Diskussionsrunde mit Pieke Biermann, Susanna Mende, Jürgen Bürger und Peter Friedrich

Unbedeutend, unterbezahlt, unsichtbar?

05.2003 Die Krimi-Couch im Gespräch mit den ÜbersetzerInnen Pieke Biermann, Susanna Mende, Jürgen Bürger und Peter Friedrich.

Krimi-Couch.de: Herr Friedrich, auf Ihrer Website schreiben Sie, dass eine gute Übersetzung in Buchbesprechungen selten erwähnt wird, bei einer schlechten der Übersetzer aber schon die Kritik zu spüren bekommt. Gehören Sie vier einer verkannten Zunft an?

Jürgen Bürger: JA! In den ersten Jahren meiner Übersetzertätigkeit neigte ich noch zu einem milden Lächeln, wenn unter Kollegen über den beschriebenen Sachverhalt geklagt wurde – und dachte: Was für ein blödes Gejammer.

Sehe ich heute aber eine Sendung wie »Lesen!« von Frau Seidenweich (zur Seite gesprochen: Frau Leidenteich steht nicht auf Krimis) und höre, wie man sich nachgerade verliert in preisenden Ergüssen über wunderschöne, kreative, ja geniale Formulierungen und Erzählkunst dieses oder jenes Autoren/Autorin, ohne auch nur im klitzekleinsten Nebensatz durchschimmern zu lassen, man wisse um und schätze die Arbeit jener, die dem Leser deutscher Ausgaben solch literarisch verursachte Absencen überhaupt erst ermöglichen (denn immerhin: hier und an anderen Stellen, an denen Literaturkritik stattfindet, ist in aller Regel die deutsche Version Gegenstand der Betrachtung, eben nicht die Originalausgabe), dann werde ich schon mal zornig. Und fühle mich als Angehöriger einer »verkannten Zunft«. Und weiß doch auch, dies ist ja nur die Spitze des Eisbergs.

Peter Friedrich: Nein, ich fühle mich nicht als Angehöriger einer verkannten Zunft! Dazu müsste man uns Übersetzer doch erst mal zur Kenntnis nehmen. Wir sind leider in einer ähnlichen Position wie die Drehbuchautoren bei Film und Fernsehen – unsichtbar. Vielleicht mit dem Unterschied, dass die für ihr Schattendasein besser bezahlt werden.

Peter Friedrich:
»Man müsste uns Übersetzer
überhaupt erstmal
zur Kenntnis nehmen!«

Kürzlich hat mich jemand ganz ernsthaft gefragt, was ich als Übersetzer denn so mache, schließlich gebe es dafür doch inzwischen Computer. Was soll man da groß sagen? Aber bei Elke Heidenreich – da Jürgen Bürger sie erwähnt hat -, da werde ich wirklich sauer. Wenn man schon seine Brötchen mit einer Show über Literatur verdient, sollte man vielleicht das Fingerspitzengefühl haben, diejenigen zu erwähnen, die diese Show erst möglich gemacht haben. Und das sind eben nicht nur die Autoren und das ZDF. Im Grunde ist es mir aber ziemlich egal, ob ich in einer Kritik erwähnt werde oder nicht. Wird der Stil gerühmt, beziehe ich das einfach auf mich. Ich glaube nicht, dass jemals ein Buch wegen des Übersetzers gekauft werden wird. Bekommt man mehr Aufträge bei guten Kritiken? Würde man welche verlieren bei schlechten? Keine Ahnung.

Jürgen Bürger: Es war einmal, da dachte ich, wenn Du erst im »großen« Feuilleton erwähnt wirst, dann wissen das natürlich auch sofort alle Lektoren dieser und anderer Welten, und je nachdem hagelt’s nur so hoch dotierte Aufträge. Leider nur geträumt. Gerade in den letzten paar Jahren hatte ich mehrere angenehmste Erwähnungen in Zeit, FAZ und Co., aber darauf nicht ein neuer Auftrag, gar nicht zu reden von größerer Bereitschaft, meinen Honorarvorstellungen entgegenzukommen. Im Gegenteil wird zunehmend massiver – gleichwohl das nichts mit »guten Kritiken« zu tun hat – auf die Preise gedrückt.

Pieke Biermann: Es gibt ein Grunddilemma beim Übersetzen, für das weder Rezensenten noch Verleger noch gar Übersetzer selbst verantwortlich sind: Übersetzen ist wie Hausarbeit, es ist dann gut, wenn es nicht auffällt. Wenn ich beim Lesen vergessen darf, dass das Buch ursprünglich nicht auf Deutsch verfasst wurde, dann ziehe ich mein UNO-Basecap vor dem/der ÜbersetzerIn.

Zweitens: Wenn ich mich verkannt fühle, hat das oft mit der Tagesform zu tun. Gibt so Tage, an denen ist mir wurscht, ob irgendwelche »tertiären Analphabeten« (vulgo: Literaturvermittler, Rezensenten usw.) mich nun wahrnehmen oder nicht. An anderen nehme ich schon übel, wenn sie mich zwar lautstark loben, aber nicht mal den Namen richtig abschreiben (lassen).

Grundsätzlich finde ich es eigentlich nicht der Rede wert, weil selbstverständlich, dass ÜbersetzerInnen erstens genannt und zweitens kritisch gewürdigt werden. Betonung auf kritisch! Denn ÜbersetzerInnen haben mit den Ur-UrheberInnen (vulgo: AutorInnen) eins gemeinsam: Beide produzieren auch eine Menge Mist. Ich weiß das, ich bin in beiden Abteilungen aktiv.

Was mich allerdings richtig nervt – here comes the twist! – sind Verleger und deren Redakteure/Lektoren/Buchhalter (bitte auch die alle in Innen-Form denken!), die wider besseres Rechnen ausgerechnet mit solchen Übersetzern um Pfennige feilschen, die ihnen dank korrektur- und kontrollarmer Arbeit große Folgekosten ersparen! Die eine/n, mit anderen Worten, behandeln wie irgendwelche unbedeutenden Zulieferer. Ich glaube, da liegt der Fötus des Hasen im Pfeffer – der ausgewachsene Hase ist dann der nirgends besonders erwähnte Name des Übersetzers in den nachfolgenden Medien.

