Krimi-Hörspiele:
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"Miss Terry"

Eine spannende Geschichte von fast allem

Die sympathische Lehrerin Nita Teri kann nicht die Täterin sein, dazu ist sie zu sympathisch! Aber in der Nähe ihrer Wohnung wird in einem Bauschuttcontainer ein totes Baby gefunden und Nita, meist abschätzig Terry genannt, gerät bei Anwohnern und Polizei in Verdacht. Nun beginnt eine Geschichte von Verdächtigungen, Verzweiflung, Lügen und akuten Gefahren. Aber auch von HiIfen, Mutmachern und Unterstützung. In den Szenen des Hörspiels wechseln die Spielorte. Man lernt echte und falsche Freunde kennen. In zwei Hörstunden schreitet die Handlung voran und es gibt immer wieder überraschende Wendungen, so dass man sich immer weniger für den möglichen Täter interessiert. Im Grunde ist dieses Kriminalhörspiel eine Geschichte über Rassismus, Frauensolidarität, Familienclans und Polizeigewalt. Eben über fast alles.

Ein brilliantes Hörspiel

Das Hörspiel ist glänzend mit Sprechern besetzt, die jeder Rolle ihren eigenen, gut wiedererkennbaren Charakter geben. Einzelne Rollen empfinde ich als überbetont. Miss Terry ist spannend inszeniert ohne Längen oder große Abwege. Das Ohr freut sich über die ambitionierten Texte und eine passende Geräuschkulisse.

Eine Erzählerin führt einfühlsam durch die Handlung. Die Musik erinnert mich persönlich eher an Stimmungsbegleitung eines Fernsehtatorts. Da hätten ein paar Blues-Takte mehr in das Feeling gepasst.

Das Hörspiel folgt einem Roman von Liza Cody, der bereits 2012 veröffentlicht wurde, aber nichts an Aktualität eingebüßt hat. Es handelt sich um eine Originalproduktion des WDR aus dem Jahr 2021 und liegt in zwei (allerdings zusammenhängenden) einstündigen Teilen vor, die ab Ende Mai 2021 in den Sendern des ARD zu hören sind.

Fazit

Wer gute Hörspiele liebt, die neben dem Krimiplot noch andere, aktuelle Themen aufgreifen und 2 Geduld hat, wird hier belohnt werden. Kein Klassiker, aber spannende, hörenswerte Unterhaltung auf höchstem Niveau

Couch-Wertung: 95°

Das Hörspiel steht in der ARD Audiothek oder beim WDR zum kostenlosen Download (als mp3 bis 28.11.2022) zur Verfügung. Weitere Details finden sich in den wichtigsten Hörspieldatenbanken (ARD, HörDat).

"Der letzte Trychler"

Abschluss einer hörenswerten Trilogie

Außerhalb der Schweiz werden nur Wenige wissen, dass in einigen Regionen der Schweiz die Trychler gemäß einem alten Brauch mit einer Kuhglocke böse Geister vertreiben wollen. Und diese Trychler stürzen sich in Meiringen wie die Lemminge in den Tod. Nur einer überlebt.

Eine neue Welt

Die Handlung spielt im touristisch beliebten Meiringen in der Schweiz. Wir haben das Jahr 2050. Meiringen wird gelegentlich von einem ohrenbetäubenden Lärm überfallen, der für Menschen nicht auszuhalten ist, sie zur Verzweiflung bringt, ja sogar in den Tod treibt. Niemand kennt die Ursache und das Schweizer High-Tech-Militär nimmt sich der Sache an, als sich hunderte Trychler in den Tod stürzen. Bis auf eine sind die anderen jahrhunderte alten Glocken zerstört. Die Tradition der Geistervertreibung droht zu enden.

Mit modernsten Methoden untersucht das Militär die Ursache. Dabei nutzt sie auch die Unterstützung der „Ear Force One“.  Einziges Mitglied dieser Einheit ist ein Relikt aus der Vergangenheit: H.P. Anliker, der seine Sinne mit modernsten Audiotechnologien verknüpft und glaubt, die Lösung dieser dramatischen Situation zu finden. Anliker läuft mit offen Augen durch den Ort, spricht mit alten Menschen, aber auch mit Glocken! Auf dieser Spurensuche findet der Lonesome Cowboy Hinweise auf die Vergangenheit, begibt sich zum Teil auf die Suche nach sich selbst. Schnell gerät er in Konflikt mit seiner Chefin bei der Armee. Wird Meiringen vor der Zerstörung gerettet.

