Krimis und Musik

Ein Krimi-Couch Spezial von Jochen König

Professor Moriarty’s Jukebox *1 – Eine kleine Krimi und Musik-Compilation

Manchmal, in dunklen Zeiten tut es gut, sich bewusst zu machen, wie viele Facetten Kriminalliteratur besitzt, unter welchen Gesichtspunkten man sich thematisch nähern kann. Abseits vom x-ten Serienkilleraufguss, unterschnittig geplotteten Psycho-Thrillern und Romanen, die vorgeben, Gewalt gegen Frauen zu thematisieren, aber nur Gewaltorgien im übelsten Rape’n'Revenge-Stil inszenieren, die sich einen feuchten Kehricht um gesellschaftspolitische, kulturelle Missstände scheren, sondern nur zwischen Ekel und Entsetzen simpel »unterhalten« wollen. Es scheint ein recht großes Klientel dafür zu geben. Dabei gibt es so viel anderes, dem man seine Aufmerksamkeit widmen kann. Wie jenem reizvollen Komplex aus Musik und Krimi.

Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen als in Liebe*2

Der Anlass dafür ist dreifach: Zum einen führte meine ausführliche Beschäftigung mit Colin Dexter und »seinem« Inspector Morse nicht nur dazu, dass ich jetzt der Besitzer einer Gesamtaufnahme von Wagners »Ring der Nibelungen« bin, sondern noch einmal vor Augen wie wichtig Musik für Krimis ist. Und manchmal auch umgekehrt. Klassische Musik, insbesondere die Opern Richard Wagner, sind der wichtigste Rückzugspunkt für Endeavour Morse, sein Moment der Fokussierung, wenn er mit der Alltagswelt und den Menschen, die in ihr leben, mal wieder auf Kriegsfuß steht. Hochspannend auch deshalb, weil Autor Colin Dexter seine Hörfähigkeit verlor. Doch Musik ist mehr als bloßes Easy Listening. Sie kann Antrieb sein, Reflexion und Schlüssel. Oder alles zusammen.

Der folgende Text kann kaum mehr als ein Appetitanreger sein, ein kleiner, nahezu willkürlicher Streifzug durch ein Gebiet über das man selbst einen Wälzer verfassen könnte. Mindestens.

Der Tod und das Mädchen

Der zweite Grund ist ein trauriger. Am 14.01. 2018 starb Bill Moody, der nicht nur als (Jazz)-Schlagzeuger reüssierte, sondern auch ein vorzüglicher Autor ist. 2015 erschien im Polar-Verlag der Polit-Thriller "Der Spion, der Jazz liebte» («Czechmate: The Spy Who Played Jazz», 2012, der bereits im Titel auf sein Sujet verweist und 1968 während des Pragers Frühlings spielt. Der kalte Krieg fordert seine Opfer, Geheimdienste sind von Verrätern durchsetzt. Der Jazzmusiker Gene Williams, eine Einladung zum «Prague Jazz Festival" in der Tasche, findet sich plötzlich als unmittelbarer Beteiligter in einem mörderischen Ränkespiel wieder, das mit Archivaufnahmen von Panzern auf dem Wenzelsplatz endet. Moody berichtet aus erster Hand, war er doch damals, wie sein Protagonist Williams, vor Ort.

Lesenswert ist auch seine Reihe um den Pianisten Evan Horne, der sich kriminalistisch unter anderem mit Chet Baker und Charlie »Bird« Parker auseinandersetzen darf.

All about Jazz

 …ist das Motto von Paula Goslings "Mord In Concert», in dem Jazz Pianist Johnny Cosatelli als Mordverdächtiger arg in die Bredouille gerät. Gosling, unvergessen als Autorin von «Töten ist ein einsames Geschäft», das als Vorlage für zwei filmische und hochunterhaltsame Desaster epischen Ausmaßes diente (wofür der Roman aber nichts kann). Erst knöpfte sich Sylvester Stallone das Buch vor und verwandelte es in «Die City Cobra» («Cobra»), der Selbstjustiz-Action á la «Ein Mann sieht rot» («Death Wish») ins halluzinogene Nirwana hievt. 1996 wurde Paula Gosling erneut misshandelt und als Sprungbrett für Cindy Crawfords Filmkarriere auserkoren. «Fair Game» floppte auf nahezu allen Ebenen und Crawfords Sprung ins Filmbusiness führte direkt nach unten. Dabei ist der Film besser als sein Ruf. Der müffelige William Baldwin und das ehemalige Top-Model Crawford im Gefrierschrankmodus sind eines der unglaublichsten Paare der Kinogeschichte. Wenn man sich passend grinst, was nicht passt, dann ist «Fair Game» eine kleine Wundertüte. Musikalisch ausgedrückt wäre die «City Cobra» Hair-Metal plus eine Prise rotzigen Punks und «Fair Game» Plastik-Pop. Charles Bronson hatte indes zu Beginn des «Death Wish"-Franchises erst Herbie Hancock und dann Jimmy Page als musikalische Wegbegleiter. So schließen sich Kreise und beide Musiker passen auch gut zu Paula Gosling, die gerne wiederentdeckt werden darf. Wie so viele andere Autor*innen dieses Textes.

You don’t accomplish much by swimming with the mainstream. Hell, a dead fish can do that *3

Ein weiterer Musiker, der erfolgreich ins schreibende Fach wechselte, diesmal von der ländlichen Seite der Musik, ist der höchst eigenwillige Kinky Friedman. Mittlerweile 74 Jahre alt, weilt er noch unter den Lebenden, was nach seiner reichhaltigen Drogenerfahrung während seiner Zeit als Musiker nicht selbstverständlich ist. Seine Romane sind so ätzende wie komische Kommentare zur Zeit- und Populärkulturgeschichte, die Friedman mit einer imaginierten Version seiner selbst als Privatdetektiv zelebriert. Es treten auf: Elvis-Imitatoren, Willie Nelson, der Geist von Hank Williams und ganz viel New York. Wer mit Ausgegrenzten, Freaks und all den Nachtfalken sympathisiert, die es nicht auf ein Bild von Edward Hopper geschafft haben, wird beim Kinkster eine erquickliche Heimstatt finden.

Wer in weiblicher Begleitung in die Untiefen des umtriebigen Country & Western-Geschäftes abtauchen möchte, findet eine fähige Komplizin in Marcia Mullers Detektivin Sharon McCone. Die von ihrem (Noch)-Schwager, dem Countrysänger Rick Savage um Hilfe gebeten wird, als der sich und seine Familie bedroht sieht. "Das gebrochene Versprechen» («The broken promise land») beginnt mit der essentiellen, mehrfach gestellten Frage: «Was ist mit meinem Song geschehn?" Das Billboard-Magazin hat keine Antwort parat.

The only way to fly was to die*4

Wir haben aber eine für Anlass Nummer drei, der erfreulicher Natur ist: Im August 2017 erschienen Judy Henskes Alben aus dem Jahr 1963, »Judy Henske« und »High Flying Bird«, gemeinsam als »The Elektra Albums« auf CD. Henske ist so etwas wie die Muse von Burke, dem Protagonisten der Serie des amerikanischen Autors Andrew Vachss. Vachss war Anwalt für missbrauchte und misshandelte Kinder, und beschloss seine Erlebnisse und Erfahrungen verklausuliert einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Man nimmt ihm das Anliegen in seinen düsteren, desillusionierenden Romanen ab, auch wenn es manchmal arg versteckt hinter einem literarischen Konstrukt hervorlugt, das die beliebte Buddy-Kombination eines taffen Ermittlers und seines kampferprobten Sidekicks in fast schon mythologische Höhen treibt.

Der Paranoiker Burke und sein brandgefährlicher Gefährte, der »stille« Max, sind ein wildes Paar. Ergänzt werden sie im Debüt "Kata» um einen neapolitanischen Mastiff mit dem freundlichen Namen Pansy, laut Burke: «zirka 140 Pfund geballten Hasses auf alles Menschliche außer mir», und eine Gruppe gesellschaftlicher Außenseiter, deren Solidarität untereinander einen Wall gegen den hereinbrechenden Hass und die Gewalt im Moloch New York bildet. Vachss’ Romane erzählen von der Sehnsucht nach einer humanistisch geprägten Welt, in der Gerechtigkeit und Verständnis füreinander prägend sind. Doch der Status Quo ist das Scheitern an der Umsetzung dieser Sehnsucht. Davor stehen nicht nur derangierte Geister, sondern auch eine selbstbezogene, mitleidlose Gesellschaft, deren Schaltstellen der Macht durch und durch korrumpiert sind. Selbst die verletzlichsten Glieder der menschlichen Gemeinschaft werden mitleidlos missbraucht. Judy Henske und ihre Musik stellen Kontrapunkt, Burkes Rückzugsfläche und Kommentar zugleich dar. «And now I would like to do a special murder-ballad&» («Love Henry»)