Nach meinem Verständnis von Ökonomie und Gesellschaft wäre schon viel gewonnen, wenn Verlagsmenschen ihre Übersetzungsmenschen mindestens mal so sehen würden wie ein patriarchalischer Haushaltsvorstand die Arbeit seiner Gattin: Die wird zwar bislang gar nicht bezahlt, aber kluge Patriarchen wussten wenigstens immer schon, dass sie ohne beide (die Gattin wie deren Arbeit) gar nichts wären, und – überließen ersterer Zugang zum Konto.

Jürgen Bürger: Pieke, wie Zulieferer, die man wirtschaftlich ruhig mal an die Wand drücken kann. Zitat einer (mehr oder weniger bekannten dt. Verlegerin): »Nun, es zwingt Sie ja niemand, diesen Beruf auszuüben.« Dies auf meinen Vorschlag, doch für gute Arbeit ein wenig Anpassung an seit über zehn Jahren eingefrorenen Honoraren vorzunehmen. Auch schön sind die trickreichen Versuche, andere Abrechnungsmodalitäten jenseits der berühmten Normseite zu finden. Da schrumpelt so eine »Normseite« dann schon mal gern um 30 Prozent ein. Jüngst erst hatte ich wieder so eine Debatte, was mich dann am Ende – denn ich stehe nicht am Ende der Nahrungskette – locker mal 1000 Euronen kostete. »Wir bewegen uns ja jetzt auf Augenhöhe«, so die bereits zitierte Verlegerin weiter, »wenn wir Preise aushandeln. Von wegen dem neuen Urheberrecht.« Ja, ja, das sehe ich auch so. Auf Hühneraugenhöhe.

Jürgen Bürger:
»Ich bin diese Pseudo-Verleger,
die oft noch nicht mal gute
Unternehmer sind, so satt.«

Apropos Urheberrecht – wieso handhaben wir’s nicht z.B. wie die Fotojournalisten bzw. Berufsfotografen? Ich räume einem Verlag ein Nutzungsrecht für einen bestimmten Zweck ein (Erst-Veröffentlichung, meinetwegen auch noch Zweitveröffentlichung als Taschenbuch, natürlich gegen angemessen Beteiligung). Alles weitere – Lizenzverkauf, Rundfunk- und Fernsehrecht usw. usf., eben die Nebenrechte – bleiben zukünftig bei mir und werden bei Bedarf gegen Bares gegeben. Ich glaube, ich werde das in Zukunft verschärft in Vertragsverhandlungen einbauen. Ich bin diese Pseudo-Verleger, die oft noch nicht mal gute Unternehmer sind, so satt. Wenn das Buch denn nichts als eine Ware wie Millionen andere ist, dann will ich auch eine angemessene Bezahlung dafür. Es kann ja wohl nicht sein, dass ausgerechnet unser Anteil an den Produktionskosten der Ware Buch auf immerdar als Konstante dasteht, während inzwischen für jeden Scheiß Stundenlöhne berechnet werden, von denen ich in meiner Übersetzer-Persona nur träumen kann.

Peter Friedrich: Das wurmt natürlich, aber wir sind nur unbedeutende Zulieferer, ökonomisch betrachtet, solange die gute oder schlechte Übersetzung sich herzlich wenig auf den Verkaufserfolg eines Buches auswirkt. Und hier sind schon die »nachfolgenden Medien« gefragt, die Existenz des Übersetzers überhaupt mal in den Blickpunkt zu rücken. Denn, wie du treffend gesagt hast, eine wirklich gute Übersetzung merkt man daran, dass man sie nicht merkt. Aber mit Namensnennungen ist es nicht getan. Da müsste sich schon am Bild des literarischen Übersetzers in der Öffentlichkeit etwas ändern. Dass er eben etwas ganz anderes tut, als nach irgendeiner Formel eins zu eins von Sprache A nach Sprache B umzurechnen. Packen wir’s an.

Susanna Mende: Beim Thema »Nachhaltigkeit« der Verlage im Umgang mit Übersetzern muss ich Pieke aus ganzem Herzen zustimmen. Es ist wirklich unverständlich, wie ein Verlag, der mit einem Übersetzer gute Erfahrungen gemacht hat, beim nächsten Mal trotzdem zu einem »Billiganbieter« greift. Es war sogar einmal der Verleger selbst, der zu mir gesagt hat »entweder man hat mit einer Übersetzung noch drei Tage Arbeit oder fünf Wochen«. Und aus einer schlechten Übersetzung kann man nie eine gute machen, trotz vieler unbezahlter Überstunden von Lektoren.

Susanna Mende:
Solange wir den Dumpingpreisen
von »Billiganbietern« ausgesetzt sind,
wird es nur Einzelnen gelingen,
würdig davon zu leben.

Was eine Verbesserung der Honorierung angeht, bin ich nur gedämpft optimistisch. Da liegt noch ein harter und steiniger Weg vor uns. Mit der Urheberrechtsnovellierung ist ein Anfang gemacht, aber den Gesprächen mit Verbandskollegen, die sich dafür mächtig ins Zeug gelegt haben, entnehme ich, dass die Übersetzer eine Art Lobbyarbeit machen müssen. Leider sind wir nicht so mächtig, wie die Agrarverbände (vom Lesen schlechter Übersetzungen bekommt man nun einmal keinen Dünnpfiff, sonst wäre längst ein Verbraucherschutz für Leser fällig). Ansonsten gilt eben das Gesetz von Angebot und Nachfrage, und solange wir den Dumpingpreisen von »Billiganbietern« ausgesetzt sind, wird es nur Einzelnen gelingen, würdig davon zu leben.

Innerhalb dieses gedämpften Erwartungshorizonts habe ich persönlich allerdings einen kleinen Sprung nach vorne gemacht, seit ich von einem Agenten betreut werde (seit Anfang des Jahres gibt es nämlich die erste deutsche Agentur für Literaturübersetzer). Meine Lebensqualität hat sich merklich verbessert, seit ich nicht mehr persönlich mit Verlegern über Geld reden muss – und, siehe da, die vertragliche Situation ebenfalls.

Krimi-Couch: Einige Schwarze Peter haben Sie jetzt schon verteilt – doch woran kann der »normale Leser« überhaupt merken, ob es sich bei dem, was er gerade liest, um eine gute Übersetzung handelt, wenn er nicht gerade das Original zur Hand hat? Was ist, wenn der Stil im Original schon zu wünschen übrig ließ? Darf oder muss ein Übersetzer aus schlechtem Englisch (Spanisch, Französisch, Italienisch) gutes Deutsch machen?

