Die goldenen Spinnen

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: März 2020
  • 2

Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Golden Spiders“
- New York : Viking Press 1953
- Frankfurt/Main : Nest Verlag 1955. Übersetzung: Peter Fischer. [keine ISBN]. 239 Seiten
- Frankfurt/Main : Ullstein Verlag 1960. Übersetzung: Peter Fischer. [keine ISBN]. 188 Seiten
- München : Goldmann Verlag 1967. Übersetzung: Peter Fischer. [keine ISBN]. 169 Seiten
- Stuttgart : Verlag Klett Cotta 2020. Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence. ISBN-13: 978-3-608-96390-8. 256 Seiten
- Stuttgart : Verlag Klett Cotta 2020. Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence. ISBN-13: 978-3-608-11605-2. 3,42 MB [ePUB]

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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2020

Nero Wolfe jagt Schakale

Der aktuelle Fall des Detektiv-Gespanns Nero Wolfe und Archie Goodwin beginnt scheinbar als Witz, denn der zwölfjährige Pete Drossow erzählt eine eher abenteuerliche als glaubhafte Geschichte: Aus einem kurz haltenden Wagen habe ihn eine Frau mit auffälligen Goldspinnen-Ohrringen um Hilfe gebeten; dann habe der Fahrer ihr mit einer Waffe gedroht und sei davongefahren.

Zwar halten die Detektive Petes Aussage schriftlich fest, doch dass der Junge die Wahrheit erzählt hat, wird ihnen erst bewusst, als Pete am nächsten Tag von einem Wagen überrollt und getötet wird. Mit letzter Kraft hat er Wolfe und Goodwin mit der Klärung des eigenen Mordes beauftragt. Sogar Wolfe hat ein schlechtes Gewissen. Seine Motivation steigert sich, als ihn die Polizei verhört sowie darüber informiert, dass nicht nur Pete, sondern kurz darauf auch Matthew Birch, ein Agent im Dienst der Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde, überfahren und umgebracht wurde.

Nun meldet sich die Witwe Laura Fromm bei Wolfe. Sie kennt die Frau, die Pete um Hilfe angefleht hat, bittet sich aber eine kurze Frist aus, um selbst einige Fragen zu klären, bevor sie Wolfe Rede und Antwort stehen will. Am nächsten Tag ist auch Laura tot; sie wurde erschlagen.

Die Polizei legt sich ins Zeug, denn Mrs. Fromm war reich, prominent und eine großzügige Stütze der Flüchtlingshilfe. Wolfe aktiviert sein gesamtes Team für eigene Ermittlungen. Er stößt auf eine Verschwörung, die gezielt Flüchtlinge erpresst. Die Fahndung nach den sorgfältig getarnten Hintermännern bleibt lange erfolglos, bis Wolfe sie im Rahmen einer seiner gefürchteten Zusammenkünfte sämtlicher Verdächtiger entlarvt …

Gefühlsarmer Mann mit emotionaler Achillessehne

Der 25. Roman mit Nero Wolfe und Archie Goodwin ist erstaunlich unterhaltsam geraten, wenn man sich vor Augen führt, wie lange die Reihe 1953 bereits lief. Natürlich sind Verschleißerscheinungen erkennbar, die Autor Stout jedoch als „running gags“ präsentiert: Wolfe & Goodwin sind nicht nur ein Detektiv-Gespann, sondern ähneln auch einem alten Ehepaar, dessen Umgang von Eigenheiten geprägt ist, die nur die Eingeweihten kennen. Zu denen zählen zumindest die treuen Stout-Leser.

Der Plot ist eher kompliziert als nachvollziehbar, aber der erfahrene Stout hat sein Publikum fest an der Angel, auch wenn wieder einmal nur Nero Wolfe das kriminelle Durcheinander zu lichten vermag. Zumindest nachträglich schenkt man seinen nun plausiblen Erklärungen Glauben, während zwischenzeitlich Archie Goodwin - und erst recht die Polizei - den Faden verliert.

Wir erfahren, nur mäßig erstaunt, dass die Obrigkeit schon in den 1950er Jahren gern aussiebte, wen sie ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten einließ. Das Problem war akut. Zwar lag der Zweite Weltkrieg, der zahlreiche Flüchtlinge aus Europa ins Land brachte, schon einige Jahre zurück, doch der ‚Nachschub‘ versiegte nicht, nachdem ein Kalter Krieg ausgebrochen war, der vor allem jene Bürger des Ostblocks traf, die sich nicht mit den Zielen des Sozialismus identifizierten und lieber die Flucht ergriffen.

