Der steinerne Engel

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2000
  • 2
  • New York: G. P. Putnam’s Sons, 1997, Titel: 'Stone Angel', Seiten: 341, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2000, Seiten: 380, Übersetzt: Renate Orth-Guttmann
  • München: Goldmann, 2002, Seiten: 380
Der steinerne Engel
Der steinerne Engel
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Nachdem Kathleen Mallory, die hoch talentierte, aber psychisch gestörte Polizistin bei der Kommission für Sonderverbrechen des New York Police Departments, ihren letzten Fall wider alle Wahrscheinlichkeit zwar aufklärte, ihn jedoch gleichzeitig in einem ebenso spektakulären Finale enden ließ, der unter Feinden wie Freunden zahlreiche Opfer forderte (vgl. Tödliche Kritiken), hat die junge Frau alle Brücken hinter sich abgebrochen, die Stadt verlassen und sich in den Süden der Vereinigten Staaten aufgemacht. Aus ihrem ohnehin nur labilen Gleichgewicht gebracht, will Mallory endlich das Geheimnis ihrer Herkunft klären. Obwohl sie darüber mehr weiß, als sie ihren wenigen Freunden jemals offenbarte, ist ihr vieles unklar. Nur eines ist sicher: Ein ungeheuerliches Verbrechen kostete vor siebzehn Jahren ihrer Mutter das Leben und verurteilte Mallory zu einem barbarischen Überlebenskampf, dessen Folgen sie gezeichnet haben.

Mallory kommt ins kleine Städtchen Dayborn tief im ländlichen, wenn nicht sogar hinterwäldlerischen Louisiana. Hier ist die Zeit in mancher Beziehung stehen geblieben. Das gilt ganz gewiss, wenn neugierige Fremde auftauchen, die nach einem alten Skelett im Schrank der gar nicht so honorigen Stadtväter forschen. Mallory bleibt trotz ihrer inneren Krise immer noch Mallory, und so ist das Ergebnis quasi vorgezeichnet: Die junge Fremde kam kurz nach zwölf Uhr mittags in die Stadt. Eine Stunde später war der Idiot überfallen worden, seine Hände waren gebrochen und voller Blut. Travis, der stellvertretende Sheriff, hatte am Steuer seines Streifenwagens einen schweren Herzanfall erlitten. Und Babe Laurie wurde ermordet aufgefunden. Da man in den Südstaaten viel schwitzt und wenig fragt, wie wir aus zahlreichen Thrillern à la In der Hitze der Nacht wissen, findet sich Mallory umgehend im Gefängnis wieder.

Hier endlich gelingt es Charles Butler, dem genialen, aber weltfremden Inhaber einer renommierten Consulting-Firma, ihre Spur wieder aufzunehmen. Er ist der (heimlich und hoffnungslos verehrten) Freundin aus New York nachgereist, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Nun wird er mit ihr, die bald schon wieder frei kommt, in die düstere Vergangenheit von Dayborn gezogen und Zeuge, wie Mallory, die Katze auf und unter dem heißen Blechdach, eine alte Schuld begleicht und dabei wie üblich ein Inferno entfesselt, das den Mississippi wieder einmal brennen lässt ...

Schöne Vigilantin mit argem Riss im Hirnkasten

Nach Mallorys Orakel, Der Mann, der die Frauen belog und Tödliche Kritiken (alle im Goldmann Taschenbuch-Verlag erschienen) folgt mit Der steinerne Engel der vierte der Mallory-Romane, die Autorin Carol O'Connell in schneller Folge in den Jahren 1994 bis 1997 verfasste. (Nach einer längeren Pause, in der mit Das Judas-Kind O'Connells erster Bestseller erschien, der sie über die Grenzen des Thriller-Genres hinaus bekannt machte, ging es mit Shell Game - Fall Nr. 5 - aber weiter.)

Inzwischen ist New York offensichtlich zu klein für Mallory geworden. Dies zeichnete sich in Tödliche Kritiken bereits ab - dieser Roman stellte nicht nur einen Höhepunkt der Reihe, sondern auch so etwas wie einen logischen Schnitt dar: Noch Aufsehen erregender konnte ein weiteres Mallory-Abenteuer nicht mehr werden, ohne endgültig vom Boden der Tatsachen abzuheben. Mallorys Weg zurück zu den eigenen Wurzeln bot sich zudem als Ausweg an, nachdem O'Connell in die ersten drei Teile immer wieder geheimnisvolle Andeutungen über dieses Thema eingestreut hatte.

