Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 51

"Westmarkt"

Viel Licht, ebenso viel Schatten

Das zweiteilige Hörspiel „Westmarkt – 4 Kilo auf Kombi“ basiert auf dem bereits 2019 erschienenen Roman „Der die Träume hört“ (288 S.) des türkisch-stämmigen, deutschen Autors Selim Özdogan. Er stand mehrere Wochen auf der Krimi-Bestenliste.

Inhalte

Nizar Benali ist seit kurzem Privatermittler für alles, was mit Cyberkriminalität zu tun. Dealen oder Scammen. Egal. Znezana hingegen ist Polizistin im Stadtteil Westmarkt, irgendwo im Rheinland. Dort gibt es reichlich Migranten und Shisha-Bars. Clans und brave Bürger, aber eben auch ständige Polizeieinsätze. Beide kennen sich gut und sind befreundet. Nizar hat gerade den Auftrag bekommen, im Darknet den Drogenverkäufer für den Vater seines toten Sohnes zu finden. Schwierig. Und dann taucht auch noch ein 17-Jähriger auf, der sich als sein eigener Sohn entpuppt. Der Sohn steckt tief in der Szene und hat Schulden (4 Kilo auf Kombi). Da braucht es väterlichen Rat. Snezana muss einen Raubüberfall klären und schlägt sich mit einem rassistischen Kollegen rum. Der lässt sie bei einer Razzia hängen. Und dann soll sie noch seine Vorgesetzte werden.

Das Hörspiel

Das Hörspiel folgt den beiden sympathischen Ermittlern bei den Ermittlungen tief im Milieu des Westmarkts. Dort leben viele Migranten, oft an der Armutsgrenze, viele kleine und große Händler und Dealer. Auch Clans. Slangs, Betonungen, Redewendungen lassen den Hörer in diese Welt eindringen. Die Sprecher klingen durchweg glaubwürdig mit ihren jugendtypischen Betonungen. Und vor allem Musik, die hier eine große Rolle spielt. Mal Hintergrund, mal eigenständige Songs und immer auch gut für Gedanken-Pausen. Kopfhörer ist hier eine gute Empfehlung. Auch wer kein Freund von Gangsta-Rap ist, wird sich einfangen lassen.

Die beiden Ermittlungspfade kreuzen sich zunehmend und das Hörspiel wird immer mehr zu einer Sozialstudie. Und da beginnt dann der Schatten. Die Welt der Vorurteile wird nur umgedreht und nicht kritisch hinterfragt. Die Polizei ist rassistisch und sexistisch, einer gar ein Neo-Nazi. In den Cafés der weißen Männer und Frauen wird genauso gedealt und gekokst wie in den Shisha-Bars. Was ja im Übrigen auch nicht ganz so schlimm sei. Die Clans halten die Verwandtschaft zusammen. Die Migrantenmuttis und -papis sind alle nett und fürsorglich. Dies ist, zugegeben, zugespitzt, macht aber das Hören langweilig, weil vorhersehbar. Der erste Teil ist deutlich besser gelungen, weil vieles noch unklar ist. Der zweite Teil lässt nach, weil der Handlungsfaden vor lauter Sozialromantik verloren geht. Schade um diese eigentlich tolle Inszenierung bei der das Hören die reinste Freude ist.

Fazit

Ein Hörspiel, das mit seiner Musik und einprägsamen Sprechern ein echter Hörgenuss ist. Weniger umgekehrte Sozialmusik, mehr Krimi wäre das Sahnehäubchen.

Couch-Wertung: 70°

ARD-Audiothek

"Der Mann, der Hunde liebte"

Ein historischer Kriminalfall

Der SWR hat ab 2007 die außerordentlich erfolgreichen Kriminalromane des kubanischen Autors Leonardo Padura (1955-) für das Hörspiel bearbeitet. Die Hauptfigur, Teniente Mario Conde bewegt sich im politisch und gesellschaftlich schwankenden Kuba zwischen Moral und Ermittlerehrgeiz. Die attraktiven Hörspiele (Havanna-Quartett) sind im Herbst 2024 erneut in der Audiothek veröffentlicht worden. Allerdings hat sich Padura auch in anderen Genres bewegt. „Der Mann, der Hunde liebte“ geht von einem politischen Mord aus, ist aber weit mehr als ein Krimi. Das Buch ist 2009 auf Spanisch und 2011 auf Deutsch erschienen und umfasst mehr als 700 zu lesende Seiten. Das Hörspiel des SWR wurde im Nov./Dez. 2024 ins Netz gestellt und zuerst auf den ARD-Hörspieltagen der Öffentlichkeit präsentiert.

