London Killing

  • Blessing
  • Erschienen: Januar 2012
  • 11
  • London: Jonathan Cape, 2011, Titel: 'The hollow man', Seiten: 374, Originalsprache
  • München: Blessing, 2012, Seiten: 480, Übersetzt: Wolfgang Müller
Wertung wird geladen
Andreas Kurth
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2012

Zocker, Killer und ein Anti-Held

Eine skurrile Situation: Detective Constable Nick Belsey liegt in einem Londoner Park. Er hat einen ausgewachsenen   Kater, ist völlig pleite, und in Sichtweite steht das Wrack eines Polizeifahrzeugs. Offensichtlich ist Nick damit unterwegs gewesen, aber seine restliche Erinnerung an die vergangene Nacht ist überaus negativ. Seine Kreditkarten sind alle gesperrt, er ist aus seiner Wohnung geflogen, und die Karriere bei der Londoner Polizei dürfte auch im Eimer sein. Dennoch begibt er sich ein vermeintlich letztes Mal auf seine Polizeiwache - und stößt dort auf den Bericht über eine vermisste Person. Nick macht sich auf den Weg zu der Adresse in einer absolut angesagten Straße, und  findet dort scheinbar einen Selbstmörder. Nach einigem Zögern hat er die zunächst noch vage Idee, die Identität des russischen Oligarchen, um den es sich bei der Leiche handeln soll, für einen Neustart fern der Heimat zu nutzen. Doch dann gibt es eine weitere Tote und Nick Belsey ist plötzlich im Mittelpunkt eines Falles, den er gar nicht haben wollte.

In seinem Erstlingswerk präsentiert Oliver Harris den Lesern einen echten Anti-Helden. Nick Belsey ist ein Großstadt-Polizist, wie ihn das schlimmste Klischee zeichnen würde. An diese ambivalente Figur muss man sich beim Lesen also erst mal gewöhnen. Über diesen von Alkoholismus und Spielsucht getriebenen Detective wird es geteilte Meinungen geben, man wird individuell entscheiden müssen, wie man so eine  Figur einordnet und beurteilt. Auf alle Fälle versteht es Harris hervorragend, seinem Protagonisten problemlos die Rolle des gejagten Underdogs auf den Leib zu schneidern, der ein gewisses Mitleid seitens der Leserschaft verdient. Bei allen Defiziten, auch in Sachen Vorschriften und korrektes Verhalten, ist Belsey offensichtlich kein böser Bube, sondern einfach ein Kind der Verhältnisse. Er kennt sich in London und den für ihn relevanten Teilen der Unterwelt bestens aus, aber im Laufe der Handlung trifft er nicht immer die besten Entscheidungen. 

Er will sich ins Ausland absetzen, und dafür das Geld des toten Russen nutzen. Ein nachvollziehbare Entscheidung -  aber der smarte Detective wird dann von den Ereignissen förmlich überrollt. Dabei wird er ständig in die Defensive gedrängt, was ihn für den Leser wiederum durchaus sympathischer macht. Die beharrliche Art von Oliver Harris, seinen Protagonisten als eigentlich guten Kumpel darzustellen, dem das Schicksal einfach etwas zu heftig auf die Füße tritt, hat auch bei mir im Zuge der Lektüre dazu geführt, dass ich Nick Belsey beim Lesen gewissermaßen die Daumen gedrückt habe, er möge seine Sachen wieder auf die Reihe bekommen. Der Autor jubelt dem Leser seinen Anti-Helden irgendwie als liebenswerte Person unter, und das macht er außerordentlich geschickt.

Die Rolle des russischen Oligarchen, der scheinbar nach  London gekommen ist, um hier Geschäfte zu machen, und dann Selbstmord beging, bleibt für Leser und Protagonist lange Zeit völlig im Dunkeln. Als Belsey heraus findet, dass  einige Menschen hinter dem Russen her waren, muss er zweigleisig fahren und sein Verschwinden unter neuem Namen organisieren, gleichzeitig aber auch herausfinden, was hinter den neuen Interessen des russischen Geschäftsmannes in der britischen Hauptstadt genau steckte. Das vom Autor inszenierte Verwirrspiel ist überaus interessant, etwas mehr rasante Action oder Spannung hätte Oliver Harris für meinen Geschmack jedoch durchaus einbauen können. Die Geschichte lebt weitgehend von den vielen Fragen, die der Protagonist hinter jeder neuen Antwort findet. Das verzwickte Rätsel ist im Grunde wirklich gut erzählt und vermag den Leser zu fesseln, aber einige Wendungen kommen dann doch zu vorhersehbar daher. 

Positiv fällt allerdings auf, dass der Autor sich nicht in langweiligen Schilderungen der Verhältnisse in London verliert. Die Beschreibung seiner Schauplätze beschränkt er auf das notwendige Maß, das Bild der geldgierigen City wird eher von den handelnden Figuren geprägt. London Killing ist das erste Buch von Oliver Harris, gut recherchiert und wirklich lesbar geschrieben. In England wurde das Werk gefeiert, aber in die oberen Ligen der Autoren ist es für Harris noch ein langer Weg. Erfreulich ist auf jeden Fall, dass es mit Nick Belsey weitere Romane geben soll. Wenn der Autor dabei an seinen Schwächen arbeitet, dürfte die Reihe recht interessant werden.

London Killing

Oliver Harris, Blessing

London Killing

Deine Meinung zu »London Killing«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren