Krimi-Hörspiele:
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"Der sonderbare Tag des Lord Grimsby"

Ein Krimi mit Augenzwinkern

Der sonderbare Tag des Lord Grimsby ist der Einstieg in die dritte Staffel des Podcast „Kein Mucks“ produziert von Radio Bremen, glanzvoll ausgewählt und präsentiert von Bastian Pastewka. In diesem Podcast werden alte Klassiker der Kriminalhörspieleszene ausgegraben und mit launigem Kennerton präsentiert. Lord Grimsby z.B. stammt aus dem Jahr 1959! Die ersten beiden Staffeln waren bei den Hörern so beliebt, dass Radio Bremen jetzt bis März 2022 eine dritte Staffel nachreicht. Es sagt einiges über das Hörerinteresse aus: Die ersten beiden Staffeln wurden mehr als 5 Millionen Mal wiedergegeben (Audiothek, Apple und Spotify). Auch die neue Episode ist unmittelbar nach Erscheinen an der Spitze der Rubrik: Meist gehört.

Die Handlung

Lord Grimsby erlebt auf seinem noblen Landsitz einen Tag voller Überraschungen und Schreckensszenarien. Auf Grimsby Hall lebt der Lord mit seiner Dienerschaft und der engsten Verwandtschaft im Stile des reichen, wohlerzogenen Adligen. Am späten Morgen wird Grimsby vom Gärtner geweckt, weil die Polizei ihn sprechen will. Grimsby erfährt, dass in der Nacht sein Familienschmuck gestohlen und der Diener ermordet wurde. Beim Adel kein Grund früh aufzustehen! Die beiden Inspektoren machen sich an die Arbeit: Wie im klassischen closed-room-Krimi muss der Täter unter den Anwesenden zu finden sein. Einige wenige Indizien helfen ihnen. Bei der Leiche findet sich ein Dolch, der Lord Grimsby gehört. Daneben liegt Werkzeug, dass sein Neffe Geoffrey verwendet, dessen Hobby das Bauen von Kinderwiegen ist. Im Garten findet sich ein einzelner Pantoffel, der der Haushälterin gehört.

Als Täter kommen aber auch die Verlobte vom Lord in Frage, die hinter seinem Vermögen her ist oder der schmierige Anwalt. Selbstverständlich auch der Gärtner, der nun die Stelle des Butlers einnehmen darf. Tatsächlich kommt die Polizei noch am selben Abend zur überraschenden Lösung. Ein Hörspiel – Cluedo eben.

Die 50-er Jahre

Die Mehrzahl der Hörer wird diese Zeit nicht erlebt haben, daher hier ein paar Appetizer.

Bundeskanzler war zu der Zeit, der 83-Jährige Konservative Konrad Adenauer. Gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard war es ihm gelungen, die schwere Krise nach dem Krieg zu überwinden und eine Art Wirtschaftswunder zu erzeugen. Es gab genügend Arbeit, die Löhne und das Warenangebot stiegen. Die Frauen, die unmittelbar nach dem Krieg so wichtig waren. kehrten wieder an den Herd zurück. Mit 15 Mio. Hörern gegenüber 2 Mio. Fernsehzuschauern war der Rundfunkt das wichtigste Massenmedium. 10 Rundfunkanstalten produzierten jährlich mehr als 350 Hörspielneuheiten!

Die rauschfreie UKW war erst seit Mitte der 50-er Jahre im Kommen und ein Radio kostete mit 1.000 Mark etwa das Monatseinkommens eines Facharbeiters.

Das Hörspiel

1959 gab es noch keine Straßenfeger von Durbridge, aber die Geschichten von Doyle und Agathe Christie waren beliebt. Good old England und adlige Noblesse spielen auch in diesem Hörspiel eine große Rolle. Die bis heute beliebten Simenon-Hörspiele sollten im gleichen Jahr erscheinen.

