Krimi-Hörspiele:
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"Die größten Fälle des BND 01"

Der unverzichtbare Feind

Als Spin-off der erfolgreichen Serie „Die größten Fälle von Scotland Yard“ veröffentlicht der rührige Maritim-Verlag eine neue Serie aus der Welt des Bundesnachrichtendienstes und der Geheimagenten. Die 1. Episode erschien Ende August 22 und es sollen 11 weiteren Episoden im Abstand von ca. 14 Tagen veröffentlicht werden. Der etwas komplizierte Produktionshintergrund deutet bereits an, dass hier ein neuer Wind weht.

Inhalt

Die Serie erzählt aus dem Leben der Kunststudentin Anna Gudwin, die sich auf die Suche nach ihrem totgeblauten Vater macht. Diese fiktive Geschichte wird immer wieder unterbrochen durch historische Szenen aus der zweifelhaften Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Gegen Ende der 1.Episode versteht der Hörer diese Verknüpfung.

Handlung Fiktion

Die gerade exmatrikulierte Kunststudentin Anna wird im Gedrängel von einem Mann angesprochen. Er hat alle ihre Wertsachen bei sich. Offenbar hat sich ein Taschendieb an ihrer Handtasche versucht. Die dankbare Anna lädt ihn in die nächstbeste Kneipe ein. Der hilfreiche Manfred Mohr stellt sich als ein BND-Agent heraus. Er schlägt ihr vor, für den BND als Agentin zu arbeiten. Warum sollte sie das tun? Mohr berichtet, dass ihr totgeglaubter Vater kein harmloser Kaufmann, sondern ein BND-Agent war, der möglicherweise noch lebt.

Anna beginnt tatsächlich eine Ausbildung zu Agentin. Als sie allerdings mit einem Kollegen anbandelt, gerät sie unversehens in einen Strudel von Abenteuern.

Handlung Doku

Der Nazi Reinhard Gehlen war gegen Kriegsende Leiter der „Aufklärung Ost“ und damit verantwortlich für alle Spionagetätigkeiten in Russland. Gegen Kriegsende kalkulierte Gehlen, mit Scheitern der Nazis und einer starken Rolle Russlands im Nachkriegsdeutschland. Er ließ die wichtigsten Geheimdienstinformation heimlich auf Mikrofilm sichern und vergrub sie in einem Bergwerk, in dessen Nähe er sich dann auch versteckte. Hier nistet sich die Fiktion ein: Einer dieser Helfer war Annas Großvater! Gehlen gelang es tatsächlich, die Mikrofilme den Amerikaner als Pfand für seine Unbescholtenheit anzubieten. Er vermied nicht nur eine Verurteilung, sondern durfte auch die erste westdeutschen Geheimdienstorganisation unter der Obhut der Amerikaner aufbauen. Gehlen vertraute dabei massiv auf Alt-Nazis, die den künftigen BND (Bundesnachrichtendienst) durchsetzten.

Das Hörspiel

Doku und Fiktion sind ohne Erzähler vermischt und der Hörer braucht etwas Zeit, um sich einzuhören. Das verbindende Glied ist Annas Vater, der ein früher Mitarbeiter Gehlens war. Das Hörspiel verknüpft also eine Familiengeschichte mit der Zeitgeschichte.

Die Doku bezieht sich auf das Ende des 2. Weltkriegs, die Fiktion spielt in der Gegenwart. Aber dies alles wird zügig erzählt, atmosphärisch sehr dicht und zunehmend spannend. Die Figuren klingen mit ihren sprachlichen Färbungen authentisch wie selten. Es ist zu hoffen, dass die Hörer dies honorieren. Jenny Löffler gelingt es bestens dem Hörer die verwirrte, aber ehrgeizige Anna zum Leben zu wecken. Ein wenig unsicher, aber auch neugierig und mutig und dennoch voll im wirklichen Leben.

Form

Die Form ist in jeder Hinsicht überraschend neu. Es werden Fiktion und Dokumentation vermischt, die Story spielt in verschiedenen Zeitebenen und das alles wird ohne verbindenden Erzähler gesprochen. Gelegentlich gibt es Rückblenden. Der Stoff ist als Agenten-Thriller spannend, als politische Dokumentation ausgesprochen lehrreich. Soweit der gelernte Historiker das auf die Schnelle beurteilen kann, wurde hier saubere Recherche-Arbeit geleistet. Endlich lässt sich eine Regie darauf ein, ein Sounddesign zu hinterlegen, das dem Hörer zutraut, eigene Bilder im Kopf zu entwickeln. Originale Tondokumente und inszenierte Geschichte erhöhen die Glaubwürdigkeit.

Produktion

Maritim/Highscore geht mit dieser Reihe nicht nur in der Form, sondern in der Produktion neue Wege. Produzent ist ein in Irland angesiedeltes Start-Up (Rockasheep/Audio Quants), das mutig die ausgetretenen Pfade verlässt. Weitgehend unbekannt sind Autor, Musiker, Sprecher und Themen. Der Hörer darf also nicht auf Vertrautes hoffen, sondern muss den Mut haben, sich auf Neues einzulassen. Netflix-Serienliebhaber werden hören, dass die Produktion sich dort etwas abgeguckt hat. Der Produzent Christoph Lehmann (zusammen mit Anette Kahrmann) bezeichnet dies als „Hollywood ohne Bild“.

