Kristian Lutze

Kristian Lutze ist aufgewachsen in Düsseldorf, hat nach dem Abitur in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg deutsche, englische und amerikanische Literatur studiert und war danach in Hamburg zwei Jahre als Pressereferent angestellt. Ab Anfang der 1990er hat er als freier Journalist und immer öfter auch als Literaturübersetzer gearbeitet, was seit Mitte der 90er sein Hauptberuf ist. Inzwischen hat Kristian Lutze gut 150 Romane und Sachbücher sowie eine Reihe von Comics übersetzt, die damals noch nicht Graphic Novels hießen.
Seit den frühen 90ern lebt Kristian Lutze bei bzw. in Köln. Seit gut fünfzehn Jahren ist er darüber hinaus als Moderator und Übersetzer von Autor:innen-Lesungen tätig und freut sich, dabei mal von seinem Schreibtisch wegzukommen und spannende und interessante Menschen kennenzulernen. Und wenn er in all dem eine Pause einlegt, hört, sieht und macht er gern Musik.

... je weniger formelhaft und je individueller, origineller, mutiger, kreativer und eigenwilliger Literatur ist, desto weniger wird sie sich von Maschinen kopieren oder in anderen Sprachen nachbilden lassen.

Krimi-Couch:
Wie sind Sie zum Übersetzen gekommen? Und welche Sprachen übersetzen Sie? Was war ihr erster Krimi oder Thriller, den Sie übersetzt haben? Erinnern Sie sich noch an besondere Details aus dieser Zeit?

Kristian Lutze:
Ich übersetze nur aus dem Englischen.

Zum Übersetzen gekommen bin ich über eine von mir verfasste Romanbiographie über Raymond Chandler (Mein Freund Marlowe – Das einsame Leben des Raymond Chandler), die ich Ende der 1980er in einem Hamburger Verlag veröffentlichen durfte, den es heute nicht mehr gibt. Als dann 1989 ein anderer großer Hamburger Verlag den Kriminalroman Zehn Prozent für Marlowe von Hiber Conteris herausbringen wollte, suchte man für die Übersetzung jemanden, der die in dem Roman eingebauten Chandler-Zitate (und nach Möglichkeit auch die Kerouac-Referenzen) als solche erkannte und jeweils die damals kanonischen deutschen Übersetzungen einsetzte.

So hatte ich das große Glück, dass bei meinem ersten übersetzten Buch der Verlag auf mich zugekommen ist und mir die Übersetzung angeboten hat. Und ein Krimi war es auch gleich.

Krimi-Couch:
Können Sie uns einmal grob Ihre Arbeitsweise skizzieren?

Kristian Lutze:

Zunächst lese ich das zu übersetzende Buch immer einmal ganz durch. Nicht nur weil sich gleich am Anfang meiner Übersetzerlaufbahn in einem Roman von Andrew Klavan einmal ein FBI-Agent zehn Seiten vor Schluss als FBI-Agentin entpuppt hat (und ich hatte nicht vorher gelesen …). Sondern vor allem, weil ich dadurch ein Gefühl für den Ton eines Romanes bekomme, was eigentlich das Allerwichtigste ist. Außerdem lerne ich die Figuren und ihre Entwicklung kennen. Dadurch habe ich schon zu Beginn meiner Übersetzung eine Vorstellung, wie sie in Dialogen klingen sollen.

Dann fange ich vorne an und übersetze den Roman Satz für Satz bis zum Ende. Dabei recherchiere ich die so genannten Realien. Also etwa: Wie funktioniert eine Handy-Ortung oder was ist forensische Genealogie? Wie heißen erwähnte Filme, Fernsehserien, Bücher etc. auf Deutsch? Kommen Zitate vor, deren deutsche Übersetzung ich – so vorhanden- finden muss? Gibt es einen historischen Hintergrund oder ein bestimmtes historisches Ereignis, das für die Handlung wichtig ist und in das ich mich zumindest ein wenig einlesen muss?

Diese Recherche ist natürlich mit dem Internet und seinen Suchmaschinen sehr viel leichter geworden. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als  die Verwendung eines ungeläufigen Markennamens im Original einen vor große Probleme gestellt hat …

Gleichzeitig lese ich schon fertige Passagen am Bildschirm noch ein bis zwei Mal durch und in einem letzten Korrekturdurchgang die komplette Übersetzung dann ganz altmodisch ausgedruckt noch einmal im Ganzen.