Das Hörspiel erzählt in ruhigen überschaubaren Szenen, eine Geschichte, die nicht voller Mord und Totschlag ist, aber dennoch voller Spannung, weil immer neue Wendungen auftauchen, mit denen der Hörer nicht rechnet. Die Figuren sind alle mit leicht ironischer Sympathie gezeichnet und durchaus klischeehaft. Grimsby steht über allem und würde seinem Neffen sogar einen Mord durchgehen lassen, er wird von allen immer zuerst informiert. Man hört wie der ehelose Neffe sägt, um eine seiner 27 Wiegen zu basteln. Es wird also Zeit, dass er unter die Haube kommt. In klassischer Durbridge-Manie schließt volltönende Orchestermusik die jeweilige Szene als Clfiffhanger ab.

Die Sprecher

Die große Zeit des Fernsehens stand erst noch bevor und tatsächlich machten nahezu alle Sprecher später beim Fernsehen Karriere und die älteren Hörer werden ihre Rollen und Stimmen kennen. Heute steht die Vielseitigkeit einer Stimme im Vordergrund, um bei einem Aufenthalt im Studio möglichst viele Rollen spielen zu können. Damals waren die Stimme und ihr Charakter wichtig. Man drückte sich gewählt aus, durchaus auch mal in England mit ostpreußischem Einklang. Diener und Gärtner nuscheln, dass man sie kaum versteht. Es ist also durchaus hörenswert.

Versuch einer Erklärung

Was macht diese verstaubten Hörspiele so beliebt: Mir scheint der Erklärungsversuch des Autors Thomas Müller überzeugend:

Das Hörspiel der 50-er: Tendenz zur Verinnerlichung und zur Reduzierung der Wirklichkeit auf den menschlich-privaten Bereich, die ihre Aussagen nicht mehr direkt, sondern zunehmend in poetisch reizvollen, phantastischen Bildern einer entsprechend geschulten Hörergemeinschaft vermittelten“.

In Zeiten von Fake-News, vorschnellen Urteilen, aber auch extremen Gefährdungen sind solche nostalgischen Hörspiele ein romantischer Rückzug ins Ruhige, Besinnliche, Bekannte. Da gibt es Spannung ohne Gefährdung. Da hört man schon mal über Rollenklischees und Überzogenes hinweg.

Fazit

Man kann Bastian Pastewka nur dankbar sein für das Ausgraben dieser Schätze. Jenseits von Nostalgie finden sich in seinem Podcast noch etliche einfach tolle Hörspiel, die der Hörer im Lehnstuhl mit einer Flasche Wein vorm Kamin und der Zigarre im Mund genießen kann, bis die Standuhr Mitternacht schlägt.

Couch-Wertung: 80°

Bei Radio Bremen und der ARD Audiothek.

"Nur Du"

Radio Tatort at it´s best

In der aktuellen (Nov.2021) Radio Tatort-Episode des NDR spielt die altvertraute Kommissarin Bettina Brauer wieder mit. Sie ist, soweit ich sehe, mittlerweile die „älteste“ Kommissarin, weil von Beginn des Radio Tatorts dabei. Alle Episoden spielen naheliegender Weise im Norden, halten verschiedene hochkarätige Autoren (Göhre, Hermann, Stein) und auch personelle Veränderungen aus, ohne dass die Krimis an Glanz verlieren. Damit gelingt es dem NDR immer wieder, erfolgreich Neuerungen zu erzielen ohne zu viel des Guten zu tun (Hamm) oder zweifelhafte Neuanfänge (HR, BR) zu starten.

