Schnicksenpogo

  • fhl
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Leipzig: fhl, 2012, Seiten: 200, Originalsprache
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Dieter Paul Rudolph
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2011

Unkontrolliertes Tanzen

Früher, als der Krimi noch in der Pubertät steckte, kam er bisweilen lärmend und grellbunt daher. Ein Halbstarker ohne Manieren, reichlich oberflächlich und ohne größere Ambitionen, etwas "Ernsthaftes" zu sein. Nun, da der Krimi erwachsen ist, hat sich das geändert. Kriminalromane sind möglichst ausdifferenziert, die Geschichten besitzen Tiefe (was immer das auch sein mag) und ihr Personal besteht aus wohldurchdachten Charakteren. So schön, so langweilig manchmal. Der Krimi tanzt den Gesellschaftstanz in Abendkleid und Frack, und der Leser, selbst in die Jahre gekommen, sehnt sich nach den wilden Tänzen seiner eigenen Jugend.

In Ria Klugs zweitem Krimi wird der Pogo getanzt. Wilde, unkontrollierte Bewegungen um der Bewegungen willen, einzige Regel die Regellosigkeit. Es ist nach "Kleine Betriebsstörung" die Fortsetzung der Geschichte von Nel Arta, deren Problem es ist, dass in ihrem Personalausweis Cornelius Artjens steht. Eine Transsexuelle also, wörtlich zwischen allen Stühlen. Noch dazu ein Mensch ohne Geduld und diplomatisches Geschick. Die Desaster sind also absehbar – und in "Schnicksenpogo" lassen sie deshalb nicht lange auf sich warten.

Nel arbeitet in einer ziemlich finsteren Berliner Spelunke und eines Tages schlägt sie – in Notwehr – einem randalierenden Gast einen härteren Gegenstand über den Kopf. Da sie bereits "behördenauffällig" geworden ist, landet sie schließlich zur Beobachtung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, wo sie nicht nur eben jenen Randalierer wiedertrifft, sondern auf ein ganzes Panoptikum merkwürdigster Gestalten stößt.

Spätestens jetzt hätte Ria Klug – Stichwort "Erwachsenenkrimi" – einen möglichst kunstvollen Genreteppich knüpfen müssen, aber sie tut es nicht. Wie Nel dem Geheimnis der Anstalt auf die Spur kommt (Stichwort: Stasi und Porno), das ist schon frech. Man erzählt es ihr einfach. Dass sie mit ihrem Wissen nun die Bösewichte provoziert und selbst in knifflige Situationen gerät, passt ins Bild. Ihr bleibt nichts anderes als die Flucht und das Ermitteln auf eigene Faust, was ebenfalls so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was man "detektivisch" nennen könnte. Am Ende rettet sie zwar, reichlich zerrupft, ihren Kopf, aber man ahnt es: Diese Frau wird noch oft den Pogo tanzen und anecken.

Es ist schwierig, diesen Roman zu bewerten. Er verzichtet weitgehend auf differenzierte Charakteristika, die Protagonistin produziert sich als ein hilfloses Insekt, das im Netz der Spinne Recht und Ordnung noch einmal verzweifelt um sich schlägt, ansonsten wird der Roman von "Typen" bevölkert, Freaks und klassischen Bösewichten, psychisch allesamt schwer angeschlagen und unberechenbar. Düpiert werden all jene, die eine nach der Logik des "Erwachsenenkrimis" erzählte Story erwarten. Was aber mir jedenfalls gut gefallen hat, erfrischend war, auch weil Ria Klug ihre Geschichte sprachlich souverän umsetzt. Dass das Ganze in manchen Passagen zu plakativ rüberkommt, könnte man ihr ankreiden. Aber so ist das mit den unkontrollierten Tänzen: Torkeln und Hinfallen gehören dazu, man muss nur wieder aufstehen und weitermachen. Das wird Ria Klug sicherlich tun.

Fazit: Ein empfehlenswerter Krimi für Leser, die nicht nur Walzer tanzen wollen.

Schnicksenpogo

Ria Klug, fhl

Schnicksenpogo

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