Jürgen Bürger: Darf er? Muss er? Zunächst mal: Dürfen wem gegenüber? Darf man es dem Autoren des sprachlich eher schlechten Originals gegenüber oder ist man dem zukünftigen Leser der Übertragung »gutes Deutsch« schuldig?

Könnte ja sein, dass das, sagen wir, schlechte Englisch absichtlich schlechtes Englisch ist. Dann darf der Übersetzer nicht, finde ich. Zum Beispiel würde sicher manch einer sagen, dass die Sprache von Victor Headleys Yardie-Romanen schlechtes Englisch ist – weil die Akteure nämlich überhaupt kein »gutes Englisch« sprechen können! Ich habe das damals so gelassen. Meine Übertragungen sind kein gutes Deutsch. Wurde mir auch in Kritiken vorgeworfen. Aber: Für mich war das ein fester Bestandteil der (literarisch gesehen: guten) Romane.

Ich bin nun kein Literaturwissenschaftler, daher fehlt mir die Terminologie; sag ich’s mal mit meinen ungebildeten Worten: Man merkt doch, ob und wenn ein Autor erzählen kann; man erkennt, in welchem Kontext »schlechte Sprache« stattfindet. Ist es Stilmittel, ist es wichtig ob der Authentizität (Slang! Ich denke gerade auch an afro-amerikanische Literatur aus den Siebzigern, angesiedelt im Zuhälter- und Knast-Milieu ...) oder ist es vielleicht gar nicht wichtig, weil der erzählerische Impetus einfach da ist?! Wenn dann mal ein Satz, eine Formulierung im Original in die Hose gegangen ist – das passiert jedem, glaube ich, auch dem größten Romancier -, dann »korrigiert« der Übersetzer so was – ggf. und vorzugsweise nach Rücksprache mit dem Autoren

Tja, und dann sind da solche Bücher, bei denen weiß man, dass mehr fehlt als nur eine formale Beherrschung der Quellsprache. Da fehlt das erzählerische Talent, die Inspiration, das magische Händchen, eine Geschichte von A bis Z erzählen und im Kopf des Lesers eine Welt, ein Universum entstehen lassen zu können. Okay, ich höre den Einwand. Dies Urteil ist natürlich ein subjektives. Um so was dann stilistisch und sprachlich in »gutes Deutsch« zu trimmen, ist weniger übersetzerisches Geschick erforderlich als vielmehr echtes erzählerisches Talent. Da frage ich mich aber, was das dann noch mit »Übersetzen« zu tun hat. Ist dann eher wie beim Film: »Basierend auf einer Idee von xyz.«

Jürgen Bürger:
»Gelange ich zu dem subjektiven Urteil,
dass in einem «schlechten» Buch
zumindest eine originelle Idee steckt,
die es wert ist, gelesen zu werden,
bin ich bereit, sprachlich zu feilen.«

Will’s mal so sagen: Gelange ich zu dem subjektiven Urteil, dass in einem »schlechten« Buch zumindest eine originelle Idee steckt, die es wert ist (schon wieder!), gelesen zu werden, bin ich bereit, sprachlich zu feilen. Wenn nicht, dann nicht. Das geht dann aber auch wie von selbst – beim Prozess des Übersetzens führt der Ur-Autor quasi des Übersetzers Händchen …Man hört ja bisweilen, dass es nicht wenige Übersetzungen gibt, die »besser« sind als das Original. Kann schon sein. (Andererseits: Wenn ein Verlag eine Lizenz einkauft, muss der/die Verantwortliche wissen, warum er/sie das macht. Wenn’s denn ein »schlechtes Buch« ist, soll’s ruhig auch in der Übertragung ein schlechtes Buch bleiben. Diese Verantwortung ist nicht die des Übersetzers – er kann allerdings so einen Auftrag ablehnen.)

Woran der »normale Leser« überhaupt merken kann, ob es sich bei dem, was er gerade liest, um eine gute Übersetzung handelt, wenn er nicht gerade das Original zur Hand hat? Da möchte ich an Piekes frühere Antwort erinnern – wenn’s wirklich richtig gut ist, dann merkt’s keiner. Der Leser bleibt nicht »hängen« an holprigen Sätzen und schiefen Bildern …Auch eine gewisse Zeitlosigkeit zeichnet m.E. eine gute Übersetzung aus. Erika Fuchsens Mickey Maus-Übersetzungen. Eher weniger gelungen sind solche Übertragungen, bei denen man das Gefühl hat, arg angestaubtes Zeugs zu lesen – viele Krimiübersetzungen aus den 50er und 60er Jahren sind so.

Peter Friedrich: Das Dilemma, das dem Leser eine gute Übersetzung eben nicht auffallen darf, wurde ja schon mehrfach angesprochen. Was er bemerken kann, ist das erzählerische Talent des Übersetzers, das dieser natürlich in den Dienst des Originals stellen muss. Meistens ist das ein Drahtseilakt.

Ob man ein stilistisch mäßiges Original werkgetreu übersetzen muss oder darf oder lieber »besserschreibt« ist eine gute Frage, doch nur im Einzelfall zu entscheiden. Aus aktuellem Anlass: Würde man Stefan Effenbergs Biografie bei der Übersetzung stilistisch verbessern wollen? Aber wenn ein Verlag sich davon höhere Absatzzahlen verspricht, steigen vermutlich die Tantiemen für Autor und Übersetzer und alle sind glücklich. Übrigens funktioniert die Sache auch in die andere Richtung. Ein englischer Autor hat mir erzählt, dass seine Romane für den amerikansichen Markt stilistisch vereinfacht wurden, weil irgendjemand anscheinend herausgefunden hat, dass der durchschnittliche amerikanische Leser einen geringeren Wortschatz hat als der englische.

Jürgen Bürger: Zumindest in meinen Verträgen findet sich irgendwo immer ein Passus wie: » …Der Übersetzer verpflichtet sich, die Urheberpersönlichkeitsrechte des Originalautors zu wahren.« Und: » …Der Übersetzer verpflichtet sich, das Werk ohne Kürzungen, Zusätze und sonstige Veränderungen gegenüber dem Original in angemessener Weise zu übertragen.«

Nun lässt sich zwar munter darüber debattieren, was genau »in angemessener Weise« bedeutet, allerdings hab ich’s irgendwie mit den »Urheberpersönlichkeitsrechten«. Und das bedeutet, dass ich zunächst mal ein Werk so nehme, wie ich es zur Übersetzung vorgelegt bekomme. Der Autor wird sich schon was dabei gedacht haben, wie er mit Stil und Sprache umgeht. Also beharre ich erst mal darauf, das Ding im Deutschen so originalgetreu es eben geht zu bringen. Dies schließt eine sprachliche wie stilistische »Vereinfachung« aufgrund von Mutmaßungen irgendwelcher Leute (Verleger, Lektoren) über den vermeintlichen oder tatsächlichen Wortschatz u.ä. der avisierten Leserschaft aus.

