Inferno

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 2013
  • 33
  • Köln: Bastei Lübbe, 2013, Seiten: 698, Übersetzt: Axel Merz & Rainer Schumacher
Inferno
Inferno
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Jürgen Priester
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2013

Un Fait accompli

Professor Robert Langdon, Kunsthistoriker und Symbolforscher, Dan Browns mannhafter Held bei seinem vierten Auftritt, erwacht in den frühen Morgenstunden eines Montags aus einem dämonengeschwängerten Albtraum. Mit Entsetzen muss er feststellen, dass er sich in einem Krankenzimmer befindet, an allerlei medizinisches Gerät angeschlossen. Er hat keinen blassen Schimmer, wie er dort hingekommen ist. Zwei freundliche Ärzte erklären ihm, dass er sich in Florenz befinde und in der Nacht am Kopf blutend und leicht desorientiert zu ihnen ins Krankenhaus gekommen sei. Langdons Verwirrung steigert sich. In seiner letzten Erinnerung sieht er sich samstags auf dem Campus der Harvard-University auf dem Weg zu einer Vorlesungsreihe – danach Finsternis. Bevor es noch zu weiteren erhellenden Erläuterungen kommen kann, stürmt eine martialisch wirkende Gestalt in schwarzer Lederkluft wild um sich schießend den Krankenhausflur. Ihr Ziel scheint Robert Langdon zu sein. Der italienische Arzt Marconi wird tödlich getroffen. Seine englische Kollegin Sienna Brooks rafft schnell Langdons Kleidung zusammen und flieht mit ihm durch die angrenzenden Sanitäranlagen. Kaum auf der Straße in ein Taxi gerettet, werden sie schon wieder von ihrer hartnäckigen Verfolgerin attackiert.

Ein Auftakt nach Maß. Da kann man nicht meckern. Der Held mit partieller Amnesie, eine geheimnisvolle Frau, eine lebensbedrohliche Situation und reichlich Action. Dieses anfängliche Feuerwerk verglüht leider viel zu schnell hinter den ehrwürdigen Mauern der Toskana-Metropole.

Wie zu erwarten schickt Dan Brown seine Protagonisten auf die obligatorische "Schnitzeljagd". Im Saum von Langdons Tweed-Jacket finden sie einen kleinen Zylinder, der sich als Mini-Projektor entpuppt, dessen einziges Bild Sandro Botticellis "Mappa dell’Inferno" zeigt. Dieses Gemälde, inspiriert durch Dante Alighieris Beschreibung der Hölle in seiner berühmten "Göttlichen Komödie", ist aber von unbekannter Hand manipuliert worden. Aus dieser Veränderung ergibt sich ein Hinweis auf ein großes Wandgemälde, der nächsten Station auf Langdons Weg zu einem ihm noch unbekannten Ziel. So hetzen denn der wackere Professor und seine höchstintelligente Begleiterin (IQ von 208) von einem kunsthistorischen Highlight zum nächsten. Stets gilt es, ein Rätsel zu lösen und den Verfolgern einen Schritt voraus zu sein. Auch wenn die sich ständig wiederholenden Szenen sattsam bekannt sind und deshalb der Spannung entbehren, wären sie doch wenigstens unterhaltsam, wenn Brown sich nicht in ausufernde Beschreibungen des historischen Florenz verstiege. In einem Thriller ist es sogar kontraproduktiv, zu jedem Gebäude, jeder Skulptur oder jedem Gemälde eine Expertise zu verfassen. Man bekommt zwar Lust, den nächsten Urlaub in Florenz zu verbringen, aber das sollte doch eher die Aufgabe eines Reiseführers sein und nicht der Schwerpunkt eines Thrillers. Bei allem Respekt vor den florentinischen Kunstschätzen - hier erzeugt der Autor nur unnützes Volumen. Es mag seinem Faible für die Kunst geschuldet sein, aber es drängt sich der Verdacht auf, dass Brown nur von der Schlichtheit seiner dramaturgischen Mittel ablenken will.

Robert Langdon geht die Suche ziemlich ahnungslos an. Er weiß nicht genau, worum es eigentlich geht. Was er da sucht. Wer ihn beauftragt oder gebeten hat. Nur das schemenhafte Gesicht einer älteren Frau und die Aufforderung: "Suche und du wirst finden" sind ihm aus seiner Erinnerungslücke haften geblieben.

