Krimi-Hörspiele:
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"Sprich dein Gebet, Shimon Lévy"

Anmutung oder Zumutung?

Das Team der SWR Hörspielredaktion wagt einen mutigen Schritt: Ein französischer Regionalkrimi der Autorin Annette Fern, die gerade mal zwei Bücher in Frankreich veröffentlicht hat, wird in ein Kriminalhörspiel übertragen. Eine deutsche Veröffentlichung gibt es nicht. Das Ganze spielt in Straßburg, also Elsass, in einer jüdischen Gemeinde! Dazu gehören Mut und Selbstbewusstsein.

Inhalt

Der neueingestellte Kantor der jüdischen Gemeinde erscheint nicht zum symbolträchtigen Gemeindegesang an Yom Kippur an seinem neuen Arbeitsplatz, der Straßburger Synagoge. Am nächsten Morgen findet die Radiomoderatorin der jüdischen Gemeinde seine Leiche im abgeschlossenen Aufnahmeraum. Er wurde erstochen. Der ältliche Kommissar Schweitzer ermittelt akribisch in dem für ihn unbekannten jüdischen Umfeld. Wie kam der Täter in den Aufnahmeraum? Kannte der Tote den Täter? Der Raum war abgeschlossen, als die Moderatorin ihn öffnete!  Wer hatte überhaupt ein Motiv, einen begabten, eher einsam lebenden, jungen Kantor zu töten?

Der neue Kantor war übers Internet aus Israel vermittelt worden und niemand kannte ihn offenbar näher. Schweitzer freundet sich im Laufe der Ermittlungen mit einem wichtigen, selbst betroffenen Gemeindemitglied an und erfährt immer mehr über Neider, Intrigen und Liebesspiele in der Gemeinde, ohne dass er Hilfreiches über die Person des Kantors oder mögliche Motive erfährt. Die Ermittlung verläuft im Sande, lässt ihm innerlich aber keine Ruhe. Als seine neuen Freunde ihn und seine Frau ein Jahr später nach Tel Aviv einladen, nimmt er sich vor, diesen Warm Case aufzugreifen. Begabt mit Zähigkeit, Kontaktfreudigkeit, gepaart mit hilfsbereiter, israelischer Polizei und Kommissar Zufall gelingt es ihm, den Fall zu lösen, ohne dass seine Ehefrau, den Urlaub abrupt abbricht.

Anmutung oder Zumutung?

Dem laut Wiki in Straßburg wohnenden routinierten Regisseur Ulrich Lampen ist ein beneidenswerter Fund in die Hände geraten und eine wunderschöne kriminalistische Hörspielerzählung gelungen.

Keine Cliffhanger, nicht infarktgefährdend, aber Neugier weckend bei Menschen, die die Abgründe menschlichen Dasein aus umfangreicher Lektüre, Zuhörens oder eigener Erfahrung kennen. Alles ganz ruhig und eher beiläufig erzählt, aber nie ohne innere Spannung. Der Hörer taucht ein in die eigene Welt einer jüdischen Community, die so eigen nicht ist, weil sie bei allen Traditionen eingebunden ist in die wirkliche Welt.

Sprachlich wird das durch ein tiefes Abtauchen in eine Art Honoratioren-Jiddisch oder Elsässisch verständlich gemacht. Was nicht für jeden verständlich ist. Aber damit gelingt ein atmosphärisch unheimlich dichtes Hörerleben, dass manche Schwächen des eher gemächlichen, inhaltlich nicht wirklich überzeugenden Krimis überdeckt. Es ist nicht das Anliegen dieser Ursendung, die kulinarischen Highlights Straßburgs zu präsentieren oder sich anderweitig dem Mainstream anzubiedern.

Das alles funktioniert auch deswegen, weil es dem Produktionsteam gelungen ist, ein wenig bekanntes Sprecherteam zusammenzustellen, das stimmig ist und Stimmung hebt: Chapeau.

Erst gegen Ende erschließt sich der Titel, der wörtlich dem französischen Buchtitel folgt.

Einordnung

Die belesene Autorin Fenn kennt ihre Pappenheimer. Der Krimi ist unüberhörbar in elsässische und jüdische Krimitraditionen einzuordnen. Der Hunkeler vom Schweizer Autor Schneider, aber auch der übermächtige Maigret lassen grüßen. Die nebenbei vermittelten Informationen über jüdisches Leben außerhalb Israels erinnern an Alfred Bodenheimer und seinen Rabbi Klein oder, oder, lang ist es her, Rabbi Small von Kemelman. Keine komplizierten Fälle, nicht zu viel Psychologie, sondern Alltag in der jüdischen Lebenswelt.

Was dem Außenstehenden als komplizierte rituelle Regel daherkommt, entpuppt sich im Alltag als lästige Marotte, wie sie in jeder Familie vorkommen kann. Autorin und Regie haben unüberhörbar das Anliegen, jüdischen Lebens verständlich zu machen. Es gibt ja das schöne Wort: Hörverstehen. Schön wäre es, wenn es für jüdisches Leben überall in der Welt auch noch angstfrei sein könnte. Ein geschickter Schachzug ist es übrigens, das alles im Elsass spielen zu lassen. Eine Region mit wunderschönen Fachwerkhäusern und einem Freizeitpark für die Schlümpfe. Dann sparen wir uns die großen Aufgeregtheiten bei manchen Vereinfachungen.

