Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 48

"Recheuz"

Ein österreichisches Kammerspiel

Der Schweizer Rundfunk kümmert sich liebevoll auch um längst abgetauchte Hörspiele, die von Susanne Jansson und Wolfram Höll sachkundig kommentiert werden. Anders als bei Pastewka stehen hier die Geschichten im Vordergrund und nicht die jeweiligen Sprecher. Im Oktober 2024 präsentieren sie Recheuz vom ÖRF aus dem Jahr 1978, also schon ein wenig angestaubt. Ein Hörspiel des 2022 verstorbenen österreichischen Schriftsteller Friedrich Christian Zauner. Der SRF präsentiert seine Hörspiele auch auf Spotify. Dort kann der text-interessierte Hörer den Wortlaut dank KI per Transskript in ordentlicher Qualität verfolgen. Der SRF bietet neben den Kommentaren der Redaktion regelmäßig auch weiterführende Links mit Sachinformation an.

Inhalte

Harry Obermann, von Beruf Kommissar, ist mit dem Auto auf dem Weg zu einer Kur. Er lässt sich Zeit, will schon die Anreise genießen. Und dann passiert das Unglück: In the middle of nowhere hat er eine Autopanne. Kein Fahrzeug, kein Mensch in der Nähe. Er läuft zum nächstgelegenen Dorf, um Hilfe zu suchen. Im Dorfgasthaus wird er ungastlich empfangen. Keine Werkstatt, kein Telefon, kein Essen, keine Hilfe. Auch sonst erlebt er nur Abweisung. Auf dem Weg zum Dorfpolizisten wird er Zeuge eines Gesprächs: Ein junger Gastarbeiter wurde erschossen. Wenigstens der Polizist ist eine Hilfe: Er hat ein Telefon, macht ihm was zu Essen und lässt ihn bei sich übernachten. So erfährt Obermann etwas über das Dorf. Dort leben oben auf dem Berg jugoslawische Arbeiter, die im Steinbruch arbeiten. Sie existieren in ihrer eigenen, abgeschlossen Welt, nur der Vorarbeiter Itztok spricht Deutsch. Mit ihm nimmt Obermann Kontakt auf und erfährt etwas über den Toten. Aber offenbar ist auch der Polizist nicht wirklich daran interessiert zu erfahren, was passiert ist und wer Schuld hat. Obermann spricht, hört zu, spricht hört zu. Die Dorfbewohner sind verschlossen wie eine Auster. Aber Obermann gibt nicht auf, beobachtet den Jungen des Gastwirts und spricht mit ihm. Redet mit Baldur, der von Wilderei lebt und nur in seiner Welt lebt. Harry Obermann, der eigentlich nicht im Dienst ist, gelingt es den Täter zu entlarven.

Das Hörspiel

In gewissem Sinn ist dieses Hörspiel sogar ein closed-room-Krimi, weil nur jemand aus dem Dorf oder von den Arbeitern der Täter sein kann. Das Hörspiel lebt aber vor allem von seiner Atmosphäre. Die große Gruppe der Dorfbewohner, die sich abschotten, keine Fremden oder Veränderungen wollen, die Arbeiter dulden, aber nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Die Jugoslawen, die hart arbeiten und sich selbst organisieren. Ein Bild, das es 1978 sicher auch so in Deutschland gab. Hier lediglich zugespitzt. Diese Welten werden in vielen Dialogen nüchtern abgebildet, ohne direkt wertend zu sein.

Die Handlung spielt innerhalb weniger Tage. Im Mittelpunkt steht Harry Obermann, der dem Hörer als einzige Person, zunehmend vertrauter wird. Die übrigen Sprecher sind alle gut verständlich, die Jugoslawen mit entsprechendem Akzent. Musik und Geräusche werden sehr sparsam verwendet, die Konzentration liegt ganz auf dem Text. Obwohl kein ausgewiesener Krimiautor, legt Zauner falsche Fährten, bietet reichlich Gelegenheit zum Mitraten und legt am Ende einen unerwarteten Schluss vor. Dieses Hörspiel ist in Zeiten, in denen wieder Menschen aus fremden Ländern nach Europa kommen, eine gute und spannende Anregung, über unser Verhalten ihnen gegenüber nachzudenken.

