Old Bones (4) - Das neunte Opfer
- Knaur
- Erschienen: März 2025
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Es kam aus dem Wald und über sie.
Die Manzano Mountains sind eine kleine, raue Gebirgsformation im Zentrum des US-Staates New Mexico südlich der Stadt Albuquerque. Große Teile der Region wurden für Besucher gesperrt, was nicht nur dem Umweltschutz geschuldet ist: American Natives haben Felshöhlen als Begräbnisstätten genutzt, und ihre Nachfahren achten sorgfältig darauf, dass diese Orte nicht gestört werden.
Zwei betrunken und bekifft in der Wildnis gestrandete Studenten schlüpfen in einer kalten Spätherbstnacht in einer dieser Höhlen unter. Dort beschädigen sie alte Gräber, stolpern aber auch über zwei Leichen, die nachweislich erst seit 15 Jahren dort liegen können: Damals verschwand eine neunköpfige Wandergruppe in den Manzano Mountains. Sechs zum Teil bizarr entstellte Leichen konnten später geborgen werden, drei Mitglieder blieben verschollen.
Die Archäologin Dr. Nora Kelly soll eigentlich nur die ‚alten‘ Leichen bergen. Weil sie das FBI und hier die ihr bekannte Agentin Corrie Swanson um Hilfe bittet, beteiligt sie sich auch an den Ermittlungen. Damals hatte der Fall „Dead Mountain“ viel Staub aufgewirbelt und das FBI und die lokalen Polizeibehörden schlecht dastehen lassen. Nun soll endgültig geklärt werden, was geschehen ist.
Das neunte und letzte Mitglied der Gruppe - ebenfalls Opfer oder Täter? - wird weiterhin gesucht. Die Nachforschungen sind aufgrund des unzugänglichen Geländes und der fortgeschrittenen Jahreszeit schwierig. Darüber hinaus scheinen im Umfeld des „Dead Mountains“ Kräfte wirksam zu sein, die neuerliche Nachforschungen auf keinen Fall dulden wollen ...
Hauruck-Bestseller
Wenn man wie Douglas Preston und Lincoln Child seit Jahrzehnten mindestens zwei Action-Mystery-Thriller per annum auf den Buchmarkt wirft, hat man nicht die Zeit, originell zu sein. Professionelle Routine kann dies zum Teil ausgleichen, aber irgendwann ist es dennoch soweit: Um Terminvorgaben halten zu können, muss ‚ökonomisch geschrieben‘, also geschludert werden.
Der vierte Teil der „Old-Bones“-Serie ist ein trauriges Beispiel für diese Praxis. Ohne die flinke Feder des Autorenduos würde man die Lektüre spätestens im letzten Drittel des Geschehens aufgeben, als endgültig klar wird, mit welcher Dreistigkeit Preston & Child dieses Garn auf die vorab vereinbarte Seitenzahl bringen. Wie schon im Vorgängerband haben sie sich für den Plot nicht nur von der Realität inspirieren lassen, sondern diesen einfach adaptiert bzw. 1 : 1 übernommen.
Das „Dead-Mountain“-Mysterium ist die Kopie eines historischen Rätsels, das seit 1959 durch viele Hirne geistert, aber bis heute nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte. Diese Ereignisse spielten sich nicht in den USA, sondern in der damaligen Sowjetunion ab. Im Februar des genannten Jahres begaben sich neun junge Männer und Frauen auf eine winterliche Ski-Wanderung durch den Norden des Ural-Gebirges. Irgendwann wurden sie vermisst, und später fand man ihre Leichen unter Umständen, die Preston & Child exakt kopiert haben.
Nachforscher und Spökenkieker
Das Djatlow-Ereignis leidet unter einem Ansturm von Verschwörungstheoretikern und Spinnern, die als Ursache der Tragödie vertuschte Geheimnisse der Sowjetregierung sowie das nächtliche Auftauchen gruseliger Waldmonster und/oder UFOs ins Spiel bringen. Dies sorgt für einen Motivschatz, den Preston & Child gern bergen. Viele Seiten können sie dreschen, indem sie schlicht nacherzählen, welche Mythen sich um das Djatlow-Drama ranken, wobei sie diese für die USA umdichten; viel Arbeit ist das nicht, denn die Manzano Mountains sind topografisch und klimatisch dem Ural ähnlich genug. Ansonsten picken sie sich heraus, was sich ‚erklären‘ lässt, wobei sie die Fakten so drehen, dass sie sich ihren Theorien anpassen.