Der Inhalt

Das Hörspiel umfasst den Zeitraum von etwa 1930 bis in die 1970-er Jahre und erzählt die Lebensgeschichte von drei Personen. Leo Trotzki, Kommunist, eng mit Lenin verbunden und damit einer der Gründerväter der russischen Revolution. Er war aber auch eines der prominentesten Opfer von Stalins Terror und Rache. Er musste aus der Sowjetunion fliehen und fand erst in Mexiko-Stadt ab 1937 dauerhaftes Asyl. Umgeben von einer Schar von Leibwächtern und in einem Bollwerk von Haus lebend. Aber er genoss das Leben. Züchtete Kaninchen, schrieb Bücher und war Teil der mexikanischen Künstler Bohème. Er hatte eine Affäre mit Frida Kahlo. Immer bedroht und immer geschützt. Dennoch wurde er 1940 von Ramón Mercader mit einem Eispickel ermordet. Mercader war ein strammer Kommunist, der im spanischen Bürgerkrieg in den 1930-er Jahren sozialisiert wurde und brav allen Befehlen gehorchte. Er konnte verhaftet werden und lebte nach seiner Freilassung noch bis 1978 in Havanna.  Dort lernt er zufällig den kubanischen Schriftsteller Ivan kennen, als dieser mit seinen geliebten Borsoi-Hunden spazieren geht. Ivan beginnt, sich für das Leben dieses Menschen zu interessieren und schreibt ein Buch darüber

Das Hörspiel

Keine leichte Vorlage. Die Erzählzeit umfasst nicht ganz 100 Jahre und ist voller Zeitsprünge vor und zurück, weil es der Recherche des Ivan folgt. Die drei Teile sind daher nicht eigenständig. Zielgruppe sind eher literarisch und politisch Interessierte, weniger die Krimifans. Politische Vorbildung macht das Hören definitiv leichter. Eine gewisse Spannung entsteht dennoch, weil der Hörer häppchenweise erfährt, warum diese Menschen wie gehandelt haben. Die Geschichte wird von neutralen Erzählern, in inneren Monologen und vielen Dialogen ausgebreitet. Also aufgepasst, zumal die Hauptsprecher berühmt sind, aber erst nach etwas Reinhören besser unterschieden werden können.

Attraktive Spielorte in der ganzen Welt, spezielle Milieus sind ein Hörvergnügen, immer untermalt mit stimmigen Geräuschen und abwechslungsreicher Musik. Lachen, Weinen, Saufen aber auch ein furchterregender Todesschrei Trotzkis.

Padura ist ein Epiker, mit Längen. Kein Short-Story Erzähler. Gelegentlich erinnert das Hörspiel (und vermutlich das Buch) an eine Gruppendiskussion in der jeder das Gleiche wiederholt, nur noch nicht von ihm. Langatmige politische Diskussionen sind nicht jedermanns Geschmack. Sprachlich neutral und in kurzen, klaren Sätzen wird dem Hörer Unfassbares und Banales präsentiert. Die ausführliche Beschreibung des Mordes hat etwas fast Zärtliches und macht damit das Grauen noch größer. Trotzki ist nicht nur ein großer Denker, sondern auch ein fremdgehender Kleinbürger. Mercader ist nicht nur Mörder, sondern auch ein ideologisch Irregeleiteter. Die Vorlage ist ein politischer Roman, der blinde Gefolgschaft bloßlegt und den Irrungen und Wirrungen von Menschen Verständnis entgegenbringt. Sie erzählt vor allem die Geschichte des Mörders. Trotzki soll angesichts des Todes gerufen haben: „Lasst ihn leben, er hat noch etwas zu erzählen“.
Das Hörspiel „lässt Wahrheit und Erinnerung, Tatsachen und Subjektivität verschmelzen“ (Eva Illouz), aber Emotionen lässt es nicht entstehen.

Fazit

Für politisch und literarisch Interessierte ist das hochprofessionell inszenierte Hörspiel mit der Top-Besetzung  an Sprechern ein lohnenswerter Marathon. Alle anderen können beruhigt einen Bogen um das Hörspiel machen.

Couch-Wertung: 75°

ARD-Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 51" von Malte Stamer, 04.2025
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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