Thomas Wörtche

»Wer nur von Krimis was versteht, versteht auch von Krimis nichts«

04.2003 Thomas Wörtche – der Kritiker und Herausgeber im Gespräch mit der Krimi-Couch

Krimi-Couch: Herr Wörtche, wie wird man eigentlich Krimikritiker Nr.1 in Deutschland?

Thomas Wörtche: Lieber Herr Schafft, das wird man nicht. Dazu wird man ernannt und das ist ein sehr zweifelhaftes Vergnügen. Denn erstens: Ich will nicht N° 1 sein, ich kann mit solchen Hierarchien nichts anfangen; sie kitzeln nur Neid und Missgunst hervor und mit solchen Affekten möchte ich mich nicht befassen müssen. Life is too short to spent it with bullshit.

Zweitens: Schauderhaft, auf »Krimis« beschränkt und dort schubladisiert zu werden. Ich habe zur deutschen Romantik oder zu gewissen Musiksachen oder zu Comics in meinen Augen genauso wichtige (oder unwichtige) Dinge geschrieben, die man partout nicht in Krimi-Kreisen wahrnehmen möchte. Und ich bin fest der Meinung, wer nur von Krimis was versteht, versteht auch von Krimis nichts.

»vieles von
herzlicher
Ahnungslosigkeit«

Das Etikett bekommt man, wenn man lange genug dabei ist und hin und wieder ein paar schlaue Dinge an möglichst prominente Stelle geschrieben hat. Das wiederum ist gar nicht so schwer, weil sehr vieles, was man sonst über Kriminalliteratur et al an prominenter Stelle lesen muss, von herzlicher Ahnungslosigkeit ist. Vermutlich habe ich »Krimis« (und Verwandtes) einfach ein bisschen ernster genommen und das auch formulieren können. Dabei war ich nicht der erste und nicht der einzige. Und Krimi ist nur eine Variante von erzählender Literatur, die ich spannend finde.

Krimi-Couch: Das klingt verbittert ...

Thomas Wörtche: Völlig falsch, weil es ja auch ein Leben außerhalb der Krimi-Betriebs gibt, aber hallo und warum auch? Glück, Glanz, Ruhm und ein bisschen Kohle hab ich schließlich davon. Man kommt herum, man lernt viele interessante Leute kennen und Weltecken kennen. Ich bin Realist und gnadenlos pragmatisch. Warum sonst mag ich so gerne Bücher mit pragmatischen Sujets? Und nebenbei intellektueller Klaustrophobiker – auch sonst, übrigens – geschlossene Räume mit vielen Menschen machen mich sehr nervös.

Krimi-Couch: Würden Sie sich insofern als Einzelgänger bezeichnen?

Thomas Wörtche: Neee, Einzelgänger ganz und gar nicht, weil ich ziemlich sozial sein kann und auch bin. Aber absolut gruppenunkompatibel. »Wir« ist etwas, was mir eigentlich – außer im Privatleben – nur schwer von der Lippe geht. War schon immer so.

»in kreativen Prozessen
absolut kein Demokrat«

Naja, man ist ja so ein Widerspruchsbündel – ich kann ganz gut Teamarbeit, up to a point. Ich bin in kreativen Prozessen absolut kein Demokrat (deswegen könnte ich auch nicht beim Film arbeiten), ich finde bei Interessensgruppen jeder Art eigentlich immer nur Interessen einiger weniger vertreten ((cf. politische Gruppierungen, cf. irgendwelche Verbänden etc.) Ich bin einerseits glühender Fußballfan, andererseits nur Mitglied in der E.T.A.Hoffmann-Gesellschaft und dort als Karteileiche, zitiere an dieser Stelle eigentlich gerne Groucho Marx, bin aber genauso gerne unter Menschen, die mich nicht langweilen. Und bin andererseits nach ein paar Stunden Sozialsein so fertig wie nach einem Marathonlauf. Tja, eigentlich ganz einfach...

Krimi-Couch: Woher kommt eigentlich die Vorliebe für den Kriminalroman? Können Sie an Büchern oder Autoren festmachen, was den Ausschlag gegeben hat, das Genre ernsthafter zu betrachten und darüber zu schreiben?

