haben das genutzt. Es gab viele Proteste in den Zeitungen. Ich war erschüttert und habe die überhaupt nicht verstanden.
Wir waren nie Nationalisten und haben auch nie mit Waffen für unsere Kultur gekämpft. Die politischen Gegebenheiten wurden hingenommen, denn wir waren arm und nicht sehr gebildet.

Erst in neuester Zeit ist eine kleine nationalistische Bewegung entstanden, die eine eigene Flagge und ihren eigenen Pass fordert. Ich bin völlig dagegen und habe das auch in Zeitungen geäußert, denn das ist der falsche Weg. Ich finde, jeder sollte zu Tornedalen gehören, der sich zugehörig fühlt, egal welche Sprache er spricht. Das ist meine Vision.

Krimi-Couch: Wie sehen Sie die Zukunft für ihre Kultur? Wird das Meänkieli in 50 oder 100 Jahren verschwunden sein?

Mikael Niemi: Ja, vielleicht. Wir sind in einer besseren Situation, als andere Minderheiten da wir Finnland im Hintergrund haben. Wenn es eine Nation gibt, die dieselbe Kultur und Sprache hat, ist es einfacher, zB. Literatur zu verfassen. Allerdings sind Finnisch und Meänkieli (Tornedalen-Finnisch) offiziell zwei Sprachen. Beide Sprachgruppen verstehen einander nur bedingt. Es hilft, dass beide Staaten nun in der EU sind. Ich denke, dass der Kontakt über die Grenze einfacher wird, aber die Sprache dennoch verschwindet. Wenn wir sehr viel Pech haben, reden wir in Zukunft alle Englisch miteinander.

Krimi-Couch: Ich würde gern noch etwas mehr über die Charaktere in Der Mann, der starb wie ein Lachs erfahren. Die Beschreibung der Tornedalener aus Therese’ Perspektive fällt anfangs etwas schroff aus. Glauben Sie, dass jemand der aus der Stadt kommt, diese Sichtweise hat?

Mikael Niemi: Es kommt darauf an, was man sehen will. In erster Linie sieht man die Natur und die Wälder. Die Menschen begegnen jedem freundlich, aber sie sind ruhig und ein wenig scheu. Aber wenn man sie besser kennen lernt, sind sie in jeder Hinsicht freundlich und hilfsbereit.

Krimi-Couch: Trägt der eigenwillige Esaias autobiographische Züge?

Mikael Niemi: Zunächst einmal ist jede der Figuren ein wenig autobiographisch, das gilt sogar für den Ermordeten Martin Udde. Udde ist übrigens die schwedische Form meines Nachnamens Niemi. Auch Esaias ist ein Teil von mir. Ich wollte ihn als typischen Tornedalener darstellen, als einen Mann, der gern auf die Jagd geht und mit Maschinen arbeitet. Aber er hat auch eine intellektuelle Seite und ist ein moderner Typ. Er kocht gern indisch und bereitet Sushi in der Sauna zu.
Die Tornedalener sind nicht so einfach zu begreifen, sie können sehr philosophisch sein.

Krimi-Couch: Kommen tatsächlich Polizeikräfte aus Stockholm, wenn es darum geht ein Verbrechen wie Mord zu untersuchen?

Mikael Niemi: Ja, die kommen wirklich aus der Stadt, allerdings nicht aus Stockholm, sondern aus Luleå. Dort gibt es eine Mordkommission und die haben das notwendige technische Equipment. Vor einige Jahren gab es so eine Untersuchung. Ein Tourist wurde erschossen im Wald gefunden, ein Verrückter hatte ihn umgebracht.

Tornedalen ist nicht das Paradies. Auch in unserer Gesellschaft ist Mord natürlich das schlimmste Verbrechen, allerdings ist Stehlen fast genau so schlimm. Wer einmal gestohlen hat, ist für den Rest seines Lebens ein Dieb.

Krimi-Couch: Gibt es andere lebende Vorbilder für die Charaktere?

Mikael Niemi: Als ich anfing, das Buch zu schreiben, habe ich nach passenden Figuren gesucht und bin fündig geworden. [Mikael Niemi zeigt Bilder aus einer Tageszeitung] Diese Dame hier, Rauha Jauhojätvi, entspricht zum Beispiel der Gemeindepflegerin, die den Ermordeten gefunden hat. Ich habe bei dem Pflegedienst angerufen und gesagt, dass ich für mein Buch ein Modell für eine Dame brauche, die einen Mord entdeckt. Frau Jauhojätvi wurde mir empfohlen.

Das ist der Schauplatz des Mordes, Martin Uddes Haus. Ich habe selbst eine Zeit lang dort zur Miete gewohnt.

Hier sehen Sie die Feuerwehr von Pajala, die ja auch zum Einsatz kommt, man wählt tatsächlich die 561 für einen Notruf. Dieser Herr ist der Einsatzleiter Ulf Kyrö, auch ihn habe ich für den Roman übernommen.

Ich habe mir natürlich von allen Personen das Einverständnis geholt und nun sind viele Menschen aus Pajala ein Teil meines Buches geworden.

Krimi-Couch: Herr Niemi, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.
Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit in Köln.

Mikael Niemi: Ich danke Ihnen für das nette Gespräch.

Das Interview führte Eva Bergschneider im März 2008.

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