Von einem Kollegen weiß ich, dass es gleichwohl auch in Deutschland Verlage gibt, die erheblichen Wert auf Vereinfachung legen. Tja, damit hat man dann als Übersetzer Diskussionsstoff mit dem Lektorat, denn die Welt ist Gott sei Dank nicht immer so stromlinienförmig glatt poliert, wie’s manche Verdummungsindustrie gern hätte …

Peter Friedrich: Was das Vereinfachen angeht, bin ich ganz deiner Meinung. Aber was ist, wenn der »schlechte« Stil des Originals nicht selbst ein Stilmittel ist? Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich dem Autor gegenüber verpflichtet fühlen würde, das in gutes Deutsch zu übertragen. Zu seinem wie meinem Vorteil. Vielleicht ist es ein unglaublich guter Plot, um den es einfach schade wäre. In Absprache mit dem Autor hätte ich da keine Probleme. Das mit dem »schlechten Stil« würde ich allerdings etwas diplomatischer verpacken.

Pieke Biermann: »Normale Leser« merken überhaupt nicht, ob ein Übersetzer »einen Mord begangen oder bloß eine Leiche fotografiert hat« (Tucho über die Goyertsche Joyce/Ulysses-Übersetzung). Die WOLLEN auch nur merken, ob ein Buch gut oder schlecht ist. Zurecht. Aber da gehen bekanntlich die Oszillationsfächer auf. Und viel, viel ist subjektiv. Soll auch so sein. Deshalb ist ein »normaler Leser« noch lange kein dummer Leser.

Zur zweiten Frage: Ich seh das genau so wie Jürgen und Peter. Ich bin geradezu nibelungentreu, glaub ich. Im Guten wie im Schlechten – ich finde,der/die AutorIn hat schlicht das Recht, als das wiedergegeben zu werden, was er/sie »ist«. Gilt zunächst mal für alle literarischen Texte, ob die nun wirklich Literatur sind oder als solche gemeint, aber leider gescheitert sind. Heißt wiederum: Ich muss dahinter verschwinden. Um mich geht es nicht. Ich bin bloß eine Art Katalysator. Allerdings einer, von dem Kreativität, Improvisationskunst und vor allem ein unerschöpfliches Gefühl für die eigene Sprache verlangt wird. Ich gebe allerdings bei aller Nibelungentreue zu: Ich morde gelegentlich gern ein bißchen weiter an einer Leiche herum …

Die Sache mit der Dialektik von Treue und Freiheit hat aber auch eine herrliche, heitere Seite. Ich übersetze zum Beispiel am liebsten Literatur, die kniffelig, weil sprachverspielt, umgangssprachlich bis slangig, dreckig, witzig ist, also eigentlich nicht übersetzbar. Da kommt’s oft vor, dass ein Witz an einer Stelle partout keine Entsprechung hat auf Deutsch – ich merke mir dann sozusagen, dass ich »noch einen gut« habe und plaziere einen Witz, wo der Urtext gar nicht so witzig ist. Einfach, damit die Witz-Quantität identisch bleibt – also ihre qualitative Bedeutung behält.

Und dann hätte ich viertens noch eine widerliche Weiterung des Themas anzubieten: Ich persönlich weiß, dass ein deutscher Dialog, der »ich schätze, ich gehe jetzt besser nach Hause« enthält, nur in homöopathisch bemessenen Ausnahmefällen eine gute Übersetzung sein kann. In 99,9% der Fälle ist er TV-Serien-»deutsch« und erhöht meinen persönlichen Magensäurespiegel. Aber mit wie vielen Deutschen teile ich sowas eigentlich noch?

Susanna Mende: Ich bin in der Zwischenzeit zwiespältig geworden, was die »Unauffälligkeit« von Übersetzungen angeht. Was macht man, wenn nun im Original der Text sperrig ist und gerade darin seine stilistische Eigenheit liegt (immer unter der Voraussetzung, dass sie auch trägt), wenn absichtlich schiefe Bilder durch ungewöhnliche Metaphern entstehen? Erst einmal ist es eine Leistung des Übersetzers, das zu erkennen, und dann muss er sich überlegen, wie er das ins Deutsche bringt und damit rechnen, dass er von Rezensenten eins auf den Deckel bekommt.

Was die Zeitlosigkeit angeht, lieber Jürgen, möchte ich Dir sogar widersprechen. Zugespitzt formuliert, behaupte ich, dass es eine zeitlose Übersetzung gar nicht geben kann, weil wir immer aus unserem aktuellen Sprachverständnis, Kulturverständis etc. heraus übersetzen. Das ist m.E. nicht zu unterschätzen. Bestimmt kann man kultur/sprachhistorisch begründen, warum Dostojewskis Roman mit »Schuld und Sühne« übersetzt wurde und in der aktuellen Übersetzung »Verbrechen und Strafe« heißt.

Natürlich zieht es mir auch die Schuhe aus oder reizt zum Lachen, wenn ich frühe Übersetzungen von Chester Himes lese. Kritik ist da durchaus angebracht, aber die Übersetzer mussten erst einmal lernen, mit dem immensen Zuwachs von Slang und spezifischen Dialogformen etc. umzugehen.

Ich finde es geradezu selbstverständlich, dass es immer wieder Neuübersetzungen der sog. klassischen Werke gibt (ich persönlich würde mich gerne mit ein paar Theaterstücken von Calderón de la Barca auf eine einsame Insel zurückziehen; natürlich nur mit Internetzugang, wegen der Recherchen).

Wie subjektiv die Wahrnehmung von Text sein kann, habe ich in der Übersetzerwerkstatt erfahren, wo ich mit einem Dutzend Kollegen an Übersetzungen gearbeitet habe. Es war manchmal fast beunruhigend, was zugleich als gelungen und misslungen empfunden wurde. Und die Begründungen haben gezeigt, welche Abgründe sich zwischen den einzelnen Konnotationsfeldern auftun.