Fazit

Trotz erstochener Leiche nichts für „hard-boiled“ Fans. Aber wer die Ohren spitzt und die Synapsen auf „go“ stellt, wird diese Zumutung genießen und im besten Fall mehr Verständnis für das jüdische Leben aufbringen. Das Redaktionsteam wird wissen, dass die Autorin bereits einen zweiten Roman mit diesem Team auf Französisch publiziert hat.

Couch-Wertung: 85°

In der ARD-Mediathek

"Exponat 712"

Ein charmantes Hörspiel ohne Infarktgefahr

Seit einiger Zeit bietet Hermann Media Audiobooks eine Hörspielreihe an, die laut Eigenwerbung „Spannung, Charme und eine gute Prise Humor“ bietet. Der Verlag veröffentlicht eine Reihe von Cosy Krimis und scheint damit recht erfolgreich zu sein: Mit Stil und Sexappeal, Lefevre und Murphy, Margaret Rutherford sowie demnächst Kommissar Tacheles.

In der Reihe „Die Alte und der Kommissar“ begeben sich die rüstige Rentnerin Adele Fuchs und der Kommissar a.D. Waldemar Hering auf Verbrecherjagd. Das Paar erinnert nicht zufällig an Miss Marple und Mister Stringer von Agatha Christie aus dem berühmten Paddington-Film. Exponat 712 ist die vierte von bisher 6 Episoden (Juni 2022). Autor ist der routinierte Vielschreiber Marcus Meisenberg, der hier seine Liebe zu Fantasy versteckt.

Inhalt

Adele Fuchs und Waldemar Hering gönnen sich einen Kulturtag und besuchen eine Ausstellung über moderne Kunst. Adele Fuchs erläutert dem offenbar wenig belesenen Kommissar die wichtigsten Kunstwerke und genießt es, sich einige wertvolle Werke endlich mal genauer anschauen zu können. Der Genuss wird jäh durch eine junge Frau gestört, die in Ohnmacht gefallen ist und um die man sich kümmern muss. Gott sei Dank nichts Ernstes.

In dieser Phase betrachtet Adele das Exponat 712 genauer: Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Aufhängung ist anders als bei den übrigen Bildern. Adele betrachtet alles eingehend und verkündet, dass es sich um einen simplen Kunstdruck handele. Die herbeigeholte Museumsdirektorin muss dies leider bestätigen. Wer stiehlt oder fälscht ein Gemälde, das keinen hohen Marktwert besitzt und zudem noch unhandlich ist?

Die eilends herbeigeholte Polizei ist ratlos. Trotz ausführlicher Befragung der Museumsbesucher und Auswertung der Überwachungskameras ergibt sich kein klares Bild der Tat.

Adele gibt nicht auf. Wie kann man ein so großes Bild verschwinden lassen? Hat der Ohnmachtsanfall die Besucher nur ablenken sollen? Vielleicht kann ein örtlicher Kunsthändler weiterhelfen. Adele spinnt den Faden immer weiter. Dabei hilft ihr der ständige Gedankenaustausch mit dem Sidekick Hering.

Das Hörspiel

Adele und Waldemar sind ein sympathisches Team. Adele ist klug, belesen und immer hellwach. Sie findet immer neue Spuren und Ermittlungsansätze und überführt letztlich die Täter. Waldemar ist Rentner, eher etwas langsam, dafür kontaktfreudig und zuverlässig. Die Sprecher füllen diese Rollen ohne Übertreibungen aus. Die chronologisch erzählte Handlung bleibt spannend, weil viele Ermittlungspfade in die Irre laufen, aber Adele nicht aufgibt und die Handlung vorantreibt.

Bei der Spurensuche begegnen dem Hörer eine Reihe weiterer interessanter Charaktere mit eigenständigem Profil. Das Tempo des Hörspiels ist dem Alter der Hauptfiguren entsprechend eher ruhig. Musik und Geräusche untermalen die Spielszenen angemessen und hörenswert. Der Regie gelingt es, die unterschiedliche Atmosphäre im Museum oder beim Kunsthändler mit Champagner und Schnittchen einzufangen.

Spannung und Charme sind getroffen. Der Humor ist weniger zum lauten Lachen als zum leichten Schmunzeln.

Manche Szenen und Ideen sind in Dauer und Inhalt etwas überzogen und zu langwierig präsentiert. Gelegentlich überkommt auch den Autor, sein Wissen über Kunst zu präsentieren. Das trägt nicht zur Handlung bei und nimmt ein wenig die Lust zu lauschen. Auch hätte eine Kürzung auf weniger als eine Stunde dem Hörspiel gutgetan.

Fazit

Das Hörspiel ist kein Kunstwerk, sondern solide Handwerksarbeit mit einem Touch Kunsthandwerk und einer eigenen Handschrift. Es ist nachvollziehbar, dass sich eine Fangemeinde für dieses sympathischen Team findet.

Couch-Wertung: 70°

Bei Hermann Media oder in den gängigen Streamingdiensten.

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 13" von Malte Stamer, 08.2022
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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