In eigenwilliger Konsequenz besetzte Vachss in «Das Geschäft des Bösen» nicht Burke sondern Bruce Wayne beziehungsweise dessen Alter Ego, den dunklen Ritter Batman. Man braucht nicht zwingend alle Romane von Andrew Vachss, aber zumindest die Paranoia-Bibel «Kata» und «Strega» (oder «Hard Candy», «Bluebelle», «Der Kult») sollten in keinem gepflegten Krimihaushalt fehlen.

Sometimes you have to forget your principles and do what’s right*5

Was für Burke Judy Henske bedeutet, ist für Matt Scudder Dave Van Ronk. Zumindest in der stimmungstrunkenen Eloge auf Bars, Musik und den Wert wahrer Freundschaft, «Nach der Sperrstunde», im Original «When The Sacred Ginmill Closes», dem A-cappella-Song «Last Call" entlehnt:

»And so we’ve had another night / Of poetry and poses
And each man knows he’ll be alone /When the sacred ginmill closes.
And so we’ll drink the final glass / Each to his joy and sorrow
And hope the numbing drink will last / Til’ opening tomorrow«

Fast so etwas wie das Credo des Privatermittlers im verzweifelten Versuch die Welt vom Dunkel zu befreien, während die Nacht längst gewonnen hat. Matt Scudder, der trockene Alkoholiker reist zurück in eine Zeit als der Tresen sein zweitbester Freund war. Heraus kommt ein Höhepunkt der Serie des verlässlichen Lawrence Block. Dave Van Ronk, »Der König von Greenwich Village«, blieb wie Henske hierzulande unterm Radar versteckt. Einen kleinen Popularitätsschub verschaffte ihm »Inside Llewyn Davis«, die filmische Hommage der Coen-Brüder, mit deren Kinostart auch seine Autobiografie auf Deutsch veröffentlicht wurde.

»Nach der Sperrstunde« ist eine Liebeserklärung an die klassische Stammkneipe, an all die Tresen, an denen Nachtschwärmer versacken, um dort manchmal, nach dem einen Drink zu viel, unglaubliche Geschichten preiszugeben. Oder in Verbrechen hineingezogen zu werden. So ergeht es Matt Scudder, in einem »Urban Noir« (Claus Kerkhoff), in dem Freundschaft mit Verrat einhergeht und Loyalität der Manipulation dient. Gerechtigkeit kommt nur durch eine Lüge zustande und am Ende gibt es nur Verlierer. Und einen letzten Whisky. Erst zum »Tanz im Schlachthof« wird es während der Metzgermesse eine Art schale Absolution geben.

Let it roll, Baby roll*6

Weniger Absolution als Regeneration suchte DOORS-Sänger Jim Morrison als er nach der Veröffentlichung von »L.A. Woman« nach Europa floh. Der legendäre Miami-Prozess, mit einer Anklage unter anderem wegen »unzüchtigen und lasziven Verhaltens«, hatte ihn gezeichnet. Länger schon kämpfte er gegen seinen Ruhm als Sex-Symbol an, die Reise nach Paris schien eine Möglichkeit, sich stärker dem Schreiben statt der Musik zu widmen. Doch statt literarischen Ruhm fand Morrison den Tod. Unter mysteriösen Umständen, die jahrzehntelang zu vielfältigen Spekulationen verlockten. Und zu literarischer Verarbeitung.

So hält die Geschichte Morrisons und der Doors mit George R.R. Martins faszinierendem "Armageddon Rock» Einzug in die Horror-Fantasy-Literatur, auch im Krimi fand die Geschichte ihren Widerhall. Am spekulativsten in Craig Kee Streetes pseudobiographischem «Uns verbrennt die Nacht» («Burn Down The Night», 1982), in der aber nur am Rande Verbrechen vorkommen. Street orientiert sich eher am Mythos Morrison und verhebt sich an zu vielen Klischees aus der Rock’n\'Roll Hall Of Fame. Kein gelungenes und schon gar kein entlarvendes Buch, aber ein wildes, halluzinierendes Zeitzeugnis aus der alkoholgetränkten Gosse.

