Christine Brand

02.2019 Thomas Gisbertz hat Christine Brand einige Fragen zu ihrem Roman "Blind" gestellt.

Ich glaube, wenn ich Milla im wahren Leben begegnen würde, wären wir gute Freundinnen.

Krimi-Couch:
Frau Brand, in Ihrem neuen Kriminalroman „Blind“, der aktuell im Blanvalet-Verlag erscheint, steht mit der Figur des Nathaniel ein Blinder im Vordergrund, der vermeintlich Zeuge eines Verbrechens wird. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Christine Brand:
Mir fliegen die Ideen für meine Geschichten fast immer während Erlebnissen im realen Leben zu. So war es auch dieses Mal: Ich hatte gerade über die App „Be my Eyes“ einen Anruf eines blinden Mannes erhalten, der mich fragte, welches seiner Hemden das blaue sei. Hierzu muss man wissen: Die Video-App funktioniert anonym, die Gesprächspartner werden per Zufallsgenerator ausgesucht. Während ich dem blinden Mann bei der Auswahl seines Hemdes half, war da plötzlich ein Gedanke in meinem Kopf: Ich sehe ihn zwar, aber er sieht mich nicht und er weiß auch nicht, wer ich bin … was wäre, wenn mir genau jetzt etwas zustoßen würde und er das hören, aber nicht sehen könnte. Im gleichen Moment wusste ich, dass ich darauf einen Plot aufbauen wollte.

Krimi-Couch:
Der Leser erfährt unglaublich viel über die Lebenswelt eines Blinden. Jeder Leser dürfte sich nach der Lektüre die App „Be my eyes“ auf sein Smartphone laden. Sie zeichnen mit Nathaniel einen Menschen, der einen schweren Schicksalsschlag verkraften muss, der aber dennoch sein Leben annimmt und auf beeindruckende Weise meistert. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Christine Brand:
Ich hoffe doch sehr, dass sich jeder Leser die App herunterlädt, ich finde es eine tolle Idee, mit kleinem Aufwand jemandem eine große Hilfe zu sein. Um zu recherchieren, wie ein blinder Mensch lebt und wie er die alltäglichen Aufgaben bewältigt, habe ich einen blinden Freund besucht, über den ich als Reporterin vor vielen Jahren einen TV-Beitrag gedreht habe. Er war als Kind das Opfer eines Familienmordes, den er als einziger überlebt hat. Sein Leben ist ein Hürdenlauf, doch er meistert alle Hindernisse, und wenn er hinfällt, steht er wieder auf. Ich bewundere ihn dafür sehr.

Die Ereignisse in Nathaniels Kindheit sind an die wahren Begebenheiten angelehnt. Während meiner Arbeit als Reporterin und als Gerichtsberichterstatterin, aber auch später bei einem Einsatz als Flüchtlingshelferin in Griechenland, habe ich viele Menschen getroffen, die Schreckliches erlebt haben. Schicksalsschläge, die kaum zu verkraften sind. Aber sie sind wieder aufgestanden, sind ihren Weg weitergegangen, haben, im wahrsten Sinne des Wortes: überlebt. Ich habe den allergrößten Respekt vor diesen Menschen. Sie sind für mich Helden. Und ich finde, sie sollten uns allen immer wieder Vorbild sein, wenn wir uns über Kleinigkeiten beschweren und aus Nichtigkeiten Dramen machen.

Krimi-Couch:
Sie haben als Redakteurin bei der „Neuen Züricher Zeitung“ und beim Schweizer Fernsehen gearbeitet. Auch Milla, eine weitere zentrale Figur in ihrem Kriminalroman, ist TV-Reporterin. Wie viel steckt von Ihnen in Milla?

Christine Brand:
Tatsächlich erlebt Milla bei ihrer Arbeit immer wieder Situationen, die ich als TV-Reporterin bei Dreharbeiten im realen Leben erlebt habe. Und wer sich in den Büroräumlichkeiten der Redaktion der Sendung „Rundschau“ beim Schweizer Fernsehen umsehen würde, dem käme einiges aus dem Buch „Blind“ bekannt vor. Äußerlich ist Milla ein komplett anderer Typ Frau als ich und auch charakterlich sind wir verschieden. Sie ist ungestümer, vorlauter, vielleicht auch ein bisschen verbissener. Überdies trinkt sie gerne Kaffee, den ich gar nicht mag. Aber es gibt Gemeinsamkeiten: Auch ich war über zwanzig Jahre lang eine neugierige Journalistin mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, für die der Job mehr war als ein Beruf. Ich glaube, wenn ich Milla im wahren Leben begegnen würde, wären wir gute Freundinnen.

Krimi-Couch:
Millas Freund Sandro Bandini arbeitet bei der Berner Polizei im Dezernat für „Leib und Leben“. Eine TV-Reporterin liebt einen Polizisten: die perfekte Möglichkeit, einen Fall aus zwei Perspektiven zu schildern. Welche Rolle spielte hierbei Ihre eigene Biografie?

Christine Brand:
Ich werde hier jetzt nicht mein Liebesleben öffentlich ausbreiten. Aber soviel sei verraten: Ich hatte einmal einen französischen Undercover-Polizisten als Freund. Als ich ihn kennenlernte – wir sind uns auf einem Fußgängerstreifen auf der Place de la Bastille in Paris begegnet – erzählte ich ihm, dass ich Journalistin sei und dass ich Krimis schriebe, in denen eine Journalistin mit einem Polizisten liiert sei. Das fand er recht lustig. Erst Tage später sagte er mir, dass er für die Polizei arbeitet. Aber auch sonst ist mir die Welt der Polizei und der Kriminalistik nicht fremd. Weil ich als Reporterin auf die Themen Justiz und Kriminalität spezialisiert bin, habe ich in der Schweiz ein gutes Netzwerk in den Fachkreisen. Auch privat habe ich zwei gute Freunde, die bei der Polizei arbeiten, und die ich immer wieder mit den abwegigsten Fragen belästigen darf.

Krimi-Couch:
Ihr aktueller Roman stellt den Auftakt zu einer neuen Krimireihe um die unkonventionelle Milla dar. Spielen Sie auch mit dem Gedanken, Nathaniels Geschichte weiter fortzusetzen?

Christine Brand:
Nathaniel ist mir sehr ans Herz gewachsen. Überdies hat er in „Blind“ bewiesen, dass er sehr hartnäckig sein kann, ihn wird man nicht so schnell los. Also wird er auch im Nachfolgeroman einen wichtigen Part spielen und sogar im übernächsten Buch noch mit von der Partie sein, wenn auch nur noch in einer Nebenrolle.

Krimi-Couch:
Noch zwei Fragen zum Schluss - losgelöst von Ihrem Roman: Sie rezensieren einmal im Monat in der Rubrik „Bücher am Sonntag“, der Beilage der NZZ am Sonntag, die Werke anderer Autoren. Wie kamen Sie auf diese Idee? Wie reagieren Ihre Schriftstellerkollegen darauf?

Christine Brand:
Diese Frage zeigt mir, dass ich dringend meine Webseite aktualisieren sollte... die Information ist fast schon antik. Ich glaube, ich schrieb diesen Blogg ein oder eineinhalb Jahre lang, habe ihn aber im April 2014 aufgegeben. Als ich selbst begann, Krimis zu schreiben, und als ich als Mitglied des Syndikats auch andere Krimiautoren kennen gelernt habe, schrieb ich keine Rezensionen mehr.

Das Interview führte Thomas Gisbertz im Februar 2019.
Foto: © Sarah Koska

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