Dann wird mein Text im Verlag oder von einer freien Lektorin noch einmal lektoriert, die mir unterlaufende Fehler korrigiert, aber auch Vorschläge macht, wie man Dinge treffender oder eleganter ausdrücken kann. Da die allermeisten LektorInnen kluge und einfühlsame Menschen sind,  nehme ich ihre Vorschläge meistens an. Manchmal erkläre ich auch, warum ich auf meiner Formulierung beharren möchte oder wir finden im Austausch eine gemeinsame neue Lösung.  Und dann kann das Buch in Druck gehen.

Krimi-Couch:
Wie müssen wir uns den Austausch zwischen AutorInnen und ÜbersetzerInnen vorstellen? Oder ist das gar nicht immer erforderlich oder möglich?

Kristian Lutze:

Wenn sich die Möglichkeit ergibt, lerne ich „meine“ AutorInnen sehr gern kennen. So sie auf Lesereise nach Deutschland kommen oder sich anderswo die Gelegenheit ergibt, ist eine persönliche Begegnung immer bereichernd. Aber dabei geht es dann eher allgemein um unsere jeweilige Arbeit und selten um ein aktuelles Projekt.

Konkrete Verständnisfragen, die sich nicht durch Recherche klären lassen, ergeben sich nur noch sehr selten, und wenn ist es per Mail oder über soziale Medien normalerweise kein Problem, das mit den AutorInnen kurz abzuklären, die meiner Erfahrung nach prompt, freundlich und hilfsbereit reagieren.

Aber darüber hinaus ist der deutsche Text eben der deutsche Text, und da können mir die in der Regel des Deutschen nicht mächtigen AutorInnen bei den Entscheidungen, die ich beim Übersetzen treffen muss, nur wenig helfen.

Krimi-Couch:
Kulturelle Besonderheiten, die individuelle Sprache des Ursprungswerkes mit umgangssprachlichen Formulierungen, möglicher Zeitdruck des Verlages… Was sind die größten Herausforderungen bei der Übersetzung eines Romans?

Kristian Lutze:

Da würde ich gern unterscheiden zwischen inhaltlichen Herausforderungen und solchen, die sich durch die Produktionsbedingungen ergeben. Zeitdruck ist sehr häufig ein Problem, weil deutsche Verlage die Übersetzung gern möglichst zeitnah oder gar zeitgleich zur Veröffentlichung des Originals herausbringen wollen. Deshalb hat man es bei der Übersetzung inzwischen auch zunehmend mit unterschiedlich fertigen Textfassungen des Originals zu tun, sodass sich bis zum Schluss noch Änderungen ergeben. Das erzeugt eine Menge Druck und ist bisweilen schon mühsam …

Inhaltlich sind die Herausforderungen von Buch zu Buch verschieden.

Immer wieder schwierig ist der Umgang mit regionalen Varianten des Englischen, schottisch, irisch, texanisch oder was auch immer. Afroamerikanisches Englisch oder das jamaikanischen Patois sind im Grunde eigene Sprachen, die nach eigenen komplizierten Regeln funktionieren. Dafür kann man im Deutschen keine Entsprechung finden, und Versuche, so etwas nah am Original nachzubilden, enden schnell in einer Karikatur.

Ebenfalls schwierig: Jargon, Fachsprachen oder Soziolekte spezifischer Berufs-, Interessen- oder Altersgruppen (Rapper, Broker, Biker, Jazzer, Rosenzüchter, etc.)

Kulturelle Besonderheiten zumindest aus dem englischen Sprachraum sind durch zahllose Filme, Fernsehserien und Podcasts international geläufiger geworden, sodass man heute viele Begriffe eher Englisch stehen lassen kann oder je nach Jargon sogar muss, anstatt sich an ungelenken Eindeutschungen zu versuchen.

Sprachlich stellen unterschiedliche Texte einen natürlich vor unterschiedliche Herausforderungen. Manche Romane leben sehr von der Rhythmisierung der Sprache und geben gleichsam eine Melodie vor, für die man einen deutschen Text finden muss. Bei anderen ist es der lexikalisch oder grammatisch eigenwillige Ton der Stimme, die die Geschichte erzählt. Manchmal hört man die deutsche Entsprechung dieser Stimme ganz intuitiv, manchmal muss man mühsam darum ringen, aber wenn man das Gefühl hat, einen passenden Ton gefunden zu haben, ist das immer ein Glücksmoment.