The future’s uncertain, and the end is always near*7

Wesentlich geschickter bauen Arthur Lyons und Robert Westbrook Mann, Musik und Mythos in ihre Kriminalromane ein. «Drei mit einer Kugel» («Three With A Bullet», 1984), der achte Teil der Serie um den Privatdetektiv Jacob Ash (im Original Jacob Asch), führt diesen tief in die verlogene und verkommene Welt des Seins und Scheins im Rock-Pop-Business. Hier wird Jim Morrison aka Phil Cooney – vom realen 1971 in die nähere Zukunft versetzt – zum Opfer eines Mordes. Ash ermittelt in einer Welt des Glitters, die nur Desillusionen kennt. Am Ende gibt es fast ausschließlich Verlierer. «Drei mit einer Kugel" bietet, wie die gesamte Reihe, exzellente Hardboiled-Unterhaltung, höchst effizient geschrieben und so erhellend wie spannend. Arthur Lyons Romane haben leider hierzulande nie den Erfolg erzielt, den sie verdient hätten.

Ähnliches lässt sich über den famosen Robert Westbrook sagen, der in »Nostalgie kann töten« (»Nostalgia Kills«, 1987) Morrison in Gestalt des Rockstars Billy Lion gewaltsam in Rom ums Leben kommen lässt. Der »linkshändige Polizist« Nicky Rachmaninoff (Musik ist überall) wird über ein Jahrzehnt später während einer anderen Ermittlung mit dem Fall konfrontiert. Westbrook, äußerst firm in Popkultur, baut viele Eckdaten aus der Karriere Jim Morrisons und der Doors in seinen sarkastischen Roman ein, der geprägt ist von der illusionären Sehnsucht nach einer Zeit, in der Pop- und Rockmusik für Aufbruch und das Wahrnehmen unterschiedlicher Möglichkeiten standen. In den Achtzigern beginnt, was heutzutage aktueller ist denn je: »Ich wundere mich immer noch, wie diese Zeit des Suchens nach politischer und geistiger Freiheit zu diesem Zeitalter führen konnte, in dem ein guter Job und ein BMW das höchste der Gefühle zu sein scheinen«, resümiert der ehemalige Hippie und jetzige Polizist Nicky Rachmaninoff. Die Gegenkultur verkrümelt sich in Nischen oder verschwindet ganz im Kommerz.

Rachmaninoff landet in einem Haifischbecken und Robert Westbrook ist der richtige Autor ihn dort auf Trab zu halten, stets das Ende vor Augen. Da Westbrook aber nicht nur die Popkultur klug seziert, sondern auch seine Krimihandlung (en) ironisch und spannend vorantreibt, gibt es eine klare Leseempfehlung nicht nur für Doors-Fans. Zeitlos gut, weil gekonnt in seiner Zeit verhaftet. Um darüber hinauszuweisen.

Crossroads – Pakt mit dem Teufel*8

Die Doors hatten mit »The End« nicht nur den ödipalen Killersong par excellence im Gepäck, aufreibender als fette Schmöker zum gleichen Thema, sie waren auch dem Blues verbunden. Der sich seinen Weg ins zwanzigste Jahrhundert zwar nicht mit einem Verbrechen, aber mit einem Teufelspakt bahnte. Beginnend an einer Kreuzung im an der Robert Johnson seine Seele dem Teufel verkaufte, um als Bluesgitarrist zu wahrer Größe zu gelangen. Sein Wunsch erfüllte sich für kurze Zeit, bevor er einen mysteriösen Tod starb. Wie Jim Morrison gehört Johnson zum »27er Club«, jener Gruppe Musiker, die alle im Alter von 27 Jahren starben. Eine der wahrscheinlichsten Varianten um sein Ableben kreist um einen eifersüchtigen Ehemann, der seinen Nebenbuhler Johnson vergiftete. Der Teufel fordert seinen Preis, schnell und hart.

Bezahlen muss auch der Klangforscher Seth, der den Schnipsel eines Blues-Songs auffängt und -nimmt, aus dem sein technikbewanderter Kumpel Carter erst einen kompletten Song und dann eine Mythologie um einen fiktiven Musiker erfindet, der linde an Robert Johnson gemahnt. Doch plötzlich entwickelt der erfundene Musiker ein Eigenleben, welches Seth und Carter in einen Abgrund zieht. Hari Kunzrus so irrwitziger wie -lichternder Roman »White Tears« hinterfragt nicht nur den Blues-Mythos sondern auch Wahrnehmungs- und Rezeptionsebenen, und ist ganz nebenbei eine kluge Analyse des Musikbusiness.

