Achtsam morden im Hier und Jetzt

  • Heyne
  • Erschienen: September 2022
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Sabine Bongenberg
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2022

Was der Therapeut verschweigt

Björn Diemel ist irritiert. Seit Jahren besucht er seinen Therapeuten Joschka Breitner und immer erschien der ihm, wie ein Fels in der Brandung. Aber beim letzten Besuch scheint der Fels ein paar Risse zu haben oder wird vielleicht unterspült, denn von der soliden, heiteren und eloquenten Gelassenheit ist nicht mehr viel zu spüren. Dabei hätte Diemel doch so einiges anzusprechen, wie allem voran die Einschulung von Tochter Emily, die alte Verletzungen aus seiner eigenen Kindheit aufzureißen droht.

Gut, dass Breitner immerhin doch ein wenig „vorgearbeitet“ hat und gut sichtbar eine Zeitschrift mit einem schön bebilderten Artikel über Tantra Sex platziert hat. Natürlich ist Diemel ein wenig überrascht, hatte er doch mit Sex in letzter Zeit eher wenig am Hut - aber wenn sein Therapeut es so meint…Eins, zwei, drei stolpert unser Held in Wahrheiten über Tantra-Kurse, erfährt so einiges über arrogante Sexualtherapeuten und taucht tief in die alte Welt der Bhagwan-Jünger ein, die in den Achtzigern so manches Straßenbild prägten. Überrascht lernt Björn, dass auch sein Therapeut Joschka Breitner tief in diese Szene verstrickt war und offensichtlich mit dieser Geschichte noch nicht ganz abgeschlossen hat. Ehrlich gesagt, hat er offensichtlich er mit diversen Geschichten nicht abgeschlossen, denn wie sonst ließe es sich erklärten, dass er plötzlich zur Zielscheibe von Verbrechen wird und Diemel, der ihm nur helfen wollte, plötzlich mit einer Leiche da steht und keine Ahnung hat, wie er die loswerden soll?

Kennst du dein Gegenüber eigentlich richtig?

Karsten Dusse stellt uns in seinem vierten Band der „Achtsam morden“ Reihe einen mittlerweile recht gefestigten Björn Diemel vor. Sicher – im Alltag da lauert immer noch die eine oder andere Unwägbarkeit, aber dennoch ist er mit vielen Strategien und Achtsamkeitsübungen allerbestens gewappnet, um seinen Weg zu gehen. Es ist also in diesem Band nicht mehr Diemel, der besonders im Fokus des Lesers steht. Dieses Mal geht es insbesondere um Joschka Breitner, der – wie ein Tagebuch verrät – auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann.

Dusse führt den Leser damit zurück in die Achtziger Jahre und insbesondere in die Bewegung um Chandra Mohan Jain, der vielen unter dem Namen „Bhagwan“ wesentlich besser bekannt sein dürfte. Sicher kann der Autor nicht alles über die Bewegung erklären, dennoch gelingt es ihm hier aber einiges aus der damaligen Gefühlswelt der Sanyasins – wie sich die Anhänger Bhagwans nannten – zu beschreiben und auch aus der Faszination zu vermitteln. Dusse gelingt es hier aus zwei Welten zu erzählen: Aus der Welt Joschka Breitners, der als Kind seiner Zeit nach dem Lebenssinn suchte und aus dem Erleben Björn Diemels, der im Hier und Jetzt lebend so einiges mit Zynismus und Unverständnis betrachtet und immer wieder wohldosierte und komische Spitzen gegen einige Gesellschaftsentwicklungen abfeuert.

„Ich sah einen Kieselstein, ungefähr so groß wie eine Kastanie, der vor mir auf dem Gehweg lag. Ich wollte erfahren, wie es sich in meinem Schuh anfühlt, den Stein ein wenig vor mir herzukicken und dabei auf das Geräusch zu achten, das ein Stein verursacht, der über Betonplatten kullert…. Das folgende Geräusch war nicht das, was Stein auf Beton verursacht. Es klang eher nach Stein auf Wagentür.“

Karsten Dusse hat diesen Roman langsam und ausführlich erzählt und manchem Diemel-Fan der ersten Bände wird es hier möglicherweise nicht gefallen, dass dieser Held tatsächlich etwas kurz weg kommt. So wird hier über Freund und „Faktotum“ Sascha relativ wenig berichtet, auch die Nebengewerbe werden nur in Nebensätzen erwähnt.

Dennoch gefiel mit gerade die Fokussierung auf ein neues Thema sehr gut, hatten wir doch in den letzten Bänden schon sehr viel über Diemels Vergangenheit und Seelenleben erfahren. Nicht so glücklich war ich mit dem Auftakt der Geschichte, der für meinen Geschmack keine nachvollziehbaren Gründe dafür lieferte, warum sich plötzlich jemand für Tantra-Sex interessieren sollte und manchmal war mir ein angedachter Mord bzw. ein Verfahren zur Beseitigung eines Körpers dann doch ein wenig zu technisch. Aber das sind auch schon die Kritikpunkte, die mir auffielen. Besonders gut gefiel mir an dem Roman dagegen, dass er neugierig macht, doch noch einmal ein bisschen mehr über Bhagwan und seine Bewegung zu erfahren.

Fazit

Augenzwinkernd bringt Karsten Dusse zwei weltumspannende Bewegungen zusammen: Die der Sanyaisins, die seinerzeit vielleicht manchmal zu kritiklos ihrem Guru folgten, und die der modernen Gesellschaft, die vielleicht genauso kritiklos neuen Richtungen folgt. Mittendrin finden wir unseren altbekannten Björn Diemel, der sehr gelassen und selbstironisch seine Spitzen gegen viele Entwicklungen abfeuert. Hier wird eine neue, spannende Richtung eingeschlagen und die Welt der achtsamen Mörder wieder einmal erweitert und lebendig erzählt.

Achtsam morden im Hier und Jetzt

Karsten Dusse, Heyne

Achtsam morden im Hier und Jetzt

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