Interessant war für mich außerdem, festzustellen, wie unterschiedlich Kollegen an Texte herangehen. Ich habe zwei Extreme ausgemacht: einmal die Strukturalisten, dann die Lexikalisten. Ich versuche eine kurze Definition: Strukturalisten schauen sich das Gesamtwerk an und versuchen, drei, vier wesentliche Merkmale herauszufiltern, die charakteristisch sind und eine Art Grundlage für den Stil der Übersetzung bilden (es ist z.B. bestechend, wie man mit kleinen Eingriffen Dialoge von Tempo 30 auf Tempo 70 bringen kann, falls erforderlich). Dann gibt es die, die sich an den einzelnen Begriffen entlanghangeln und das Stilbildende mehr von der lexikalischen Seite konstruieren. Beides kann zu guten Ergebnissen führen. Ich zähle mich selbst eher zu den Strukturalisten. Ich finde, ich habe mehr Freiheiten; die Bewegungen vom Text weg, um in der Übersetzung wieder ganz nah an seinen Gehalt zu kommen, sind größer. Wie das dann vom Leser wahrgenommen wird, tja …

Die Urteilskraft von Rezensenten halte ich deshalb für fragwürdig, weil sie häufig das Bedürfnis haben, ihre eigene Sprachkompetenz unter Beweis zu stellen, wenn sie sich dann der Übersetzung annehmen. Das endet meist damit, dass sie nach einem verhaltenen Lob eine x-beliebige Stelle herausgreifen und einen Alternativvorschlag zur Übersetzung machen. Na, vielen Dank! Das hilft weder dem Leser der Rezension noch dem Übersetzer weiter.

Krimi-Couch: Wie hat man sich eine Übersetzung bei Ihnen vorzustellen? Lesen Sie erst das Buch im Original und hangeln sich dann von Satz zu Satz durch? Oder muss man gar mehrere Werke des Autors lesen, um den Stil herauszufiltern? Helfen persönliche Kontakte zum Autor?

Peter Friedrich: Das Wichtigste an einer Übersetzung ist, dass man so etwas wie den »Geist« des Originals rüberbringt. Im Idealfall würde ein perfekter Zweisprachler bei der Lektüre von Original und Fälschung einen identischen Eindruck gewinnen. Deshalb lese ich das Original natürlich zuerst komplett durch und versuche, ein Gespür für diesen »Geist« zu bekommen. Wenn mögliche, lese ich auch andere Texte des Autors im Original, aber nie andere Übersetzungen. Zu manchen Geschichten kriege ich trotz aller Bemühungen keinen Draht und von denen lasse ich die Finger.

Während des ersten Durchlesens läuft anscheinend irgendwo in meinem Hinterkopf eine Art Übersetzung mit, die ich nur dann wahrnehme, wenn mich plötzlich eine besonders passende Formulierung anspringt. Die schreibe ich sofort auf, denn sonst ist sie unwiederbringlich weg wie ein Traum nach dem Aufwachen, und genau an solchen Stellen habe ich dann später die größten Mühen gehabt.

Gleichzeitig streiche ich Punkte an, wo Recherchen notwendig sind, außerdem Fehler und Undeutlichkeiten im Original (wo z.B. schlecht lektoriert worden ist) und vor allem die Stellen, in die der Autor offensichtlich sein ganzes Herz gelegt hat und denen ich besondere Sorgfalt widmen muss. Und jene beim Drehbuch »Plot-Points« genannten Wendepunkte der Geschichte, die für Erzählfluss und Dramaturgie so wichtig sind.

Nach den Recherchen und nachdem ich mit dem Autor (so das möglich ist) über offene Fragen konferiert habe, gehe ich den Text noch einmal zur Gänze durch, bis ich ihn völlig verstanden und quasi verinnerlicht habe. Die Rohübersetzung läuft ziemlich schnell, mit etwa zwanzig Seiten pro Tag. Dann aber weg mit dem Text, mindestens zwei, besser vier Wochen lang, damit ich ihn soweit wie möglich wieder vergessen kann. Die alte Geschichte vom Wald und den Bäumen. In dieser Zeit schreibe ich dann meistens an eigenen Geschichten und Drehbüchern.

Die Rohübersetzung bearbeite ich zunächst, ohne das Original nochmal zur Hand zu nehmen, bis Fluss und Rhythmus ins sich stimmig sind und mit der Erinnerung an das Original korrespondieren. Anschließend wird der Text ausgedruckt und an ein paar Leute verteilt, die an unstillbarem Lesehunger leiden. Meistens kommen die Masnuskripte nach etwa einer Woche zurück. Inzwischen habe ich etwas Abstand gewonnen und arbeite Korrekturen und Kritiken ein, präzisiere Unverstandenes etc.

Erst danach lege ich die Übersetzung wieder an das Original an und versuche, die Harmonie zwischen beiden herzustellen. Das kann sich mehrfach wiederholen, denn zufrieden bin ich eigentlich nie. Ich weiß, dass ich aufhören muss, wenn ich irgendwann feststelle, dass ich zu einer früheren Version zurückgekehrt bin. Und sobald das Manuskript in der Post ist, falle ich in ein tiefes Loch. Keine Ahnung, warum.

Pieke Biermann: Ich seh das mit dem Geist ja auch so wie Du, Peter. Ich hab allerdings am Anfang einen Schuss Galle diesbezüglich zu verdauen gehabt. Meine allererste Übersetzung war nämlich eine Katastrophe, wofür ich mich heute noch entschuldige beim Herausgeber, der das alles auszuputzen hatte. Ich war 23, hockte in Italien mang de Revoluzzers und brauchte Kohle, dieweil ich zwei Menschen durchbringen mußte. Nein, Kinder hab ich keine, aber ich war öfter als feministically correct LOK-Führerin (LOK = Lover Ohne Kohle, vulgo: Studenten, Künschtler). Zu diesem Zeitpunkt sollte ein politisch überkorrektes Werk meiner damaligen Bezugsgruppe aus dem Italienischen ins Deutsche übertragen werden. Es handelte sich, nüchtern gesagt, um ein Werk der Industriesoziologie, enthielt schon im Titel lauter Komposita, die mit »Klassen-« anfangen, und blieb im Prinzip auch derart »klassisch«. Es ging um dito Kämpfe bei Fiat und Olivetti unter besonderer Berücksichtigung der Umstruktierung von Fließbändern in Produktionskarusselle und so weiter. Echt geiler Stoff – ehrlich, damals. Ich hatte den »Geist« des Ganzen quasi im Leibe. Allein, mir fehlten praktisch 80% des Wortschatzes für so etwas in meiner »eigenen« Sprache. Und – kein Geist ohne Sprache.