I been in the right place, but it must have been the wrong time*9

Mehr an Huddie William Ledbetters, besser bekannt als Leadbelly, Lebensgeschichte orientiert sich James Lee Burkes umfangreicher, dreizehnter Roman um Dave Robicheaux, den grüblerischen, hartnäckigen Ermittler aus New Orleans, jener Stadt, die Musik geradezu atmet. Die "Straße der Gewalt» («Last Car to Elysian Fields», 2003) führt Robicheuax nicht nur zu einem Profikiller, sondern auch mitten in die Machenschaften einer reichen Südstaatenfamilie, die glaubt, über dem Gesetz zu stehen. «Chinatown» lässt grüßen. Während seiner Ermittlungen stößt der Detektiv auf den legendären Bluesmusiker Junior Crudup, der während seiner Haftzeit im berüchtigten Angola-Gefängnis spurlos verschwand. Wie kaum anders zu erwarten hängen Vergangenheit und Gegenwart eng zusammen, Dave Robicheaux kämpft sich durch einen ganzen Wust toxischer Beziehungen, die oft tödlich enden. Leadbelly singt dazu (Neben vielen anderen griffen Nirvana es Jahrzehnte später auf) : «My girl, my girl, don’t you lie to me / Tell me where did you sleep last night / In the pines, in the pines / Where the sun don’t ever shine / I would shiver the whole night through".

Noch tiefer in die Geschichte des Blues schickt Eyre Price seinen Antihelden Daniel Erickson. "Roadkill», treffender «Blues Highway Blues» (2012) im Original, ist eine bitterkomische Odyssee durch prägende Stätten der populären Musik des 20. Jahrhunderts. Erickson, eine mysteriöse Blues-CD im Gepäck und mehrere Verfolger im Nacken, reist von New Orleans über Elvis Presleys ehemalige Residenz Memphis nach Nashville (Hank Williams), Chicago («2120 South Michigan Avenue», von den Rolling Stones und der Sitz der Chess-Studios), Detroit (Motown-City), Cleveland («das Zentrum einer Explosion, die den Rock’n'Roll geografisch in tausend verschiedene Richtungen verstreut hat"), Philadelphia ('Philly-Sound'), ins ehemalige CBGB nach New York, dem ehemaligen Punk-Tempel, um von dort aus in Seattle, der Heimat von Nirvana und der Geburtsstätte des Grunge zu landen. Ein wilder, witziger und informativer Ritt, der zudem einen Soundtrack im Gepäck hatte, den man sich von der entsprechenden Verlagsseite herunterladen konnte.

Die Bruderschaft der Nacht*10

Soundtracks zu einem Teil seiner Romane hat auch John Connolly auf seiner Homepage unter dem Stichwort »Curiosities« gelistet (https://www.johnconnollybooks.com/curiosities), inklusive Spotify-Links. Kein Wunder, wenn man der Hauptfigur einer Serie den Namen Charlie »Bird« Parker gibt, in Anlehnung an den großen Jazzmusiker. Dabei weisen Connollys Begleitempfehlungen zur Lektüre gar nicht Richtung Jazz, sondern speisen sich aus einem reichhaltigen Fundus der Alternative-, Indie-Musik. Meist Musik eher düsterer Natur, passend zu den faszinierenden Büchern, deren Plots in einem ganz eigenen, je nach Band unterschiedlich gewichteten Spannungsfeld aus Krimi, Horror und Märchen angesiedelt sind. Die Auswahl weist John Connolly sowohl als Kenner wie Connaisseur großartiger Musik aus. So listet er unter anderem Mark Lanegan, Wilco, The Walkabouts, Kate Bush, die Red House Painters samt Nachfolger Sun Kil Moon, The Blue Nile, Icehouse, The National, The Czars oder Wovenhand. Und Erik Satie. Jede einzelne dieser musikalischen Rezepturen ist durch die Bank von höchster Empfehlungsstufe und passt ausgezeichnet zur Charlie Parker-Reihe und darüber hinaus.

