Krimi-Hörspiele:
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"Frau mit gelbem Barett"

Der hessische Radio-Tatort auf Erfolgskurs

Der Hessische Rundfunk erweist sich nicht gerade als ein großer Krimisupporter. In jedem Jahr gibt es nur eine Folge des Tatorts. Immerhin hat die Redaktion ein bereits 1986 produziertes Hörspiel von Patricia Highsmith ausgegraben. Schade, weil der HR mit den Koppelmanns über ausgezeichnete Regiebegabungen verfügt. Leonard Koppelmann veröffentlicht wenigstens attraktive Archivschätze im HR.

Der neue Tatort von Jan. 23 zeigt: Gut Ding will Weile haben. Er ist die 5. Episode mit dem Doppel von Kommissaren und den Bürodamen.

Inhalt

In der Offenbacher Villa einer reichen Industriellen wird eingebrochen. Ein Original-Picasso aus dem Jahre 1939 wurde gestohlen und die reiche Besitzerin schwer verletzt. Sie liegt auf der Intensivstation und kämpft um ihr Leben. Die Kommissare Hass und Teschenmacher merken schnell, dass die Ermittlung nicht einfach wird. Es gibt keine Zeugen. Ihr Lebenspartner Volker Kiebich lag zum Zeitpunkt des Überfalls noch volltrunken im Bett und hat nichts mitbekommen. Er ist ein erfolgloser Maler und Lebemann, der sich mit der finanziellen Abhängigkeit von seiner Partnerin bestens arrangiert hat. Auch ein befreundetes Künstler-Ehepaar, mit denen die beiden abends zusammen waren, kann nicht weiterhelfen. Er ist ein Säufer vor dem Herrn, sie eine ebenfalls erfolglose Künstlerin. Die vier hatten wohl eine ménage à quatre.

Doch dann meldet sich ein Unbekannter. Er bietet das Bild vergleichsweise günstig an. Die Versicherung rät zu einem Versuch. Doch die Übergabe scheitert. Dann brennt der Bauernhof des Künstlerehepaars fast ab und mit ihm ein Kunstwerk. Der Picasso? Überraschend taucht ein Schweizer Kunsthändler auf und behauptet, seit Kurzem im Besitz des Picasso zu sein.

Die Industrielle überlebt nicht. Kiebich muss die Villa verlassen. Seine Lebensperspektive bricht zusammen. Für die Polizei und alle Beteiligten entsteht eine ausweglose Situation.

Das Hörspiel

Um es vorwegzunehmen: Das Hörspiel hat einen faszinierenden, völlig unerwarteten Plot! Allein deswegen lohnt das Anhören. Auch wenn das Künstlermilieu in der Tatortepisode von 2020 schon aufgegriffen wurde.

Eigentlich ist die Konstruktion des Hörspiels sehr kompliziert. Die Handlung wird von den beiden heftig hessisch babbelnden Bürodamen Rettich und Felsenstein erzählt. Die Eine erzählt der Anderen, was sie alles mitbekommen hat. Wie Büros so sind: Sprung in die gerade erwähnte Handlung wie z.B. eine Befragung mit den tatsächlichen Figuren. Der Befragte berichtet nun von einem Gespräch. Erneuter Sprung in das Gespräch, welches natürlich zeitlich zurück liegt. Kompliment an die Regie, die sicherstellt, dass der Hörer dennoch immer gut folgen kann.

Im Team der Kommissare Haas und Teschenmacher ist in dieser Episode der ältere Haas der auffallende Ermittler. Weil er nicht aufgibt und immer wieder neu nachdenkt, erhält der Fall viele unerwartete Wendungen. Die Beiden ermitteln im Milieu der Reichen und der Künstler und fühlen sich sichtlich unwohl darin. In dieser Gemeinsamkeit hat aber jede Figur ihren völlig eigenen Charakter, der auch in der Ausdrucksweise jeden Moment deutlich zu hören ist. Es gibt Säufer, Traumtänzer und Betrüger, die der Autor Mosebach aber immer auch mit Sympathie behandelt. Dies hört der Lauscher deutlich, weil alle Rollen bestens besetzt sind. Da tragen dann ein Versicherungsagent (Martin Brambach) oder ein befragter Taxifahrer (Walter Renneisen) zur Spannung bei, indem sie die Lust am Zuhören steigern. Überragend Hedi Kriegeskotte, mit dem leicht überheblichen, souveränen Ton einer reichen Industriellen (in Rückblenden)  und ihr Partner, der Maler und Lebenskünstler, gesprochen von Leopold von Verschuer. Man kann ihn hassen oder lieben. Emotion pur. Überhaupt gibt es wechselnde Hörangebote: Zwischenmusik, begleitende Musik, eine kaum auszuhaltende, lärmende Alarmanlage, aber auch gackernde Hühner.

Die Story wird immer mit leicht ironischem Ton erzählt, was sicher nicht jedem Hörer gefällt. Sie erzählt eine klassische Ermittlungsarbeit. Geprägt von Wahrheiten, Erinnerungslücken und Lügen.