Möglicherweise hatte das Ganze auch damit zu tun, dass ich vorübergehend meine »eigene« Sprache großzügig ad acta gelegt hatte – ich lebte (liebte, arbeitete, träumte) in einer anderen. Paradoxerweise war unter den wenigen Büchern, die ich aus Deutschland mitgenommen hatte, auch »Das Kapital« von »il vecchio barbuto«, wie olle Marx da unten genannt wurde. Ich dachte, das kann praktisch sein – meine italo-revoluzzo-Schätzchen waren nicht so ganz zitatfest bzw. präzis …

Pieke Biermann:
»Ich vermute, dass ich tief
im Unterbewußtsein eine Art
linguistischer Schizophrenie
abgespeichert habe.«

Ich konnte nicht damit rechnen, dass ich mich irgendwann beim schlichten lesen des Werks ertappte und schlimmer noch: am politisch völlig unerlaubten genießen gewisser sehr sprachgewaltiger deutscher Zeilen. Ich hab mich amüsiert wie Bolle. Die »breimäuligen Faselhänse der deutschen Vulgärökonomie« haben sich seitdem tief in mein Hirn eingegraben. Was all diese Paradoxien zu bedeuten hatten, blieb mir lange undeutlich. Aber ich vermute, dass ich seitdem tief im Unterbewußtsein eine Art linguistischer Schizophrenie abgespeichert habe. Mir geht es nämlich wie Dir, Peter – ich brauche immer zwei Schreibphasen bei einer Übersetzung: eine Rohfassung, die schlicht unlesbar ist (mit Löchern bzw. Originalsprach-Brocken, Syntax nicht vorhanden, Hauptsache, alles is drin), und eine kommunikable. Dazwischen eine Pause. Bei der ersten Phase kann es soweit gehen, dass ich englisch (italienisch) träume – bei der zweiten darf mir das nicht mal im Traum einfallen.

Das gilt für Texte, die ich ernst nehme. Nicht dass ich nicht jeden Text ernst nehmen möchte, aber leider entpuppen sich etliche dann leider doch schnell als Geblubber mit viel Ambition und wenig Substanz. Ich erkenne das daran (meistens schon vorher – aber man immt ja gern hin und wieder mal eine leichte Arbeit für vergelichsweise gutes Geld), dass ich da mit einer einzigen Phase auskomme.

Susanna, Du hast natürlich auch völlig recht mit dem Zweifel an Zeitlosigkeit – es gibt keine Sprache ohne Kontext. Trotzdem hat man als Übersetzer daran zu knacken, den »Zeitgeist« eines Originals irgendwie kompatibel für die Zeitgenossen eines anderen Sprachraums, manchmal auch Zeitraums zu machen. Bei Walter Mosleys »Socrates Fortlow«- Geschichten zum Beispiel hab ich versucht, eine Art ideellen Gesamt-Umgangssprachenton zu erfinden, der gleichzeitig jeden »hohen Ton« und jeden Hauch von »kuckma wie da Nigga quatscht!« Es gab glücklicherweise viel Dialog – Dialog rettet eine/n, da ist Schreiben-wie-Gesprochen oft schon die halbe Atmo. Bei Liza Codys »Gimme More« gibt’s eine wunderbare Bandbreite von Sprechweisen und Perspektiven, die nicht unbedingt punktuell, aber insgesamt ziemlich identisch ist im Englischen und Deutschen.

Mit den AutorInnen reden gehört zu meinen absoluten Lieblingsbedingungen! Mit Liza hab ich vier Tage zusammengehockt und auch hinterher manches austelefoniert. Walter hat leider jegliche Kommunikation verweigert. Er war seinerzeit auf dem Höhepunkt seiner Divenhaftigkeit, wozu auch gehört, dass man den deutschsprachigen Buchmarkt unterschätzt, rein finanztechnisch …Aber mir macht’s auch großen Spaß, mir für alles, was nicht »mein Beritt« ist, Fachleute zu suchen und mit denen zu reden. Ich quackel halt gern, und die meisten Leuten mit Spezialkenntnissen freuen sich ein Loch in die Mütze, wenn mal jemand ihr Wissen haben will und schätzt. Und manchmal hat man damit wieder ein paar »buchferne« Menschen an der Entstehung von Literatur beteiligt – und womöglich zu Lesern (und Käufern) gemacht. Kleine Utopie am Rande.

Susanna Mende: Lieber Peter, ich staune wirklich über die 20 Seiten Rohübersetzung, das habe ich bisher noch nie geschafft. Bisher waren es höchstens zehn. Aber das ist auch nicht so wichtig.
Das mit dem »spirit« stimmt, das hat sehr viel mit Intuition und Sprachgefühl (in der eigenen Sprache) zu tun. Und dazu braucht man natürlich auch ein Gefühl für die fremde Sprache, für die Ebene, das Tempo, das Unterschwellige etc.

Ich stelle immer wieder fest, dass ich 20-30 Seiten brauche, um den Rhythmus zu finden. Deshalb widme ich in der Überarbeitungsphase dem Anfang besonders viel Zeit, der holpert meist mehr. Und für die Übersetzung gilt dasselbe wie für das Original: Der Leser muss von Anfang an vom Text gepackt werden.

Wenn ich mich mit einem neuen Autor beschäftige, konzentriere ich mich erst einmal auf das Buch, das ich übersetzen soll. Erst später (manchmal erst während der Übersetzung) lese ich andere Bücher, falls vorhanden. Das gehört einfach dazu, finde ich. Obwohl das für die Übersetzung direkt nicht unbedingt hilft. Manche Autoren wechseln ihren Stil mit jedem Buch.

Susanna Mende:
»Spannend finde ich es,
wenn mich ein Roman zwingt,
mich mit einem Thema zu beschäftigen,
das ich nicht kenne.«

Spannend finde ich es, wenn mich ein Roman zwingt, mich mit einem Thema zu beschäftigen, das ich nicht kenne. Einmal musste ich mich mit der Stadt San Francisco vertraut machen. Ich hatte die ganze Zeit einen Stadtplan und diverse Reiseführer auf meinem Schreibtisch liegen. Und nachdem ich die Übersetzung abgegeben hatte, wollte ich unbedingt nach San Francisco reisen, was mir leider bis zum heutigen Tag nicht gelungen ist.

