Das Bild der Toten

  • Heyne
  • Erschienen: September 2023
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- Die Rekke-Vargas-Reihe 2

- Hardcover

- 500 Seiten

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Thomas Gisbertz
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2024

Vielversprechende Idee, aber schwächere Umsetzung.

Gerade erst ist die smarte Polizistin Micaela Vargas nach dem ersten gemeinsamen Fall beim brillanten, aber exzentrischen Psychologen Hans Rekke eingezogen, als sie es bereits wieder bereut und am liebsten ihre Sachen packen würde. Doch zunächst soll noch der aktuelle Fall gelöst werden: Es geht um die vor vielen Jahren verschwundene und später für tot erklärte Claire Lidman, die nun womöglich auf einem erst kürzlich aufgenommen Urlaubsfoto aus Venedig zu sehen ist. Auch wenn Micaela begründete Zweifel daran hat, dass die Frau tatsächlich noch am Leben ist, reizt sie irgendetwas am Fall. Die Ermittlungen überschneiden sich unerwarteter Weise mit dem Privatleben Rekkes und Vargas'. Denn es gibt einen gefährlichen Menschen aus der Vergangenheit des Psychologen, der auf Rache sinnt. Aber welche Rolle spielt die vermeintlich wieder aufgetauchte Claire Lidman in dessen teuflischem Plan?

Fortsetzung der Trilogie

Größere Bekanntheit erwarb Autor David Lagercrantz 2013, als er vom schwedischen Originalverlag und der Familie des verstorbenen Bestsellerautors der „Millenium-Trilogie“, Stieg Larsson, ausgewählt wurde, die Folgeromane um den Journalisten Mikael Blomqvist und die extravagante Lisbeth Salander zu schreiben. Nach dem dritten Band übergab er 2022 den Staffelstab an Karin Smirnoff, die die Millennium-Reihe nun fortsetzt.

Der vorliegende Thriller „Das Bild der Toten“ ist nach „Der Mann aus dem Schatten“ der zweite Roman einer Trilogie um den Psychologen Hans Rekke und die junge, ehrgeizige Polizistin Micaela Vargas. Unverkennbar orientiert sich der schwedische Autor dabei am bekannten Detektiv Sherlock Holmes des Briten Arthur Conan Doyle. Was den einen Leser abschrecken dürfte, wird den anderen begeistern. Während es Langercratz im ersten Band noch gelang, dem „alten Sherlock“ neues Leben einzuhauchen, geht ihm diesmal doch mächtig die Puste aus.

Gut gegen Böse

Ein genialer, aber exzentrischer Detektiv aus wohlhabendem Hause, eine treue Gefährtin, die dem Ermittler trotz so mancher Eigenart zur Seite steht, ein Bruder, der als Staatssekretär und engster Mitarbeiter des Außenministers enge Kontakte zur Regierung besitzt, und eine fürsorgliche Haushälterin, die sich um den „Meisterermittler“ kümmert: Die Bezüge zur Welt des bekannten englischen Detektivs sind zahlreich. Was beiden Detektivfiguren aber vor allem gemeinsam ist: Sie arbeiten als Berater der Polizei, handeln in ihrer überheblichen, teilweise arroganten Art stets nach ihren eigenen Regeln, besitzen eine exzellente Beobachtungsgabe und leiden unter einer bipolaren Störung, die sie medikamenten- und drogenabhängig macht. Der „moderne Holmes“ Hans Rekke hat allerdings eine Tochter, die ihm diesmal so manchen Kummer bereitet. Gleiches gilt für Vargas, deren Bruder ins kriminelle Milieu abgerutscht ist.

Diesmal taucht auch zum ersten Mal Rekkes Widersacher Gabor Morovia, der Spross einer ungarischen Einwanderfamilie, auf, den er bereits als 12-Jähriger in Wien kennen lernte. Rekke ist Morovia vom Wesen her ähnlich und gleichzeitig sein Gegenstück. Dem empathielosen, eiskalten Ungarn werden Kontakte zu zahlreichen Verbrecherorganisationen nachgesagt, dennoch scheint er nicht greifbar zu sein. Morovia ist der Ansicht, dass die Familie Rekke Schuld an seinem ganz persönlichen Unglück trägt und dass damit jedes Verbrechen gerechtfertigt ist, um dieses Unrecht zu rächen. Auch wenn sich Morovia für den klügsten Menschen hält, sieht er in Rekke einen Kontrahenten, den er ebenso bewundert wie hasst. Die Figur des skrupellosen Gabor soll natürlich an das kriminelle Gehirn eines Professor Moriaty erinnern, zumal beide mathematische Genies sind.

Wenig einfallsreich

Das Duell beider Superhirne hat sicherlich seinen Reiz, leider nutzt David Lagercrantz dies aber zu wenig. So liegen die wirklich spannenden Aufeinandertreffen der beiden schon viele Jahre zurück. Dabei sind es aber gerade diese Rückblenden im Roman, die sehr lesenswert, spannend und unterhaltsam sind. In der Gegenwart wirkt Rekke leider geradezu lethargisch. Seine Jagd auf den Widersacher und die Suche nach der Wahrheit um die verschwundene Claire Lidman beschränkt der Psychologe auf das Stadtgebiet von Stockholm. Die Verbrecher müssen schon zu ihm kommen - was diese natürlich auch machen.

Im Gegensatz zum ersten Band der Trilogie erscheint sein Auftreten deutlich weniger exzentrisch, wirklich „geniale“ Momente hat er ebenso nicht. Eher stellt er in Form so mancher Kaffeesatzleserei die abenteuerlichsten Behauptungen auf, wenn es zum Beispiel um die Bewertung des Urlaubsfotos geht. Leider überhebt sich Lagercratz diesmal am Versuch, die literarische Vorlage von Doyle in die Moderne zu übertragen. Rekke als besorgter Vater wirkt ebenso unglaubwürdig wie die unfassbar peinlichen Dialoge seines Bruders Magnus bei einem Treffen mit Wladimir Putin. Zum Glück gibt es aber die selbstbewusste Micaela Vargas, die neben dem Fall auch im Konflikt mit ihrem Bruder und den Diskussionen mit der Mutter ihre „Frau“ steht. Die taffe, gleichzeitig an ihre Grenzen stoßende Ermittlerin ist die eigentliche Hauptfigur. Alleine für sie lohnt sich die Lektüre des Romans.

Fazit

Ein insgesamt solider Thriller, der phasenweise äußerst packend ist, aber die hohen Erwartungen nach dem ersten Band der Reihe nicht erfüllen kann. Weder die Handlung noch die Figurendarstellung und Sprache können restlos überzeugen. Die „gegenwärtige“ Handlung wirkt mitunter etwas langatmig, während die Retrospektiven durchaus spannend geschrieben sind. „Das Bild der Toten“ wirkt leider wie ein Übergangsroman zum hoffentlich packenden Finale im letzten Band der Trilogie.

Das Bild der Toten

David Lagercrantz, Heyne

Das Bild der Toten

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