Keine Haie, sondern Geier im Nacken

In den USA empfing man solche Flüchtlinge nicht mit offenen Armen. Womöglich waren sie Spione, die in den USA eine fünfte Kolonne im Dienst der Sowjetunion aufbauen sollten! Das wüste Treiben des Komitees für unamerikanische Umtriebe bleibt bei Stout unerwähnt, aber es trug seinen Teil dazu bei, den Immigranten durch kollektive Verdächtigungen das Leben schwerzumachen. Das stützt einen Plot, der diverse kriminelle Aktivitäten unter dem Dach einer Verschwörung vereint, deren Mitglieder ihre Ämter missbrauchen, um eingeschüchterte, leicht zu bedrohende Flüchtlinge finanziell zur Ader zu lassen.

Damit bleiben die Täter ahnungslos in jenem normalerweise weitmaschigen Netz hängen, das Nero Wolfe sein Gewissen nennt. Mehrfach klang in früheren Stout-Krimis an, dass Wolfe selbst einst als Flüchtling in die Vereinigten Staaten kam und nicht nur weiß, was dies bedeutet, sondern sich auch gut daran erinnert. Ohne weitschweifige Erklärungen stellt der Verfasser dies klar, als er Wolfe ein Verzeichnis erpresster, weil eigentlich illegal in den USA ansässiger Flüchtlinge erst unterschlagen und in einem Epilog kommentarfrei verbrennen lässt.

Wolfes Gewissen rührt sich ein zweites Mal, weil ein zwölfjähriger Junge umgebracht wird, den der Detektiv in einem Anfall von Großmut und Langeweile als Klient angenommen hatte. Stout lässt zwar die gramgebeutelte Mutter bei Wolfe vorstellig werden, verzichtet aber ansonsten auf exzessive Sentimentalitäten. Stattdessen fließt in die Handlung ein, dass Verbrecher hier eine Grenze überschritten haben, die Wolfe sich gezogen hat. Dass er diesen Fall dennoch mit Gewinn abschließen kann, erfordert die üblichen Tricks und Regelbeugungen, die auch ein Wolfe im Rache-Modus nicht vergisst.

Das Auge des Sturms

Die Freude an einem Nero-Wolfe-Roman resultiert immer auch aus dem Geschick, mit dem der dicke Detektiv und sein wendiger Assistent die Autorität vorführen. Justiz und Polizei, Politik und Wirtschaft, aber auch die Presse weiß Wolfe zu nehmen, zu instrumentalisieren und gegeneinander auszuspielen. Als Anwalt kannte Stout die diebische Freude darüber, dass Wolfe und Goodwin Kräften, denen wir Leser uns alltäglich beugen müssen, immer wieder Schnippchen schlagen können.

Dieses Mal geht Wolfe nicht auf Konfrontationskurs, sondern bezieht das Gesetz ebenso großzügig wie scheinheilig in seine Ermittlungen ein. Es fängt sich mehrfach in seinen eigenen Schlingen, während Wolfe und Goodwin wie üblich nicht nur entschlüpfen, sondern dabei auch den Fall lösen und im Finale zum Ärger ihrer Widersacher gut dastehen.

Bis es soweit ist, konfrontiert uns Stout mit der typischen Gruppe möglicher Täter. Irgendwann ist das Personal komplett, aus dem Wolfe im genreüblichen großen Finale, das sämtliche Verdächtigen im Büro der Detektive zusammenführt, spektakulär den Mörder herauspickt. Die Charaktere sind primär Klischees, aber einmal mehr sorgt die perfekt beherrschte Handwerkskunst des Routiniers Stout - hier wird diese Bezeichnung im positiven Sinn verwendet - nicht für Verdruss, sondern für Zufriedenheit: Dieser Krimi läuft trotz seines Alters unterhaltsam seinem Ziel entgegen. Selbst der kuriose Titel reiht sich selbsterklärend ein. Die deutsche Neuausgabe ist wieder schön übersetzt, fein aufgemacht und gedruckt: So kann es mit der Reihe weitergehen.

Fazit:

Kompliziert im Plot, aber letztlich doch plausibel aufgeklärt wird im 25. Band der Nero-Wolfe/Archie-Goodwin-Serie. Wiederholungen werden zu eingeschliffenen Wertmarken, die eingefleischten Fans jenes Gefühl der Vertrautheit bieten, von dem die Verfasser lang laufender Reihen irgendwann zehren. Die deutsche Neuausgabe ist wieder gut übersetzt und schön gestaltet.

Die goldenen Spinnen

Rex Stout, Klett-Cotta

Die goldenen Spinnen

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