Fazit

Kein „großes“ Hörspiel, sondern solide Handwerkskunst, die bis heute aktuell und unterhaltsam anzuhören ist.

Couch-Wertung: 80°

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"Running backwards"

Eine Zeitreise in die letzten sieben Tage

Joseph Bolz hat bisher drei Originalhörspiele veröffentlicht, die sich immer im Grenzbereich zwischen Krimi, Sci-Fi und Grauen bewegen. Er greift aktuelle Themen aus der Innen-und Außenwelt auf und ist stets neugierig auf der Suche nach sich selbst, wie er auch auf seinem Youtube-Auftritt unter dem Namen Joseph DeChangeman zeigt.

Inhalt

Die jugendliche Zeynep hat eine beinah tödliche Attacke überlebt. Das übersteht niemand unbeschadet. Eine Therapeutin soll ihr beim Weg ins normale Leben helfen. Doch was heißt schon normal: Zeyneps Leben verläuft rückwärts. Nach Sonntag kommt der davor liegende Samstag und immer so weiter. Dabei tauchen die Tage mit den schönen Erinnerungen und den schlechten wieder auf: Ihre WG-Partnerin Ashra, die sie schätzt und liebt, die aber auch nervt. Eine wichtige Stütze ist ihre kleine Schwester Damla, die immer ein offenes Ohr hat und auch mal ihren Kühlschrank auffüllt. Zeynep kann damit umgehen, den Weg zurückzugehen. Das hat auch etwas Witziges. Aber es taucht auch die Frage auf: Hätte ich etwas anders machen können oder müssen, um der Attacke aus dem Weg zu gehen? Trägt Zeynep Mitschuld?

Das Hörspiel

Es ist ein Kammerspiel, wenige Personen, wenige Szenen und Spielorte. Spärliche Musik-und Geräuschkulisse. Es ist auf jeden Fall auch ein Krimi, weil der Hörer von der Attacke weiß, aber erst sehr spät erfährt, was genau geschehen ist. Es ist eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit, die physikalisch gesehen unmöglich ist und paradoxe Situationen erzeugt (Großvaterparadox).

Die auf den ersten Ton also absurde Handlung begleitet den Hörer in die Innenwelt einer Frau, die auf der Suche nach möglicher Schuld fast verrückt wird und unter einer posttraumatischen Störung leidet. Der Autor hat keinen düsteren Psychotext geschrieben, sondern drückt das Leben in seiner Vielfalt aus: Angst, Freude, Frotzeleien und vieles anderes. Die Spielfreude und das Sprachtalent der Sprecherinnen lassen Absurdes alltäglich erscheinen.

Die Dialoge der beiden Schwestern klingen für den Autor dieser Zeilen, der mit zwei Schwestern groß wurde, durchaus vertraut und sind ein kleines Stück heile Welt. Auch wenn die Welt an Leben, Tod und Schuld gerade in anderen Dimensionen leidet, erleben genügend Menschen traumatische Situationen, die ausweglos scheinen. Nahezu jeder kennt das Wort „Flashbacks“. Und möchte nicht gelegentlich jeder die Vergangenheit verändern?

Der Autor bedient gezielt eine junge urbane Hörerschaft: Etwas Grauen, etwas Spannung, viel ICH. Man kann darüber diskutieren, ob der männliche Autor nicht in gewisser Weise eine kulturelle Aneignung betreibt. Im Hörspiel geht es ausschließlich um Frauen.

Fazit

Das Hörspiel ist schon speziell. Der Hörer muss sich auf viel Psycho, aber wenig Krimi einlassen. Daraus ein so hörenswertes Kammerspiel zu machen, ist allerdings eine Leistung.

Couch-Wertung: 80°

Auf YouTube als kostenlose, werbefinanzierte Version und in der ARD Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 48" von Malte Stamer, 01.2025
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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