Misc.

Der Autor hat seine Hausaufgaben gemacht. Tatsächlich ist 2018 ein Picasso mit dem Titel „Frau mit Barett“ für 56 Mio. Euro bei Sotheby versteigert worden. Es ist zwei Jahre früher als das Bild im Hörspiel gemalt worden: 1939

Fazit

Das HR-Team hat sich mit dieser Episode in die Spitzenzone der Tatort-Krimis gespielt. Die Figuren haben sich weiterentwickelt und machen Lust auf mehr. Nicht versäumen.

Couch-Wertung: 90°

ARD Audiothek und direkt beim HR

"Untergang und Abendland"

Kein Untergang, aber auch keine Morgensonne

Untergang und Abendland ist der vierte und wohl auch letzte Radio Tatort mit dem Münchner Team (Nov.22). Autor ist der renommierte Krimi-Schreiber Franz Dobler, leuchtende Sterne sind die beiden Sprecher Bibiane Beglau und Johannes Silberschneider.

Inhalt

Kerstin Steiniger ist eine streitbare, populäre AfD-Politikerin. Seit kurzem erhält sie Morddrohungen und muss observiert werden. Da der Staatsschutz personelle Engpässe hat, muss für ein paar Tage das Ermittlerteam Hosnicz und Rosenberg die undankbare Überwachung durchführen. Frau Steiniger ist wenig hilfsbereit und lässt die Beiden mitlaufen statt zu kooperieren. So haben sie allerdings die Möglichkeit, die Frau in ihrem Umfeld wahrzunehmen. Sie lernen Steinigers Team und ihren Familienclan kennen.  Steiniger lebt noch mit ihrem Ehemann und der ganzen Familie zusammen, hat aber eine Geliebte. Der Ehemann ist knapp bei Kasse, die Freundin des Sohnes ist Afghanistan-Flüchtling und handelt mit Drogen. Sie gehen alle nicht freundlich miteinander um. Die Risiken für Steiniger sind hoch, weil sie sich nicht schützen lässt und provokativ in der Öffentlichkeit auftritt. Ob die Drohungen ernst gemeint sind, können die Beiden nicht beurteilen. Der Staatsschutz hält sich zurück.

Dann geschieht tatsächlich ein Mord, aber nicht an Steiniger.

Auch die Ermittlungen bleiben an Hosnicz und Rosenberg hängen.

Das Hörspiel

Das Hörspiel lebt von den Dialogen zwischen Hosnicz und Rosenberg. Hosnicz kommt gelegentlich in inneren Dialogen zu Wort. Da hört man, dass der Autor ein lebenserfahrener Mensch ist und ein glänzender Literat. Dieses Team ist in sich stimmig und die Hörer werden es vermissen. Um diese Dialoge wird die Geschichte dieser vielgesichtigen Politikerin erzählt. An hörenswerten Spielstätten und mit attraktiven Typen wie einer obdachlosen Flaschensammlerin oder einer nervigen Vorgesetzten. Tolle Idee, bei den nächtlichen Überwachungen die Musik aus dem Autoradio und die Moderatorin fast ins Geschehen einzubinden. Aber alle diese Figuren bleiben als Mensch blass und sind nur Staffage für die Geschichte, die zügig und unterhaltsam erzählt wird.

Nahezu jeder ist des Mordes verdächtig, weil der Autor viele falsche Fährten legt. Spannend ist das allerdings nicht, vor allem weil der Autor wieder ein überladenes Spektrum seiner Sicht der Welt und ihrer Schlechtigkeit ausbreitet. AfD-Menschen, die gegen sexuelle Vielfalt wettern, aber selber lesbisch sind, unfähiger Staatsschutz und Verfassungsschutz, Missbrauch der Corona-Hilfen, übergriffige Vorgesetzte, falsch verdächtigte Flüchtlinge, der Sohn, der einer irrealen Unternehmensgründung nachhängt, Antisemitismus in linken Kreisen. Der Autor lässt völlig zu Recht Rosenberg sagen: Das Ganze kann sich ja keine Sau ausdenken. Aber Franz Dobler. Der muss dem Hörer auch noch mitteilen, dass er seinen Adorno gelesen hat. Was nichts zur Handlung beiträgt.

Der Regisseur macht das Beste draus und wird dabei von einer leicht elektronischen, aber immer stimmigen Musik unterstützt.

Fazit

Der Radio Tatort Fan wird auch diese Episode tapfer ertragen, aber dem Autor wohl nicht nachtrauern. Gute Regie, viele schöne Ideen und tolles Team. Aber eher politische Agenda des Autors als spannende Unterhaltung. Trotz Krieg und Krisen ist das Abendland noch weit vom Untergang entfernt.

Couch-Wertung: 70°

ARD Audiothek und direkt beim BR

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 23" von Malte Stamer, 03.2023
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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