Mike W. Craven

Der englische Autor Mike W. Craven kam auf einem eher ungewöhnlichen Weg zur Schriftstellerei. Der mehrfach preisgekrönte Sunday Times-Bestsellerautor trat als Jugendlicher in die britische Armee ein. Nach zehn Jahren beim Militär begann er Sozialpädagogik zu studieren. Bevor er sich schließlich höchst erfolgreich und in Vollzeit dem Schreiben von Krimis und Thrillern widmete, arbeitete er beinahe zwei Jahrzehnte lang als Bewährungshelfer.

Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit dem britischen Bestsellerautor über seinen Weg zur Schriftstellerei, dessen Vorliebe für skurrile Figuren und die Bedeutung des Lesens für ihn.

"Ohne die Krankheit wäre ich kein Krimiautor geworden."

Krimi-Couch:

Mister Craven, Ihr Leben klingt selbst schon wie ein Roman: Sie gingen als Jugendlicher zum Militär, studierten später an der Newcastle University Sozialpädagogik, waren Bewährungshelfer und überstanden eine ebenso schwere wie seltene Krebserkrankung. Die Hauptfigur Ihres ersten Romans „Born in a burial gown“, DI Avison Fluke, ist ebenfalls daran erkrankt, verheimlicht dies aber. Es wirkt fast so, als hätte ihr persönlicher Schicksalsschlag großen Einfluss darauf gehabt, dass Sie überhaupt Schriftsteller geworden sind.

M. W. Craven:

Absolut! Ohne die Krankheit wäre ich kein Krimiautor geworden. In dem Buch, an dem ich gerade arbeite (der siebte Teil der „Poe“-Reihe mit dem aktuellen Titel The Third Light) leidet Poe an den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund dessen, was ihm im sechsten Teil, The Mercy Chair, widerfahren ist. Während meiner Recherchen zur PTSB wurde mir klar, dass ich nach meinem sechsmonatigen Krankenhausaufenthalt im Jahr 2004 wohl auch selbst von einer milden Form betroffen war. Ich schätze, ich wollte meine Erfahrungen schriftstellerisch verarbeiten, stellte aber schnell für mich fest, dass der autobiographische Stil sich dazu nicht so gut eignete. Also entschied ich mich, einen Krimi zu schreiben (da ich das Genre schon immer geliebt habe) und meinen Protagonisten dasselbe durchmachen zu lassen wie ich: dieselben Symptome, dieselben Untersuchungen und Operationen, dieselbe Chemotherapie usw. Und dieses Buch – Born in a Burial Gown – wurde dann 2013 für den Crime Writers‘ Association Debut Dagger nominiert und zu einer Art Visitenkarte für mich. Dem Roman verdanke ich einen Buchvertrag und einen Agenten, und nichts davon wäre passiert, wäre ich nicht erkrankt. Ich habe mich auch großzügig an meinen Erfahrungen als Soldat und als leitender Angestellter in der Bewährungshilfe bedient. Nur nichts verkommen lassen!

Krimi-Couch:

In Deutschland erscheint aktuell beim Verlagshaus Droemer Knaur der fünfte Band Ihrer zweiten Reihe um den zynischen Ermittler Washington Poe: ein unfassbar komischer, verrückter, aber auch spannender Kriminalroman. Ihre Bücher erscheinen mittlerweile in 45 Ländern. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dieser Reihe?

M. W. Craven:

Das werde ich oft gefragt. Es hat lange gedauert, bis ich mir einen Reim darauf machen konnte, warum die „Poe“-Reihe so erfolgreich wurde, nicht nur in meiner Heimat, sondern international. Aber dann ging mir langsam auf: Vielleicht liegt es daran, dass es nicht einfach eine Serie über blutige Morde und verrückte Serienkiller ist (auch wenn beides ja durchaus zur Genüge darin vorkommt), sondern eine Serie über Freundschaft. Die platonische und sich stets weiterentwickelnde Freundschaft zwischen Poe und Tilly ist das Herzstück dieser Reihe. Es gibt viele Randfiguren, die auch eine Rolle spielen, wie z.B. Pathologin Estelle Doyle, Poes Chefin Stephanie Flynn, sogar Poes Hund Edgar, aber es ist Poes und Tillys Freundschaft und ihr ungewöhnlicher Umgang miteinander, der die Leserschaft bei der Stange hält.

Krimi-Couch:
Sie scheinen ein Faible für exzentrische Figuren zu haben. Bei Ihrem aktuellen Roman „Der Botaniker“ sind dies vor allem der zynische DS Washington Poe, die sozial inkompatible Analystin Tilly Bradshaw und die scharfzüngige Pathologin Estelle Doyle. Allen gemein ist aber, dass sie auf ihrem Fachgebiet wahre Experten sind. Warum haben Sie sich derart schräge Figuren für einen Kriminalroman ausgesucht?