Krimi-Couch:
Übersetzen Sie nur Krimis & Thriller oder auch andere Genre? Haben Sie vielleicht ein Lieblings-Genre?

Kristian Lutze:

Ein „Lieblings-Genre“ habe ich eigentlich nicht. Von den etwas mehr als einhundertfünfzig Büchern, die ich mittlerweile übersetzt habe, sind gut zwei Drittel Kriminalromane. Das hat sich durch meine ersten Übersetzungen und eine Neigung zu dem Genre ergeben.

In meinen ersten Berufsjahren habe ich aber auch eine Reihe von Comic-Alben bzw. Graphic Novels übersetzt, was mir ebenfalls viel Spaß gemacht hat.  Genauso wie die (Auto)-Biografien von diversen Rock-Größen (eine Art zweites Spezialgebiet). Nicht zu vergessen die Jugendbücher, die ich zusammen mit einer Kollegin übersetze.

Und zwischendurch mal einen (Coming of Age-/Liebes-/Theater)-Roman, in dem nicht ein Verbrechen im Mittelpunkt der Handlung steht, finde ich auch schön.

Krimi-Couch:
Technischer Fortschritt, wie Künstliche Intelligenz, verändert auch Ihr Berufsfeld. Wie sehen Sie die Zukunft von Übersetzerinnen und Übersetzern in Deutschland?

Kristian Lutze:

Noch vor einem halben Jahr hätte ich die Frage der Ersetzbarkeit von Übersetzer:innen durch eine KI in die ferne Zukunft verwiesen. Aber die aktuelle allgegenwärtige Diskussion beweist, dass da offensichtlich eine rapide Veränderung stattgefunden hat. Man hört, dass Verlage Manuskripte vor allem bestimmter Genres inzwischen daraufhin prüfen, ob sie von einer KI geschrieben worden sein könnten. Und wenn eine KI solche Texte schreiben kann, wird sie früher oder später auch in der Lage sein, sie zu übersetzen. Der Mensch würde dann nur noch als Redakteur gebraucht, der die Fehler der künstlichen Intelligenz korrigiert.

Schon heute sind DeepL und ChatGPT als sozusagen komplexere Wörterbücher ein nützliches Werkzeug. Aber ich bin weiterhin skeptisch, ob eine KI auf absehbare Zeit in der Lage ist, Ironie, Anspielungen, Wortspiele oder überraschende Bilder und Metaphern zu verstehen, geschweige denn in eine andere Sprache zu übersetzen. Ebenso kalkulierte Regelverletzungen, bewusste Auslassungen, parodistische Sprache, dialektale oder schichtspezifische Varianten der wörtlichen Rede … die Liste kommt einem beruhigend endlos vor: eben die ganze Palette sprachlicher Möglichkeiten, um Gedanken und Gefühle in Geschichten darzustellen.

Das heißt, je weniger formelhaft und je individueller, origineller, mutiger, kreativer und eigenwilliger Literatur ist, desto weniger wird sie sich von Maschinen kopieren oder in anderen Sprachen nachbilden lassen. Das bleibt meine Hoffnung für die Literatur und auch für die jüngeren Kolleg:innen.

Krimi-Couch:
Dürfen Sie uns etwas über ihre aktuelle Arbeit erzählen?

Kristian Lutze:

In diesen Tagen geht nach letzten Korrekturen der 5. Band der bei Hoffmann & Campe erscheinenden Reihe um Detective Chief Inspector Jonah Sheens und sein Team von Gytha Lodge in Druck. Der Roman wird im Juli unter dem Titel „Sobald ihr mich erkennt“ erscheinen und beschäftigt sich mit dem Thema forensische Genealogie. 

Und bald soll das Manuskript des neuen Romans von Michael Robotham vorliegen. Noch weiß ich nicht, ob es eine Fortsetzung der Geschichte um den Psychologen Cyrus Haven und sein “Mündel” Evie Cormac oder ein Roman außerhalb der Reihe ist. Aber nachdem ich bisher alle Romane von Michael Robotham übersetzt habe, weiß ich, dass es bestimmt ein tolles Buch werden wird, das dann vermutlich im Frühjahr 2024 im Goldmann-Verlag erscheint.

Das Interview haben wir im April 2023 geführt.
Foto: © Kristian Lutze / privat

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