Für einen Roman reicht dieser Stoff nicht. Deshalb flechten Preston & Child - und nun darf man wirklich böse werden - zwei Handlungs-Nebenstränge ein, die mit dem Primärgeschehen rein gar nichts zu tun haben! Das merkt man lange nicht, da das Autorenduo einige erzählerische Klimmzüge macht, um Personen einzuführen und Geschehnisse zu beschreiben, die entweder ins Nichts laufen oder sich als reiner Füllstoff erweisen. In diese Kategorie fallen die Aktivitäten einer Hinterbliebenengruppe, die hinter dem Verschwinden ihrer Kinder eine Verschwörung der Regierung vermuten und allerlei Störmanöver einleiten. Als Leser wartet man vergeblich darauf, dass sich daraus eine handlungsrelevante Komplikation der ohnehin komplizierten Ermittlungen ergibt.
Einfach nur ärgerlich ist das ‚dramatische‘ Schicksal einer Nebenfigur, die von einem korrupten Sheriff in eine Falle gelockt wird und unschuldig zu einer hohen Haftstrafe verurteilt zu werden droht. Zum traurigen Kasperle-Theater wird dies durch deutlich zutage tretende Figurenschwächen: Nora Kellys Bruder „Skip“, der schon in den früheren Bänden der Serie unangenehm auffiel, ist mehr denn je ein Trottel, der sich wie ein Kleinkind benimmt und greinend an seine große Schwester klammert, sobald er wieder einmal Mist gebaut, Sheriff „One-Balley“ [= „Nur-ein-Ei“] Hawley eine Schießbudenfigur als feister, intriganter Provinz-Warlord. Preston & Child schrecken nicht einmal davor zurück, als Retter in der Not sehr offensichtlich woke moderne, vornehm-edelmütige „American Natives“ auftreten zu lassen.
Sieg für US-amerikanische Gerechtigkeit!
Generell bleibt das Figurenprofil flach. Nora Kelly und Corrie Swanson sind Gutmenschen, die in ihren Jobs (FBI bzw. Archäologie) aufgehen und nicht gewillt sind, Vertuschungen seitens übergeordneter Mächte in Kauf zu nehmen. Die werden hier vergleichsweise aufwändig eingefädelt, während solche Manipulationen im modernen Trump-Staat inzwischen ganz offen betrieben werden. Von Raffinesse kann man trotzdem an keiner Stelle sprechen.
Als weiser, aber vom Leben gezauster Mentor tritt Special Agent Sharp auf, der allerdings wie eine blasse Kopie seines Kollegen Aloysius Pendergast wirkt. Dieser bestreitet seine eigene Buchreihe, die von Preston & Child ebenfalls fleißig mit weiteren Bänden bestückt wird. Ansonsten treffen wir gesichtslos bleibende Figuren, die tun oder sagen, was gerade erforderlich ist, um dann in der Versenkung zu verschwinden.
Die Auflösung des Rätsels ist so, wie die Autoren die Fakten zurechtgebogen haben, halbwegs schlüssig, wenn auch völlig aus der Luft gegriffen. Das sollte man diesem Roman allerdings nicht vorwerfen, denn das freie Spiel mit dem Ominösen und dessen Verquickung mit Real-Klischees - Politiker und Konzernbosse sind korrupt, „echte“ Wissenschaftler altruistisch, Natives bessere Menschen usw. - ist Teil eines Konzepts. In diesem Punkt sollte man die Werke von Preston & Child auf eine Stufe mit jenen Serien stellen, die von zahlreichen Streaming-Sender versendet werden. Unterhaltung kann sich von der Realität abkoppeln. Für dumm verkaufen darf man sein Publikum allerdings nicht!
Fazit
Aus ‚entliehenen‘ Mythen und Klischees zusammengeschusterter Mystery-Thriller, der ungeachtet seiner formalen Qualitäten inhaltlich nur Stroh drischt und dabei passagenweise eine Schlagzahl erreicht, die beim Leser ehrlichen Unmut hervorruft: reines Routineprodukt, das pünktlich eine erfolgreich laufende Serie verlängert.

Douglas Preston & Lincoln Child, Knaur
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