Tödliches Dunkel

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2008
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  • London: Michael Joseph, 2007, Titel: 'Down into darkness', Seiten: 399, Originalsprache
  • München: Knaur, 2008, Seiten: 510, Übersetzt: Sigrun Zühlke
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Wolfgang Weninger
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2008

Eine Decke aus Depression und Resignation

AbsatHinter dem Pseudonym David Lawrence verbirgt sich niemand Geringerer als das mehrfach preisgekrönte britische Multitalent David Harsent, unter Anderem bekannt für sein Libretto der Oper Der Minotaurus von Harrison Birtwhistle. Seine poetische Ader, für die er mehrfach den T. S. Elliot-Preis bekam, kommt stellenweise auch in Down into Darkness deutlich durch, das im Knaur Taschenbuchverlag als Tödliches Dunkel mit dem Hinweis "Psychothriller" vermarktet wird.

Das Tödliche Dunkel greift allerdings auf seinen über 500 Seiten keineswegs die Nerven des Lesers an. Wenn man überhaupt das Attribut "Psycho" verwenden will, dann trifft dies höchstens auf die gestörten Psychogramme der beiden Hauptfiguren zu, von denen eines dem sehr schnell vorgestellten Täter Gideon Woolf gehört, der sich selbst nach einer Figur aus einem Ego-Shooter als Silent Wolf sieht, und das Andere eindeutig der Hauptermittlerin Detective Sergeant Stella Mooney zuzuordnen ist, der leitenden Mitarbeiterin der Sondereinheit AMIP 5.

David Lawrence lässt den Silent Wolf-Verschnitt zu Beginn eine junge Prostituierte killen und in einen Baum hängen, danach wird einem Mann die Gurgel durchgeschnitten, der im Dunstkreis der lokalen Politik seine unsauberen Geschäfte macht. Alles sieht danach aus, als wäre hier jemand auf einem Rachefeldzug gegen Menschen, die in ihrem Leben nicht ganz sauber gehandelt haben.

DS Stella Mooney ist genau in dem Ambiente groß geworden, in dem dieser Roman spielt. Harefield Estate im Norden Londons ist der Brennpunkt einer Subkultur, in der sich das Verbrechen ungehindert ausbreiten kann. Prostitution, Glückspiel, Drogenhandel, Ringkämpfe bis zum Tod und was man sich sonst noch an Illegalem vorstellen kann, beherrschen die Wohnghettos. Und diese Vergangenheit mit einer versoffenen Mutter und deren Freunden und die Konfrontation mit der ständig präsenten Gewalt haben ihr Innerstes geprägt. Mooney ist ein Fall für den Psychiater und den braucht sie auch während dieses Falls ständig.

Dazu kommt ihre Unfähigkeit zu einer geregelten Partnerschaft und ihre leichten Turbulenzen mit den Kollegen, denen sie (in drei Vorgängerromanen) gelegentlich ihre Gunst geschenkt hat. Ihr gegenwärtiger Begleiter ist ein abgehalfteter Kriegsberichterstatter, der jetzt für die Boulevardpresse eine Serie über die Reichen und Schönen durchziehen soll und doch wieder vom Einsatz im Krisengebiet träumt. Kein Wunder, dass Miss Mooney ihre Störungen fast genauso intensiv im tödlichen Dunkel auslebt, wie Silent Wolf, der seiner Berufung als Rächer nachgeht.

Leider hat die gesamte Sondereinheit trotz Einsatz sämtlicher Mittel nicht die geringste Ahnung, wer der Täter ist und was der Täter vorhat. Es bleibt also nur die Möglichkeit darauf zu warten, dass der Killer einen Fehler macht ...

Bis es so weit kommt, lebt der Leser in erster Instanz von den grandiosen Milieuschilderungen des Harefield Estate, die dem Autor wirklich dicht gelungen sind. Der Schmelztiegel der Gewalt und die Schilderungen, wie die dort Lebenden ihren Alltag zwischen schmutzigem Geschäft und traurigem Dahinsiechen verbringen, zeigt deutlich, dass Lawrence es brillant versteht Bilder im Kopf zu erzeugen.

Dazwischen bewegen sich vorwiegend verkorkste Typen, egal ob Männlein oder Weiblein und der Unterschied zwischen den Guten und den Bösen ist im Prinzip minimal und nur durch den Dienstgrad vorgegeben. Rundum legt sich über den gesamten Roman eine Decke aus Depression und Resignation, die schon fast an skandinavische Krimis erinnert, aber in diesem Krimi doch deutlich lebendiger geschildert wird.

Im Endeffekt kann die Handlung nicht überzeugen. Der Leser fiebert mehr mit dem Mörder und seiner neuen Liebe mit als mit den Ermittlern. Die Spannung, die eigentlich sehr effizient beginnt, hält sich im weiteren Verlauf in bescheidenen Grenzen und man wartet über lange Zeit auf die endgültige Konfrontation zwischen Täter und Polizei, die allerdings nicht so energiegeladen ausfällt, wie man sie sich als Höhepunkt gewünscht hätte.

Übrig bleibt eine Milieustudie mit zwei Psychogrammen aus der Feder eines Mannes, der schon deutlich Besseres abgeliefert hat. Wer die (kaum vorhandene) Weiterentwicklung von Stella Mooney nach den ersten drei Bänden verfolgen will, wird wahrscheinlich nach diesem Buch greifen. Wer atmosphärisch dichte Bilder lesen will, wird wahrscheinlich Gefallen daran finden. Und wer Spannung sucht, darf getrost die Finger von diesem Buch lassen.

Tödliches Dunkel

David Lawrence, Knaur

Tödliches Dunkel

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