Eine Herausforderung sind Dialoge. Die lese ich immer wieder laut vor mich hin. Da darf man nicht hängenbleiben, die müssen sehr dynamisch sein. Und Wort- und Sprachspiele. Die Lösung dafür kann man nicht erzwingen, damit beschäftige ich mich manchmal erst nach getaner (handwerklicher) Arbeit, später am Abend, bei einem Glas Wein, wird mit Begriffen jongliert, werden Assoziationsketten gebildet, da herrscht manchmal Dada im Kopf. Und dann der Moment, wenn man die Lösung hat und weiß, das ist es!

Krimi-Couch: Bei dem Aufwand, den Sie gerade schildern, macht es da nicht generell Sinn, wenn ein Autor von immer derselben Person übersetzt wird, vergleichbar mit den Synchronstimmen der Filmgrößen?

Pieke Biermann: Die Frage läßt sich mit einem herzhaften JEIN beantworten. Ja – wenn der/die Autor/in »sich lohnt«: spannend bleibt, Spaß macht, eine fruchtbare Herausforderung darstellt und es einem/r »dankt«. Nein – weil man sich von öden Beziehungen auch wieder lösen dürfen sollte. Ich vermute, es gibt in maximal 20% aller Fälle richtig sinnvolle »Paarungen«, möglichst lebenslänglich. Auch die funktionieren aber nur, wenn ÜbersetzerInnen nicht heimlich ihre eigenen Werke draus machen …

Peter Friedrich: Da stimme ich Pieke voll und ganz zu und denke dabei an Erwin Magnus, der praktisch alle Werke von Jack London in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ins Deutsche übertragen hat. Und so haben Generationen von Deutschen nie eine adäquate Übersetzung zu lesen bekommen und eine solche ist auch nicht in Sicht.

Susanna Mende: Ich bin noch nicht so lange im Geschäft, um aus eigener Erfahrung sprechen zu können. Ansonsten trifft Pieke mit der beschriebenen Ambivalenz, glaube ich, den Kern. Es ist allerdings eine schreckliche Vorstellung, dass man das zweite, dritte oder vierte Buch nur deshalb nicht übersetzt, weil es zum Beispiel bei einem anderen Verlag erscheint; wenn es einem sozusagen weggenommen wird, und man kann nichts machen.

Es spielt natürlich auch eine Rolle, welche persönlichen Erfahrungen man mit dem Autor/der Autorin macht. Ist er/sie kooperationsbereit, versteht er/sie die Schwierigkeiten der anderen Sprache (ist nicht immer der Fall), hat man Spaß mit ihm/ihr auf Lesereisen etc.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass Übersetzer einen ganz unterschiedlichen Umgang mit ihren Autoren haben. Ich konsultiere meine bei schwierigen Fragen so oft wie möglich. Es gibt Kollegen, die sagen, was kümmert mich der Autor, ich habe hier vornehmlich mit dem Text zu tun, was ich in gewisser Weise auch legitim finde, solange sie sich redlich um den Text bemühen.

Krimi-Couch: Frau Biermann, Sie übersetzen nicht nur, sondern sind selbst erfolgreiche Krimi-Autorin (drei Deutsche Krimi-Preise). Wie ist es denn für eine Autorin, wenn die eigenen Werke übersetzt werden?

Pieke Biermann: GAAANZ SCHLIMM!!! Weil man als Übersetzerin für die »Gegenseite« eine totale pain in the ass ist. Sein muss. Man kennt schließlich die Tricks, man weiß, was alles dann eben doch geht (wenn man nur genug Interesse, Sprachbeherrschung, Kreativität hat). Es gibt für Übersetzer eben kein »eigentlich unübersetzbares« Buch! Und an der Stelle kann die Autorin die Übersetzerin in sich nicht abkoppeln. Da leiden beide wie Hund!

Die Sache steht und fällt also, wie üblich, mit dem Verlag der anderen Sprache. Hat der Verleger überhaupt Interesse an und Sinn für gute Übersetzung? Ist er bereit, dafür jemanden notfalls gründlicher zu suchen und zu bezahlen? Im Zweifelsfall auch ausführliche Kommunikation zwischen Ü. und A.? In 99.9% der Fälle – NEIN.

Es geht dann weiter: Hat der/die ÜbersetzerIn Interesse und Sinn? Ich meine ganz schlichte Dinge – meine zweite Italienisch-Übersetzerin hatte nicht mal einen Stadtplan von Berlin, geschweige denn war sie je hier gewesen. Sie fand das auch nicht nötig. Was soll man da erwarten? (Der Verlag hat übrigens die erste, deren 20 Testseiten ich bekam, feuern müssen – sie war grandios: für englische Landprosa des neunzehnten Jahrhunderts.)

Meine Französisch-Übersetzerin hat wohl ganz brauchbar übersetzt, ich kann das nicht selber beurteilen. Habe aber von Französisch-LeserInnen gehört, dass die gelacht haben beim Lesen. Dass meine Romane was mit Witz zu tun haben, hat sie also wohl begriffen. Ist es dann wirklich wichtig, dass sie sich als notorische, programmatische Fernseh- und überhaupt Alltagsbanalitätenverweigererin gefällt?

Pieke Biermann:
»Das Ergebnis kann,
wer partout ein Aspirin-Abo
verfuttern will, nachlesen.
Ich bin lieber gar
nicht auf einem Buchmarkt
als in total schiefer Gestalt.«

Das mit dem Witz ist eine Crux. Mein englischer Verleger ist dran gescheitert. Für den war das zuviel – Kriminales aus Deutschland, obendrein von einer Frau geschrieben und dann auch noch Witz? Nee! Er wußte auch genau, wie man in Sekundenschnelle potentiellen englischen Buchverkäufern klarmacht, dass ein Buch aus Deutschland kommt: Man tut ein Hakenkreuz aufs Cover. Ich konnte ihn immerhin zur Verkleinerung desselben erpressen. Dem hatte ich übrigens angeboten, selbst mitzusuchen, was den/die ideale/n ÜbersetzerIn angeht. Wir waren uns einig, dachte ich, dass es vielleicht am besten jemand ist, der/die Berlin kennt und den spezifischen Berliner Witz kann – zum Beispiel eine jüdische Emigrantin in New York. Es gab die. Die wäre zu haben gewesen. Aber die wollte er nicht – es gehe um den britischen Markt, nicht den US-amerikanischen. Was findet er? Eine richtig liebe gebürtige Österreicherin, deren Englisch ausschließlich kalifornisch geprägt ist, deren Leidenschaft Frauen sind, die Lesbenbewegung, das Reisen in ferne Länder. Herrlich – wo’s hinpasst. Aber bis nach Berlin hatte sie’s auch nie geschafft – und man muß ja auch nicht unbedingt verballhornte Schopenhauer-Zitate identifizieren können …Gut, die wirklich liebe Frau wurde auch entbunden. Danach kam ein Crack dran. Ein hochqualifizierter toller Londoner Kollege, Spezialist für – Heiner Müller und Peter Handke. Das Ergebnis kann, wer partout ein Aspirin-Abo verfuttern will, nachlesen. Mehr als dieses eine Buch hat dieser Verleger von mir nicht bekommen.