Fazit

Die „Fälle des BND“ wildern in verschiedensten Genres, das macht sie neu und attraktiv. Ein wunderbares Hörerlebnis für viele Zielgruppen. Eine Mischung aus Spannung, Familie, Geschichte und Politik. Hört zu! Und freut euch auf weitere Episoden.

Couch-Wertung: 85°

Bei Winterzeit/Audiobooks oder den wichtigsten Streaming-Diensten

"Im Tunnel"

Kammerspiel statt Krimi

Der NDR veröffentlicht im Sept. 22 die letzte Episode des Radiotatorts mit dem Hamburger LKA-Team Breuer, Garthmann und zuletzt Döring. Mit 24 Episoden seit 2008 ist der NDR Langlaufspitzenreiter und hat die Hörer bestens erfreut. Dies ist das Verdienst der Autoren, mit Namen wie Frank Göhre, Matthias Wittekindt, Elisabeth Herrmann und Sabine Stein. Die Regisseure waren Norbert Schaefer, Sven Stricker und Andrea Getto. Mit den eindrucksvollen Stimmen von Sandra Borgmann, Martin Reinke und Matthias Bundschuh ist das Rezept für gute Krimis schon geschrieben.

Inhalt

Der etwas schwierige Einzelgänger Kommissar Döring sitzt in U-Haft. Er soll den Ganoven Koppka erschossen haben. Koppka ist Dörings schlechtes Gewissen. Durch eine Falschaussage des Wachmannes Koppka wurde ein junger Mann verurteilt und hat sich in der Zelle erhängt (Episode: Nur Du). Dies nagt an Döring.

Was war geschehen? Der Bandenkriminelle Camil Barbu hat an einer Schule Geisel genommen und fordert, dass der Mörder von Zwei seiner Leute ausgeliefert wird. Die Soko nimmt die Arbeit auf und sucht Koppka. Döring auch, aber auf seine Weise. Und er findet ihn und erschießt ihn. Aus Notwehr. Aber der tote Koppka hat keine Waffe in der Hand und es gibt keine Zeugen. Die Entführung war schon längst unblutig zu Ende gegangen. Döring hat nichts davon mitbekommen.

In der Zelle ist seine Anwältin bemüht, Klarheit in den Tatverlauf zu bekommen. Auch der ehemalige Kollege Jac Garthmann lässt sich blicken und redet mit Döring. War es Notwehr oder Mord?

Das Hörspiel

Im Tunnel ist nicht wirklich ein Krimi. Die Inhaltsbeschreibung hört sich spannender an als es ist. Wer die Episode „Nur Du“ nicht kennt, muss aufpassen, den Faden aufzunehmen. Im Hörspiel redet Döring mit seiner Anwältin, mit Garthmann und gelegentlich mit einem Wärter. Gelegentlich hört man fiktive Briefe von Döring an seine Chefin. Mehr passiert auf der Ebene der Handlung nicht. Aber im Kopf explodiert es unentwegt. Döring kämpft mit Selbstzweifeln, seiner Berufsehre, letztlich seinem Leben.

Die Autorin nutzt dieses Kammerspiel für ein intensives Reflektieren und Philosophieren über die Arbeit der Polizei. Da geht es um Notwehr, Selbstjustiz oder Ambivalenzen. Die locker gespielten Szenen mit dem Wärter lassen den Hörer durchhalten. Das ist kein Straßenfeger, aber vielleicht ein schöner Abschluss dieser Episodenfolge.

Matthias Bundschuh ist ein Charaktersprecher der Extraklasse. Immer noch unverbraucht bringt er den mit sich ringenden Döring zu Gehör. Martin Reinke hat einen unverwechselbaren ruhigen, norddeutschen Klang, der ein wenig die Schwere nimmt. Sabine Orleans Anwältin klingt eher nach einer Staatsanwältin. Keine Spur von Empathie für den gebeutelten Döring.

Die musikalische Begleitung von Sabine Worthmann, die Stammkomponistin für diese Tatort-Reihe, ist vorsichtig modern inszeniert. Erinnert ein wenig an die Commissaris-Krimis. Sie hört sich  oft wie schlecht geschnitten oder unfertig beendet an. Ein Symbol? Da tröstet die gelegentliche Kammerpopmusik von Tindersticks (Willow von 2019 lt. Shazam).

Fazit

Team und Regie haben das Beste aus einer verschwurbelten Vorlage gemacht. Das mag als Hommage an die Sprecher und die Autorin noch durchgehen. Aber hörenswert ist es nur für eine Minderheit. Wer über Recht und Unrecht nachdenken will, ist bei Schirach deutlich besser aufgehoben.

Couch-Wertung: 65°

In der ARD Mediathek zum Download

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 17" von Malte Stamer, 10.2022
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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