Wiener Blut

  • btb
  • Erschienen: Januar 2007
  • 7
  • London: Century, 2006, Titel: 'Vienna Blood', Originalsprache
  • München: btb, 2007, Seiten: 537, Übersetzt: Lotta Rüegger und Holger Wolandt
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Wolfgang Weninger
40°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2007

Vorhersehbare Krimis machen keinen Lesespaß

Hildegard, ein besonders schönes Exemplar der Gattung Eunectes murinus war die Lieblingsanakonda von Kaiser Franz Joseph. Bei einem brutalen Anschlag auf das Tier wird im Tiergarten Schönbrunn nicht nur der Wärter niedergeschlagen, sondern die Würgeschlange kunstvoll in drei Teile zerlegt. Und Inspektor Rheinhardt von der Wiener Polizei hat nunmehr die undankbare Aufgabe den Urheber dieses Attentats zu finden.

Kurz darauf wird in einem Bordell am Spittelberg ein Massaker gemeldet. Inspektor Rheinhardt und sein Assistent Hausmann finden vier ausländische Prostituierte abgeschlachtet an deren Arbeitsplatz. Erstochen, geköpft, an den Genitalien verstümmelt, mit aufgeschlitztem Bauch ... und die Besucher der Damen rekrutierten sich in erster Linie aus der Besatzung der nahe liegenden Kaserne, die allesamt mit ihren Säbeln ausgezeichnet umgehen können.

Als Rheinhardt seinen Freund, den Psychoanalytiker Max Liebermann in die Vorgänge einweiht, bemerkt dieser sofort Parallelen zu den Vorkommnissen in London, die einen gewissen Jack the Ripper als Urheber haben ....

Frank Tallis hat den zweiten Teil seiner Max-Liebermann-Trilogie bei btb veröffentlicht. In der Übersetzung von Lotta Rüeger und Holger Wolandt ist dieser Max Liebermann in Wiener Blut allerdings nicht mit dem gleichnamigen jüdischen Maler identisch, der ebenfalls um die Jahrhundertwende gelebt hat, allerdings in Berlin.

Der Autor lässt seinen Liebermann in die Fußstapfen Sigmund Freuds treten, dessen Schüler er auch ist und in dessen Wohnung in der Berggasse sich auch eine wichtige Episode des Romans abspielt.

War der erste Teil schon eine etwas krampfhaft inszenierte Geschichte, die im Wesentlichen vom Lokalkolorit und dem sympathischen Ermittlerduo Rheinhardt und Liebermann gelebt hat, so bedient sich Wiener Blut aller gängigen Serienkrimiklischees, angefangen von Jack the Ripper bis zu den immer suspekten Geheimbünden, die angeblich Wien an jeder Ecke durchsetzen. Die beginnende Arierverherrlichung und damit verbundenen Hetztendenzen liefern ein weiteres Stilmittel, um die Geschichte und Geschichten aus Wien möglichst konfus in die Handlung einfließen zu lassen.

Und bei dieser Handlung hat sich der britische Psychologe und Schriftsteller Frank Tallis wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Trotz brutalem Killerambiente plätschert die Story reichlich fad vor sich hin. Rheinhardt hat von Anfang an keinerlei Ahnung und Liebermann operiert per Ferndiagnose, während ihm seine Verlobte mittlerweile nicht mehr als erste Wahl erscheint und er seinen eigenen Geisteszustand erst ein Mal unter Kontrolle bringen muss.

Der Reiz des Ambientes aus dem Wien um die vorige Jahrhundertwende, der im ersten Band "Die Liebermann-Papiere" noch als Pluspunkt bei der Beurteilung der Lektüre konstatiert wurde, ist im Endeffekt bei Wiener Blut völlig aufgebraucht. Auch wenn hier Husaren und ihre Duelle, Musikantenkrieg zwischen Mozartfans und Wagneranhängern, Emanzipationsprobleme an der medizinischen Fakultät und viele andere Elemente in den Roman einfließen, so ist das alles eher als literarisches Füllmaterial zu sehen, das den fehlenden Spannungsbogen auf über 500 Seiten leider nicht ersetzen kann.

Die Lösung des Kriminalfalles ist nicht sonderlich spektakulär und der geübte Krimileser wird nicht viel Mühe haben, den wirklichen Täter recht bald geortet zu haben, trotzdem sich der Autor Mühe gegeben hat, bis zum Schluss auch noch andere Verdächtige zu präsentieren.

Im Endeffekt ist Wiener Blut eine kaum mittelmäßige Fortsetzung, die der Erwartungshaltung nach dem ersten Teil leider nicht gerecht werden kann. Und was die Person des Max Liebermann betrifft, so kann man jetzt schon Wetten abschließen, wie sich dessen Umstände im dritten Teil entwickeln werden, zumindest, was sein Liebesleben betrifft. Wenn nicht ein Paukenschlag erfolgt, dann ist die Entwicklung des Titelhelden vorhersehbar. Und vorhersehbare Krimis machen zumeist keinen großen Lesespaß.

Wiener Blut

Frank Tallis, btb

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