Thomas Wörtche: Yes, zwei Einfallswinkel – Nicht die übliche biographische Begeisterung, obwohl ich natürlich auch Enid Blyton gelesen habe; später hab ichŽs dann mit Agatha Christie probiert, die ich aber für eine intellektuelle Zumutung hielt. Dann hab ich Science Fiction gefunden – Dick, Lem, Brunner, Bester, später Bradbury, Bloch und diese ganzen Nager am amerikanischen Traum. Aber das war noch keine besondere Leidenschaft, sondern einfach Autoren, die ich mochte. Gleichzeitig mochte ich aber auch Kafka, Joyce, Musil, Proust, Beckett und vieles mehr. Die ich immer noch sehr mag und schätze – und ich fand damals und finde immer noch, dass die alle das ausgereizt haben, was man auf der Ebene der literarischen Techniken und Verfahren machen kann.

»Dann war die Büchse der Pandora auf
und ich habe sie alle entdeckt«

Was dann kam sind, das gilt auch heute noch, eher epigonale Sachen. So, dann fiel mir auf, dass man durchaus noch erzählen kann, wenn man was zu erzählen hat – und das fand dann (und findet) häufig in Kriminalromanen statt. Da blendet sich dann Einfallswinkel N° 2 drüber: Ich habe Ambler und Ross Thomas entdeckt. Ideal – da erzählen Leute mit ganz ausgefuchsten Methoden (die man gar nicht groß bemerkt, weil sie kein Getöse drum machten und ihre Kunstkniffen nicht zum Thema machten) aus der Realität – Literatur, die sich mit Realien beschäftigt und nicht mit seelischen Dispositionen merkwürdiger Leute. Na ja, dann war die Büchse der Pandora auf und ich habe sie alle entdeckt – Hammett, der Schriftsteller, von dem Hemingway & Co. alles gelernt haben; Chester Himes, Jim Thompson und und und …Und ich habe auch gemerkt, wieviel die »seriöse« Literatur den Genres verdankt ...

Nochmal ein Zeitsprung: Als ich dann Jahre später mich ganz gezielt für komische Literatur interessiert habe (warum, das ist hier zu kompliziert) haben sich mir natürlich wieder »Krimis« als beste Beispiele dafür aufgedrängt – und da habe ich angefangen darüber zu schreiben. Und das kam gut und so ging es los ....

Krimi-Couch: Hat es eigentlich einen Hintergrund, dass Sie den Begriff »Krimis« gerne in Anführungszeichen setzen?

Thomas Wörtche: »Krimi« deswegen, weil dieser Begriff alles abdeckt, was nicht zusammengehört: Jedes putzige Textlein aus der Bäckerblume (und die vielen, vielen Bücher, die im Grunde genommen nur Texte aus der Bäckerblume mit Umschlag drum sind, oft auch als teure Hardcover verkleidet) und jeder Roman von Jerome Charyn heißen »Krimi« – aber kein Mensch redet vom Roman des 20. Jahrhunderts und meint Joyce und Konsalik gleichzeitig, was ja auch Unfug wäre. Das ist der Fluch von Genre. Wobei ich das weniger hierarchisch meine, es stiftet nur viel Verwirrung.

Krimi-Couch: Seit Anfang 2000 arbeiten Sie auch »auf der anderen Seite«, Sie geben die metro-Reihe im Unionsverlag heraus. Wie kam es dazu?

Thomas Wörtche: So was passiert ganz einfach. Zur ungefähr gleichen Zeit (also Mitte, Anfang '98) bastelte ich gerade an einem Aufsatz über Chester Himes (kam dann im »Wespennest« und wurde als Rede bei der Chester-Himes-Society in Oakland gehalten) und der Unionsverlag fing an, die Himes-Ausgabe zu machen. So kommt man ins Plaudern. Und der Unionsverlag in Gestalt von Lucien Leitess dachte über eine Krimi-Reihe nach. So kommt man auch ins Plaudern. Und dann haben wir uns mal zusammengesetzt und ernsthafter geplaudert. In der ersten Phase haben wir beide metro (das hieß damals natürlich nicht so) noch tiefer gehängt, u.a. weil ich noch eine Menge anderer Projekte in der Pipeline hatte – aber dann wurde uns immer klarer, dass man sowas ganz oder gar nicht macht. Also haben wir es ganz gemacht – meine Projekte schlafen immer noch in der Pipeline und metro – naja, Sie sehen's ja, was da draus geworden ist....

Krimi-Couch: Kritiker und gleichzeitig Herausgeber zu sein klingt nach viel Arbeit. Wie hat man sich eine typische Arbeitswoche eines Thomas Wörtche vorzustellen?

»ich lese gern,
ich denke gern,
ich schreibe gern«

Thomas Wörtche: Kritiker und Herausgeber – nu, das mit der Arbeit häuft sich schon. Das ist kein großes Problem, ich lese gern, ich denke gern, ich schreibe gern (obwohl das nicht immer geht, denn es gilt auch: Ich bin kein Radio, das man anstellt, und dann schreibtŽs...).