Das klingt unerträglich arrogant? Ja. Tut’s wohl.Vor allem, weil man als deutschsprachige Autorin ja »eigentlich« vor Glück in die Schleimspur gehen soll, dass man überhaupt übersetzt wird. Schließlich kommt man aus einem Land, das in Sachen Literatur ein Importriese, aber ein Exportzwerg ist. Ich tu’s trotzdem nicht. Ich bin tatsächlich lieber gar nicht auf einem Buchmarkt als in total schiefer Gestalt. Und ich ändere auch weder Enden, damit sie für irgendeinen Markt kompatibel werden, noch nehme ich meinen Figuren die Zigaretten aus dem Mund. Man hat schließlich eine Ehre – und das, übrigens, ist wahrscheinlich auch immer noch die beste Definition für meine eigenen Übersetzungsprinzipien: Ehre widerfahren lassen.

Jürgen Bürger: Zu diesem Thema und dieser Runde möchte ich ein Zitat von Herrn Günter Grass beisteuern: »Beim Schreiben kann ich keinerlei Rücksicht auf die Übersetzer nehmen, wenn ich damit anfinge, würde ich in einer faden Allerweltssprache schreiben, flach, geruchlos und geschmacklos.«

Krimi-Couch: Frau Mende, Herr Bürger, Herr Friedrich: Fraglos gehört zu einer guten Übersetzung auch eine gehörige Portion schriftstellerisches Talent, wie Sie bestätigt haben. Warum schreiben Sie dann nicht selber Romane?

Susanna Mende: An dieser Frage merke ich immer wieder, wie weit Übersetzen und Schreiben dann doch auseinanderliegen. Sorry, aber ich verspüre nicht das geringste Bedürfnis, selbst einen Roman zu schreiben (habe extra noch einmal in mich hineingehorcht). Kleine Aufsätze und Kolumnen hin und wieder machen Spaß, und dabei wird es wohl auch bleiben.

Die Affinität zum Übersetzen war hingegen schon immer sehr stark. Als ich Spanisch lernte, habe ich parallel zum Spracherwerb Romanpassagen von Büchern übersetzt, die ich einfach verstehen wollte. Ich habe sofort gemerkte, dass mir das sehr gefällt.

Wenn Autorschaft, dann ganz anderer Art: über Fotos. Meine spezifische Sicht auf die Welt würde ich, wenn überhaupt, über Fotografie anderen mitteilen wollen; ich bin eine leidenschaftliche Fotoguckerin, aber über das Hobbyknipsen bin ich – trotz inneren Drangs – noch nicht rausgekommen.

Jürgen Bürger: Ausschließen möchte man es nicht, das mit dem selber einen Roman schreiben. Allerdings habe ich das Gefühl, meine »schriftstellerischen« Ambitionen und Aspirationen – soweit überhaupt vorhanden – liegen weniger bei der längeren Prosa als viel mehr bei der eher kürzeren Glosse und Satire; wenn ich die Zeit dazu finde und der Kopf frei genug ist, dann verfasse ich durchaus mit größerem Vergnügen Kommentare zum aktuellen Stand der menschlichen (Tragi-) Komödie. (Übrigens bisweilen auch in fotografischer Form, liebe Susanna. Ein faszinierendes Medium, von dem ich auch keine Ahnung habe ...)

Zumindest meiner laienhaften Meinung nach gehört zum literarischen Schaffen mehr als die Fähigkeit, einigermaßen geschickt mit dem Wort, der Sprache umzugehen; es braucht auch Inspiration und eine gewisse Form von »Genie«, den zahlreich vorhandenen Variationen der immer weider gleichen Grundthemen eine spannende neue Nuance hinzuzufügen. Ich hänge die Messlatte ziemlich hoch, denn sehenden Auges würde ich kein drittklassiges Zeugs produzieren wollen. Davon schwappt Monat für Monat auch ohne mich mehr als genug auf den Markt …

Was mich nun aber daran erinnert, vielleicht in nächster Zukunft zwei alte Gedanken aufzugreifen, die seit Jahren in einer Hirnwindung schlummern: Nämlich zum einen ohne Verlagsauftrag einen von mir sehr geschätzten Schriftsteller übersetzen, dessen Romane schon lange nicht mehr auf Deutsch erscheinen, weil angeblich oder tatsächlich kein Geld damit zu verdienen ist. Und dann liegt irgendwo in den Tiefen meiner »Bibliothek« noch ein bislang unveröffentlichtes Romanfragment von Charles Willeford …Whatever …

Peter Friedrich: Ich schreibe Drehbücher. Auf die Weise bin ich auch zum Übersetzen gekommen. Immer, wenn es mit eigenen Texten nicht weiterging, weil mich mal wieder dieser grässliche leere Bildschirm anglotzte, habe ich ein paar Seiten übersetzt und dann gings wieder. Therapie gegen Schreibblockade, sozusagen. Anfangs keine bezahlten Aufträge. Aber irgendwann war ein in Deutschland noch nicht erschienenes Buch komplett übersetzt – Brian Lecombers 'Letzter Looping’ übrigens, ein atemberaubend spannender Thriller im Kunstfllieger-Milieu -, der Unionsverlag brachte es heraus und seitdem übersetze ich regelmäßig.

Meinen ersten Roman – Krimi, was sonst ... – habe ich gerade in Spanien beendet, wo er auch spielt. Beim Schreiben hatte ich ein gutes Gefühl, aber jetzt muss er erst mal ein paar Monate abhängen, bevor ich sagen kann, ob er wirklich was taugt. Wäre natürlich schön, wenn er demnächst auf der Krimi-Couch besprochen würde …

Krimi-Couch: Sehr gerne! Frau Biermann, Frau Mende, Herr Bürger, Herr Friedrich – vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lars Schafft im Mai 2003.

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