M. W. Craven:

Zu Beginn der Serie war Washington Poe der unangefochtene britische Experte in punkto Serienkiller schlechthin, und auf gewisse Weise ist er das immer noch. Doch als die Serie voranschritt, kamen weitere Expert*innen in anderen Feldern hinzu. Anfangs dachte ich einfach, jemand wie er – getrieben und von einigen inneren wie äußeren Blessuren geprägt – würde sich so verhalten: Experten um sich scharen, warmhalten und als persönliche Ressource nutzen. Doch weil Tilly einen derart positiven Einfluss auf sein Leben hat, sieht er Estelle und die anderen nicht mehr als bloßes Mittel zum Zweck, sondern als das, was sie wirklich sind: Freunde. Gute Freunde. Und am Ende des Tages sind sie eben alle auch außergewöhnliche Menschen, und gleich und gleich gesellt sich gern.

Krimi-Couch:
Die Dialoge zwischen Washington Poe und Tilly Bradshaw sind sicherlich ein absolutes Highlight des Romans. Muss man sich als Autor nicht manchmal zügeln, dass nicht der Humor statt der Spannung in den Vordergrund rückt?

M. W. Craven:

Das muss ich tatsächlich. Mein erster Entwurf enthält meistens jeden Witz und jeden lustigen Schlagabtausch, der mir einfällt. Dann kürze ich es auf das herunter, was mir am besten gefällt. An manchen Stellen funktioniert der Humor sehr gut, z.B. in den frühen Kapiteln, wo ich die Figuren (wieder-)einführe, oder zum Schluss hin, wenn die Leserschaft bereits einige auf den Magen schlagende Szenen zu verdauen hat; dann wirkt er wie so eine Art Digestif. Manchmal finde ich einen Dialog auch sehr witzig, kann ihn aber einfach nicht unterbringen. Oft landet er dann in einem anderen Buch. Wie gesagt: Nur nichts verkommen lassen …

Krimi-Couch:
Der „Botaniker“ wählt eine recht ungewöhnliche Mordmethode. Was steht bei Ihnen als Autor im Vordergrund: Die Frage, warum der Täter mordet, oder die Frage, wie er es macht?

Mike W. Craven:
Das Warum. Das geht wohl zurück auf meine Tage als Bewährungshelfer: Deren Hauptaufgabe ist es, das Motiv eines Täters zu verstehen, um Maßnahmen zu ergreifen, welche die Rückfallwahrscheinlichkeit senken sollen. Deshalb fange ich immer mit dem ‚Warum‘ an und arbeite mich anschließend zum ‚Wie‘ vor. Dann lasse ich Poe und Tilly darauf los in der Hoffnung, dass sie das Schlamassel aufklären können.

Krimi-Couch:
Das wunderbare an Ihrem Roman ist, dass er so vielschichtig ist. Sie verbinden auf grandiose Weise Elemente des klassischen Whodunit mit denen des Locked-Room-Mystery und einer gehörigen Portion britischem Humor. Welche Autoren haben Sie am meisten geprägt?

Mike W. Craven:
Da gibt es ein paar: Der naheliegendste ist wohl Michael Connelly, der für mich, was Krimis angeht, eine Klasse für sich darstellt. Harry Bosch ist nach wie vor mein Lieblingsermittler. Ed McBains Reihe um das 87. Revier mochte ich auch sehr; daraus habe ich gelernt, wie man ein großes Figurenensemble entwirft, von denen gar nicht unbedingt jede in jedem einzelnen Band vorkommen muss. Die letzten beiden – Carl Hiaasen und Terry Pratchett – haben mich gelehrt, dass es in Ordnung ist, Humor einzubauen. Tatsächlich passen Humor – vor allem schwarzer – und das Krimigenre überraschend gut zueinander.

Krimi-Couch:
Von vielen Krimiautoren hört man, dass sie in ihrer Freizeit keine Zeit finden oder Lust haben, selber Kriminalromane zu lesen. Bei Ihnen scheint das anders zu sein. Sie beschreiben sich in erster Linie als Leser. Warum ist Ihnen das wichtig?

M. W. Craven:
Ich habe schon immer leidenschaftlich gelesen und wüsste keinen Grund, damit aufzuhören, nur weil ich selbst schreibe. Ich lese heutzutage sogar mehr als früher, schätzungsweise zwischen 100 und 120 Bücher pro Jahr, da mir sehr viele zugeschickt werden. Das macht Spaß, manchmal sind auch richtige Klopper dabei. Ich persönlich lese hauptsächlich amerikanische Krimis und meide die britischen. Bei meiner Frau ist es genau andersherum.

Das Interview führte Thomas Gisbertz im September 2023.
Übersetzt von Yannic Niehr.
Foto: © Gary Barton

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