Großartig verstehen dürfte sich Connolly mit einem anderen Autor, der ähnlich musikversessen ist wie er selbst. Die John Rebus-Romane des Schotten Ian Rankin strotzen nur so von musikalischen Anspielungen, Erwähnungen und Insider-Gags. So ist der Titel »The Hanging Garden« einem The Cure-Song entlehnt, was bei der Übertragung ins Deutsche mit "Die Sünden der Väter» freilich nicht mehr nachzuvollziehen ist. Weitere Titel hat Rankin The Associates, Joy Division und Jackie Leven entliehen. In den Büchern selbst kommen die Rolling Stones vor, Van Morrison, Leonard Cohen, Jethro Tull, die Cocteau Twins, Belle & Sebastian und wieder Jackie Leven. Nahezu selbstverständlich, dass auch ein verkanntes Genie wie John Martyn nicht nur im Fiktiven eine Schlüsselrolle spielt.

Playlists von Ian Rankin UND John Rebus lassen sich ebenfalls im Netz finden (https://www.ianrankin.net/a-vinyl-guy-in-a-digital-world/); zum Schreiben hört Ian Rankin fast ausschließlich instrumentale Musik, vorzugsweise Brian Eno und Tangerine Dream.

Jackie Leven Said

Dank seiner Erwähnung innerhalb der Reihe kam es zu einer Zusammenarbeit von Rankin mit dem formidablen, und leider 2011 verstorbenen, Jackie Leven, die zum Crossover-Album «Jackie Leven Said" führte, das aus einer kurzen Geschichte Rankins, Songs von Leven und einer launigen Unterhaltung der beiden Künstler besteht.

Nicht das einzige multimediale Werk Rankins. 2013 erschien unter dem Signet Rory Gallagher »Kickback City – Featuring The Lie Factory, A Novella By Ian Rankin«. Die geschmackvoll aufgemachte und erschwingliche Box enthält zwei CDs mit der Musik Rory Gallaghers, eine mit Studioaufnahmen und eine Live-CD, ein von Timothy Truman (»Grimjack«, »Hawkman«, »Conan«, Poster für Grateful Dead) illustrierten Kurzroman »The Lie Factory« (klassischer Hardboiled-Noir im Sportwetten-Milieu) sowie das Hörbuch zur Story, gelesen von Aidan Quinn. Als besonderes Schmankerl sind dem erlesenen Package einige Postkarten mit Roman-Motiven beigefügt. Die Musik Rory Gallaghers wurde postum, unter Ägide seines Bruders Dónal, äußerst stimmig ausgewählt und ist von Leichenfledderei weit entfernt.

Ian Rankin hat viel über Musik und Literatur zu erzählen, bei ihm ist beides verbunden: »Musicians and writers, there’s a connection there. We’re trying to send a message to the world, we’re trying to get across our personality and we\'re trying to entertain at the same time.« (Ian Rankin im Gespräch mit Jo Frost, The Guardian).

Teufel, ist sowieso alles Rock 'n’ Roll *11

Diese Verbindung nutzten viele andere Autor*innen, unbedingt Erwähnung finden sollten noch zwei große Schriftsteller, beide mit Büchern, die einen höchst sarkastischen Blick aufs vermaledeite Musikbusiness werfen: Ed McBain mit einem Roman außerhalb des 87. Polizeireviers, dem 1981 erschienenen "Rumpelstilzchen» («Rumpelstiltskin") und Elmore Leonard mit der »Get Shorty«-Fortsetzung "Schnappt Chili» («Be Cool", 1999).

Sehr charmant und sprachlich höchst eigenwillig beschäftigt sich zudem ein deutscher Autor mit einem hier noch nicht erwähnten Genre – Berni Mayer konfrontiert seine Antihelden Sigi Singer und »den Mandel« mit den Untiefen des (skandinavischen) Black Metals samt der dazugehörenden Szene. Da kann man Kirchen brennen sehen ("Black Mandel", 2012 ).