Heiß & schwül, mit kurzer Lunte ...

Nun geht es also in den amerikanischen Süden, wie man ihn aus vielen anderen Thrillern, besonders aber aus Kino und Fernsehen kennt: schwül-heiß, von alter, in jeder Beziehung ziemlich morscher bzw. vom Winde verwehter Südstaaten-Pracht und geprägt von dekadenter, teils altmodisch-einnehmender, teils einfach überholter Vor-Bürgerkriegs-Lebensart mit einigen sehr unerfreulichen Charakterzügen. Diese Kulisse wird bevölkert von nur scheinbar gutgesinnten, tatsächlich aber finster rassistischen und in jedes denkbare Verbrechen verwickelten, skrupellosen, frömmelnden, doch gottlosen 'Ehrenmännern', grobschlächtig-chauvinistischen und dem 'Fremden' gegenüber notorisch misstrauischen Sheriffs, malerisch verarmten und aber stolzen Mint Julep-Ladies. Dazwischen tummelt sich allerlei vertierter, Ku-Klux-Klan- und bible belt-geschädigter Abschaum, der sich im Namen des HERRN (stets groß zu schreiben) für keine Abscheulichkeit zu schade ist und im Film gewöhnlich auf Namen wie Cletus oder "Billy Ray hört. Davon verschont uns Carol O'Connell, und sie vermeidet erfreulicherweise auch das beliebte Klischee von den angstvoll geduckten (Mehrheit) oder aufrecht Widerstand leistenden (Minderheit) Südstaaten-Schwarzen.

Man muss es O'Connell hoch ebenfalls anrechnen, dass es ihr gelingt, aus diesen nur zu bekannten Bausteinen erneut einen hochklassigen Thriller um Schuld, Sühne und Rache zusammenzusetzen, der schon bald den für die Mallory-Romane üblichen Dreh ins Unwirkliche nimmt. Im "Steinernen Engel kommen sogar sachte Elemente des Übernatürlichen hinzu, wenn die eigenartig menschenfeindliche und urtümliche Landschaft entlang des Mississippis ein eigenes Leben anzunehmen scheint. Sogar einen Hund von Baskerville gibt es, der als fast unsterblicher Zeuge vergangenen Grauens durch die Sümpfe geistert und so manchen Übeltäter von einst des Nachts durch sein Geheul in den Schrank flüchten lässt.

Das ist keine Übertreibung, sondern wird so von O'Connell tatsächlich in Worte gefasst. Hier wird das Dilemma des vorliegenden Romans deutlich: Die Autorin übertreibt es mit ihrer Südstaaten-Romantik, die Dayborn bald in die Kulisse eines jener Edgar Allan Poe-Grusler zu verwandeln droht, wie Roger Corman sie in den frühen 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Vincent Price in Serie gedreht hat: viel künstlicher Nebel, Spinnweben und Pappmaché, was die billige Machart indes nicht verbergen kann.

Quo vadis, Mallory?

Vielleicht ist die Mallory-Figur einfach ausgeschöpft. Besonders vielschichtig war sie ohnehin nie. Andererseits macht der Hulk seit Jahrzehnten auch nichts anderes, als seinen Quadratschädel durch dicke Mauern zu rammen, und hat damit reiche Karriere begründen können ... Letztlich ist auch Mallory genau das: eine Comic-Figur, die mit der Realität wenig zu tun hat. Vermutlich kann sie auf der einmal eingeschlagenen Bahn noch eine gute Weile weiter reisen, bis ihr Publikum sie über hat. Auf jeden Fall ist es ratsam, zwischen der Lektüre der einzelnen Abenteuer stets eine Weile verstreichen zu lassen - das lässt die Häufung allmählich zum Mallory-Klischee verkommender Bilder und Szenen nicht so deutlich werden!

Doch eines sei ausdrücklich gesagt: Auch bei ihrem vierten Auftritt schlägt Mallory die 'Konkurrenz' - gleichgültig ob weiblich oder männlich - mit Leichtigkeit! Der Rezensent kann den "Steinernen Engel daher erneut uneingeschränkt empfehlen, womit er - es sei wenigstens erwähnt - freundlicher urteilt als die angelsächsische Kritik, die der Autorin die angesprochenen Wiederholungen, noch mehr aber die Abkehr vom urbanen Handlungsort übelgenommen hat.

Der steinerne Engel

Carol O'Connell, Goldmann

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