Eine Menge Arbeit – vor allem bei der Herausgeberei – bleibt ja sowieso unsichtbar. Auf jedes Buch das man macht, kommen soundsoviele, die man nicht macht. Dann gibt es eine ganze Menge interner Tätigkeiten der buchmacherischen Art, die man auch nicht sieht, am Ende. Das Übliche.

Zur Kritisierei – nu, die kommt viel zu kurz, im Moment, finde ich. Da muss ich mir die Zeit richtig herausbomben, vor allem, wenn ich was wirklich Substantielles schreiben will. Ich soll z.B. mal wieder nächstens einen Vortrag (plus Veröffentlichung) bei einem wissenschaftlichen Symposion über ein non-crime-Thema (geht um Gattungstheorien) halten, sowas ist halt maximal einmal pro Jahr drin.

Das reine Lesen von Büchern – also solche, die man besprechen möchte oder solche, deren Herausgabe man ernstlich in Erwägung zieht, d.h. die man ganz und gar sorgfältig liest, das findet sowieso nur nachts statt.

Eine typische Arbeitswoche – die hängt auch wieder von dem an, was gerade anliegt. Man telefoniert viel, trifft sich mit Leuten (AutorInnen, resp. potentiellen; Literatur Agenten, Leuten aus der Journaille, Leuten, mit denen man vielleicht ein Projekt entwickeln möchte etc.; Leute, die man für Recherchen kennen sollte etc.) Oder man redigiert eine Übersetzung, notfalls lektoriert man noch zusammen mit dem Autor an einem Text rum – in solchen Phasen versuche ich mich zurückzuziehen und nicht ansprechbar zu sein.

Und dann gibt`s noch eine Menge Verwaltungskram; und immer wieder irgendwelche Unterbrecher – dieser Sender will schnell was zu G. Simenon, der was zu Wie-geht-eine-Buchreihe oder Der-Krimi-in-Afrika – das sind meistens 3.30 oder so, aber die müssen auch irgendwie produziert werden. Naja, so gehen sie dahin, die Tage...

Krimi-Couch: Womit andere entspannen, verdienen Sie Ihr täglich Brot – mit Lesen und Musik hören. Können Sie dabei überhaupt noch abschalten oder dominiert da das Kritiker-Hirn?

Thomas Wörtche: Die große Tragik meines Lebens. Ich kann fast nicht abschalten, aber ich gebe mir Mühe. Ein Tag – der Samstag – ist absolut Schabbes.

Krimi-Couch: Und Hobbies?

Thomas Wörtche: Hobbies? Was ist das?

Krimi-Couch: Ein Blick in die Zukunft: Welche größeren Projekte stehen in nächster Zeit für Sie an? Wo sieht sich Thomas Wörtche in zehn Jahren?

»hoffentlich sitze ich in zehn Jahren
irgendwo in Andalusien
und schreibe die Geschichte des
Flamenco in 30 Bänden«

Thomas Wörtche: Das grosse Projekt ist Kontinuität. Schwierig, sehr schwierig für mich, aber deswegen so spannend. Reihen gründen ist einfach, Reihen am Leben zu erhalten, da wird's dann schon interessanter. Andererseits plane ich nicht groß voraus. Wie gesagt, eigene Projekte – wie die genau heißen, verrate ich mal lieber nicht, ich habe keine Lust die Light-Fassung in einem halben Jahr irgendwo zu lesen – wachsen so vor sich hin, das heißt, das Material wird mehr, irgendwann sind sie dann einfach fällig, vielleicht nach Jahrzehnten.

Aber allmählich fängt man ja schon an, über Lebenszeit zu grübeln. Wenn ich mir bloß überlege, von was ich überhaupt keine Ahnung, o weia …Naja, weg mit solchen Gedanken. Und hoffentlich sitze ich in zehn Jahren irgendwo in Andalusien und schreibe die Geschichte des Flamenco in 30 Bänden, die keine Sau lesen will, zurecht. Aber ich wette, dass es so nicht sein wird.

Krimi-Couch: Zu guter letzt: Bei Ihrem ganzen Fachwissen – noch nie daran gedacht, selbst einen Krimi zu schreiben?

Thomas Wörtche: Nein, nein, nein. Nicht mal dran gedacht. Werde ich nicht. Kann nur peinlich sein, sowas.

Krimi-Couch: Herr Wörtche, vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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