Das vollständige Kunstwerk

Der letzte Trychler ist die Endfolge einer Trilogie des Schweizer Hörfunks, die innerhalb der Radiotatort – Folgen gesendet wurden. Sie ist in gewisser Weise auch der krönende Abschluss. Im Mittelpunkt jeder Folge stehen Anliker und der Ort Meiringen mit den Reichenbachfällen. Der Conan Doyle Fan wird schweigen, genießen und neugierig sein. Die Folgen beginnen im Jahr 1901 (1. Teil) und enden 2056! Der geneigte Leser merkt schon, hier geht es nicht um einen Reality-Crime.

Die bewährten Autoren Berger, Caveltry und Holliger holen weit aus und zeichnen das Bild einer sich immer wieder verändernden Welt, in der alte Bräuche, die den Menschen Sicherheit geben, aussterben und neue Technologien, Ängste verursachen. Jede Folge ist ein in sich abgeschlossener spannender Kriminalfall. Aber die drei Folgen sind viel mehr: Mystery, Fantasy, klassische Polizeiarbeit und immer auch weitgreifende Inputs für spannende Diskussionen.

Das Beste zum Schluss

Vor allem aber ist die letzte Folge ein akustisches Kunststück:

„Jetzt bin ich aber im völlig falschen Hörspiel.“
„Anliker, was ist mit Ihnen?“
„Meine eigene Stimme ist auf dieser Scheiß-Glocke drauf. Und zwar vor – warten Sie – 165 Jahren: Das hieße nicht nur, dass ich vor 165 Jahren schon einmal hier gewesen sein muss, sondern auch, dass diese Glocke damals in meiner Nähe war.“

Die Musik-Geräusch-Konstruktionen von Ulrich Bassinge sind ein Erlebnis für die Ohren, wenngleich gelegentlich übertrieben. Die Autoren haben einen Text geschrieben, in dem jedes Wort sitzt: „Zum Toten Winkel“  heißt ausgerechnet ein Altersheim, im dem als einziger Flecken im Ort der Weltenlärm nicht zu hören ist. Die Sprecher sind bis auf die kleinste Rolle bestens besetzt und immer sehr gut, auch für Nicht-Schweizer zu verstehen.

Der Handlung zu folgen erfordert Aufmerksamkeit, Fantasie und Mitdenken. Aber es lohnt sich. Der Regisseurin Susanne Jannson ist es gelungen, Kriminalspannung und Fantasy zu einem Hörereignis ersten Ranges zu verknüpfen. Eine „preis-würdige“ Inszenierung, die hoffentlich ermuntert, auch die vorhergehenden Folgen zu hören.

Das Hörspiel ist also eher etwas für Genießer und Kenner. Insofern wird sich die typische Hörergemeinde des Radio Tatorts schwer tun. Es hebt sich nämlich von den zunehmend schlichten und einfallslosen Stories des Radio Tatorts deutlich ab.

Der Schweizer Krimipodcast

Die Meiringer Triologie des SRF ist ein gute Gelegenheit auf die Arbeit des Redaktionsteams aufmerksam zu machen. Susanne Jannson und Wolfgang Höll präsentieren jede Woche ein Kriminalhörspiel. Darunter sind mutige Stücke, wie die Meiringer Trilogie, aber auch Klassiker wie Dickie Dick Dickens, Paul Temple oder Hunkeler und aktuelle Eigenproduktion wie z.B. vom Rabbi Klein.

Die Beiden stellen jeweils das Hörspiel vor, diskutieren ein wenig darüber und halten engen Kontakt zu ihren Hörern. Gelegentliche Links ermöglichen eine inhaltliche Vertiefung. Dieses deutsch-sprachige Angebot ist wirklich einzigartig und sollte für deutsche Sendeanstalten ein Vorbild sein.

Fazit

Der letzte Trychler ist ein Hörspiel für Kenner und Genießer. Weit entfernt von den beliebten True-Crimes. Hier ist jeder Ton des Hörens wert. Es eignet sich weniger zum Reinhören beim Bügeln oder Joggen. Beim Roman würde man hier wohl von einem anspruchsvollen Buch sprechen, das nichts gemein hat mit Regionalkrimis.

Couch-Wertung: 85°

Das Hörspiel steht in der ARD-Audiothek oder direkt im SRF-Krimipodcast zum Download bereit.

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 1" von Malte Stamer, 08.2021
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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