Was geschieht

Das LKA Hamburg erhält ein Video zugesandt, auf dem ein gefesselter wimmernder Mann zu sehen ist, begleitet von der Nachricht: „in 25 Stunden ist er tot“. Sonst keine weitere Forderung. Der gewaltige Polizeiapparat startet seine Aktivitäten, zumal der Mann unbekannt ist. Lediglich Kommissar Döring kommt diese Person bekannt vor. Es ist der stellvertretende Filialleiter des Supermarktes, der vor wenigen Wochen überfallen wurde. Kommissarin Breuer und die Staatsanwältin machen Ermittlungsdruck, sie analysieren das Video, um zu erfahren, wo sich der Entführte befindet. Döring hingegen geht seinen eigenen Weg, er hat das Gefühl, die Entführung und der Überfall stehen in einem Zusammenhang. Damals war beim Überfall einer der Täter durch ein Versehen vom Sicherheitsdienst erschossen worden. Der zweite Täter konnte mit Geld flüchten.

Die Aussagen des Filialleiters und des Sicherheitsdienstlers führen zur Überführung des Täters, der trotz Unschuldsbeteuerungen verurteilt wird. Kurze Zeit später hängt er sich in der Zelle auf. Nun beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Döring vertieft sich zusehends in den alten Fall, ohne dass zu erkennen ist, dass es weiterhilft. Haben der solide Supermarktleiter und der schmierige Sicherheitsmann die Wahrheit gesagt? Hat sich Döring bei den Ermittlungen täuschen lassen? Breuer und die Staatsanwältin sind kurz davor, den Entführungsort zu identifizieren und den Entführten zu befreien

Wie es gemacht ist

Dieser Wettlauf mit der Zeit ist spannend und der Hörer möchte nicht nur wissen, ob der Entführte gerettet wird, sondern auch wer der/die Entführer sind. Man darf ruhig verraten, dass es keine weiteren Toten gibt, aber eine überraschende und nachdenkliche Wendung als Highlight zum Schluss. Deutliche Hauptfigur dieser Episode ist Kommissar Döring, der seinen eigenen Weg auch gegen alles Drängen seiner Vorgesetzten geht. Döring ist nicht frei von psychischen Problemen, aber dies ist nicht überbetont und scheint seine Arbeit eher zu stärken als zu schwächen. Dem Sprecher Matthias Bundschuh gelingt es ganz hervorragend mit vielen Ausdrucksmöglichkeiten, diesen Dickkopf sympathisch zu machen. Allein der Klingelton des Handys ist hörenswert. Die Spurensuche von Döring führt uns durch ein Kaleidoskop von weiteren Typen und Hörorten, alles mit leichtem, norddeutschem Akzent. Der Hörer findet sich aber immer gut zurecht. Auch Susanne Borgmann, als Kommissarin Breuer, zeigt in einer kleinen Rolle, mit wie wenig Mitteln eine gute Sprecherin, einer Figur Leben einhauchen kann. Dieser Krimi thematisiert indirekt aber auch ethisch-moralische Fragen: Dürfen Zeugenaussagen allein zur Überführung eines Täters führen? Wie geht ein Polizist mit dem Selbstmord eines von Ihm Überführten um? Was tut so etwas mit dem Polizisten ?

Was es noch zu sagen gibt

Nicht jeder Hörer wird das Ende nachvollziehen können. Auch passt das Vorgehen Dörings im Entführungsfall nicht wirklich zu seinem Verhalten beim Supermarktüberfall. Aber dies tut der Spannung keinen Abbruch. Ich persönlich wünsche mir für die nächsten Episoden auch eine wieder stärkere, erkennbare lokale Ansiedlung.

Fazit

Dieser Krimi zeigt, dass es doch noch lohnt, immer wieder in die Radio-Tatort-Reihe hineinzuhören. In gewisser Weise ist diese Episode ein Allrounder. Nicht zu hard-boiled - auch nicht cosy, ohne Mystery oder Grauen, aber spannend. Es fehlen nicht: Lokalkolorit, vertrautes Ermittlerteam, gute Story. Wem diese Episode gefällt, sollte auch die älteren Fälle hören. Dabei sind die Stories mit dem Undercover-Agenten und Pianisten Jac Garthmann besonders wertvolle Unikate.

Couch-Wertung: 90°

Beim NDR und in der ARD Audiothek als Download.

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 4" von Malte Stamer, 12.2021
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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