Da ergeht es dem Leser besser. Er wird schon früher über die Hintergründe informiert, welche Organisationen involviert sind und wer der eigentliche Verursacher des aufziehenden Spektakels ist. Bertrand Zobrist ist ein schweizerischer Genetiker, der mit einigen Patenten so viel Geld verdient hat, dass er sich ganz der privaten Forschung hingeben kann. Seine größte Sorge gilt der Überbevölkerung der Erde. Scheuklappenblind als überzeugter Transhumanist fühlt er sich auserkoren, die Welt zu retten. Was er aus seinen Augen zum Wohle der Menschheit plant, ist aus anderer Sicht ein Sakrileg.

Die Überbevölkerung der Erde ist das große Thema des Romans, das von einigen Protagonisten offen diskutiert wird, aber auch hinter allerlei Verbrämungen (Dante, Pest) hervorlugt. Um es direkt zu sagen, das Thema ist bei Dan Brown in den falschen Händen. Zu verkürzt, zu einseitig und gefährlich naiv wird die Problematik abgehandelt. Der - wenn auch überzogene - transhumanistische Lösungsansatz, der hier propagiert wird, löst zwar allgemeines Entsetzen aus, erfährt aber so gut wie keine Widerrede. Ob Dan Brown dem Transhumanismus oder der Genmanipulation das Wort redet oder ob er beides noch zur Diskussion stellt, muss ein jeder potenzielle Leser für sich entscheiden.

Dem Rezensenten hat das Ende des Thrillers Angst und Bange gemacht. Un Fait accompli.

 

Die heißesten Plätze in der Hölle sind für jene reserviert, die in Zeiten einer moralischen Krise ihre Neutralität aufrecht erhalten.

 

 

Dies ist eins von vielen Dante-Zitaten im Gesamtwerk, über das Dan Brown seinen Professor im Epilog sinnieren lässt: dass Untätigkeit und Verleugnung in Krisenzeiten eine große Sünde seien. Dem kann man vorbehaltlos zustimmen, aber zu Verleugnung gehört auch der Glaube, dass Wissenschaft und Technik alle Probleme lösen können.

Inferno ist Mitte Mai des Jahres unter großem Getöse (Buchereignis des Jahres) zeitgleich in aller Welt veröffentlicht worden. Über die näheren Umstände ist schon so viel geschrieben worden, da erübrigt sich jeder weitere Satz. Die publizistischen Leitmedien haben sich seiner meist wohlwollend angenommen und Inferno ist dort gelandet, wo man es zu sehen erwartete, an den Spitzen sämtlicher Buch-Charts. Schließlich ist Dan Brown ein Markenprodukt, was jetzt nicht als eine Aussage über die Qualität gewertet werden sollte. Nach einem Monat regen Abverkaufs und fleißiger Lektüre kursieren reichlich Rezensionen und Leserkommentare im Netz. Die Bandbreite der Reaktionen reicht von "genial wie immer" bis "unterirdisch". Was konnte man denn von Dan Brown anderes erwarten als die Fortsetzung (Wiederholung) seines Erfolgsrezeptes?

Nur diesmal hat er sein ge(be)liebtes Grundkonzept mit kunsthistorischem Ballast überfrachtet, wie oben schon erläutert. Auch gelingt es ihm nicht, Dantes "Göttliche Komödie" eine diskussionswürdige Plattform zu geben. Die Zitate und Browns Interpretationen taugen allein dazu, seinen Helden von A nach B zu befördern. Der anfänglich noch gradlinige Handlungsablauf entwickelt sich besonders im letzten Drittel des Romans durch zahlreiche Wendungen und Seitenwechsel zu einem schwer überschaubaren Chaos. Es fällt nicht leicht, Freund von Feind zu unterscheiden. Dabei kommt es auch zu Logikfehlern, die hier nicht näher erörtert werden können. Darunter fällt die zentrale Frage: Warum hat der Mann all die Spuren gelegt?

Man sollte sich den Erwerb des Buches reiflich überlegen. 26 € sind kein Pappenstiel und es gibt nicht einmal ein Lesebändchen, was der Rezensent schmerzlich vermisst hat. Vielleicht doch besser auf die Taschenbuch-Ausgabe warten? Um zu den "Early Adopters" gezählt zu werden, ist es eh zu spät.

Inferno

Dan Brown, Bastei Lübbe

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