Schießen Sie (nicht) auf den Pianisten

Bevor wir im Hier und Jetzt landen, vielleicht mit William Shaws "Abbey Road Murder Song», in dem die Beatles am Rande vorkommen, oder dem bislang nicht übersetzten «Sympathy For The Devil», bei dem unverkennbar die Rolling Stones, explizit der Tod von Brian Jones, eine Rolle spielen, mit Grégoire Herviers exzellentem «Vintage» (2017) oder dem «Höllenjazz in New Orleans» («The Axeman’s Jazz – City Blues Quartet, Band 1», 2015). Wobei hier die die Musik eine kleinere Rolle spielt als man bei Titel und Handlungsort meinen könnte. Obwohl Lewis «Louie" Armstrong eine der Hauptfiguren ist. Ein gelungener Krimi in historischem Ambiente ist Ray Celestins Roman aber allemal), noch eine Würdigung an einen Autor und ein Buch, das bereits 1956 unter dem Titel »Down There« erschienen ist. Hierzulande besser bekannt als "Schießen Sie auf den Pianisten" von David Goodis. Dessen Gesamtwerk eine Renaissance wert wäre. In seinem bekanntesten Roman erzählt er vom einst gefeierten Konzertpianisten Edward Webster Lynn, der nach dem Suizid seiner Frau Teresa abstürzt und nur noch als nachnamenloser Eddie in der schrundigen Bar »Harriets Hütte« sechsmal die Woche Klavier spielt. Dann taucht sein Bruder Turley auf und bringt Gefahr mit. In Gestalt von Verbrechern und gefährlichen Frauen.

»Es war eine Straße ohne Lampen. Nirgends brannte ein Licht. Es war eine schmale Straße in Port Richmond, einer Vorstadt von Philadelphia. Ein schneidender Wind wehte vom nahen Delaware-Fluß her, und alle Katzen wußten, daß es am klügsten wäre sich einen warmen Keller zu suchen.«

So beginnt der Roman und gibt gleich Tonfall und Ausrichtung vor. Noir, Dark-Jazz und dies und das. Runter in den Abfluss. Rauf gibt es nicht, ein Entkommen fühlt sich schon wie ein Sieg an. Lakonische Poesie im Dunkel der Nacht. Goodis beherrscht das.

Zur Popularität des Buchs trug die kongeniale Verfilmung 1960 durch Francois Truffaut maßgeblich bei. Nicht der einzige französische Künstler, der sich mit der Schwarzen Serie, beziehungsweise ihren Stilmitteln auskennt. »Tirez sur le pianiste« funktioniert sowohl als Noir und reflektiert das Genre gleichzeitig. Ein Volltreffer ist zudem die Besetzung der Hauptrolle mit dem Musiker, Sänger und Schauspieler Charles Aznavour. Tut Euch was Gutes und gönnt Euch David Goodis’ Roman wie Francois Truffauts Film.

Wer passt besser als Jim Morrison für die abschließenden Worte? Ein Ende ist natürlich lange nicht erreicht. Wer noch ein weiter ermitteln möchte zwischen Musik und Krimi, der findet hier eine lesenswerte Liste mit immerhin 50 Titeln: mysteryfile.com/blog/?p=17669. Die bei weitem ebenfalls nicht vollständig ist. Musik und Krimi inspirieren sich kongenial, spätestens in Film und Fernsehen wird es offensichtlich. Was wären »True Detective«, »Twin Peaks«, »CSI«, »Without A Case«, »Fahrstuhl zum Schafott«, »Blow Up«, »Taxi Driver«, »Chinatown«, »Farewell My Lovely«, »To Live And Die In L.A.« und all die anderen ohne ihre Begleitmusik? Ein bisschen weniger zumindest.

Spannend ist auch der Umkehrschluss: Wann, wie und wo finden Literatur, Kriminalität und Kriminelle Einzug in die Musik? Anfangen könnte man mit Georges Bizets »Carmen« und nicht enden mit Nick Caves »Murder Ballads«.

Vielleicht später einmal …

*01 Album von Paul Roland (2014)

*02 Richard Wagner

*03 Kinky Friedman

*04 Judy Henske – »High Flying Bird« (1963)

*05 Dave van Ronk

*06 The Doors – »Roadhouse Blues« (1970)

*07 The Doors – »Roadhouse Blues« (1970)

*08 Film von Walter Hill (1986)

*09 Dr. John – »Right Place, Wrong Time« (1973)

*10 Neunter Roman der Charles »Bird« Parker-Reihe ("The Whisperers, 2010)

*11 James Lee Burke – "Schmierige Geschäfte» («Black Cherry Blues», 1989)

*12 The Doors – «The End" (1967)

Titelmotiv "Klarinette auf dem Tisch": iStock.com/LaraBelova

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren