Weihnachten in
Grantchester

Serien-Spezial von Jochen König (12.2019) / Titel-Motiv: © Edel Motion/Glücksstern

Grantchester – es weihnachtet sehr

Was Doctor Who ein seit langem gepflegtes Vergnügen ist, soll natürlich dem Reverend Sidney Chambers auch gegönnt sein. „Grantchester“ bekommt zwischen der zweiten und dritten Staffel ein einstündiges Weihnachtsspecial spendiert. Leider,  von einer Trailershow abgesehen, auf DVD ohne Boni.

Dem Thema angepasst, kehrt die Weihnachtsfolge wieder zurück zum leichteren Duktus der ersten Staffel, ohne in den Niederungen krachlederner Komik zu versumpfen.  Weihnachten ist das große Thema und das nimmt „Grantchester“ ernst. Mit vielen zwinkernden Augen. Geordie Keating darf sich aufführen wie der Grinch, über den neuen Fernseher meckern, den seine Frau eigenständig gekauft hat („Der geht sofort wieder weg!“ […] der schluckt das halbe Zimmer, Cathy!“ – Ob der Geordie aus dem Jahr 1953 wohl noch ein 55 Zoll großes Smart-TV kennenlernen wird?), in eine Erziehungsfalle tappen, als seine Tochter ihn fragt – im Zusammenhang mit Jesus‘ Geburt – was ein „Schoß“ ist („Ja genau, sowas wie ‘ne Handtasche“). Am Ende grinst Geordie aber doch über beide Backen im Kreis seiner Familie und Freunde.  

Ihr Kinderlein kommet1

Dem aufgeregten Vikar Leonard Finch gehören – wieder einmal – die ulkigsten und anrührendsten Momente. Ersteres, als er versucht mit den Kindern der Gemeinde das Krippenspiel im Geiste der Theatertheorien Bertolt Brechts zu inszenieren („Ich bin ein Wesen des Himmels“ – „Nein, ein Himmelswesen“), was konsequent zu einer komischen Katastrophe gerät.

Anrührend wird es, wenn er die hochschwangere Amanda Hopkins unter seine Fittiche nimmt und zum unfreiwilligen Hebammenhelfer mutiert. Während Geordie und Ersatz-Papa Sidney  im angrenzenden Zimmer über die verkorkste Situation sinnieren. Mit jeder Menge Whisky und Zigaretten. Der Jazz muss warten bis Sidney alleine ist.

Familienbande – Fluch und Segen

Im Mittelpunkt der Folge steht das labile Konstrukt Familie. Sidneys große und bisweilen hoffnungslose Liebe Amanda hat ihren unsympathischen Gatten Guy hochschwanger verlassen, wohnt bei ihrer Tante Cece, bis ihr engstirniger Vater die Beziehung kappt, als Amanda seinen Forderungen nicht folgt. Cece muss Amanda vor die Tür setzen, da ihr Ehemann bei Amandas Vater angestellt ist. Die Segnungen des Kapitalismus. Wer das Geld hat, hat die Macht und darf ohne einen Anflug von  Moral und Empathie bestimmen, wo es lang geht.

Da funktioniert die Patchwork-Familie im Pfarrhaus besser. Nicht optimal, aber zumindest mit viel Verständnis und gegenseitiger Zuneigung. Die sich gerne  verbittert gebende Mrs. Maguire wird zum Leben schenkenden Weihnachtsengel (nicht ganz am 24.12.), Leonard zum aufgeregten Stellvertreter der drei Weisen aus dem Morgenland, während Sidney einen zweifelnden Joseph  („Das Üble daran ist, dass es gerade erst anfängt. Es wird immer komplizierter werden, immer verworrener. Es wird nie und nimmer funktionieren!“) und Geordie den verschmitzten Chronisten gibt (Antwort auf die vorige Frage: „Es wird schon hinhauen. […] Denk nur an Joseph. Marias Kind war auch nicht seins. Sie sind klargekommen.“).

Dazu setzt es Whisky, Weihrauch, eine gefühlvolle, optimistische Predigt, Jazz. Eine große Feier mit Menschen, die sich mögen und am Ende setzt es den unvermeidlichen Kuss unterm Mistelzweig. Wird schon werden mit Amanda und Sidney. Irgendwie. Warten wir die dritte  und vierte Staffel gespannt ab.

Sind's gute Kind sind's böse Kind? 2

Ach ja, ein Mordfall stellt sich auch ein und wird beinahe im Vorübergehen gelöst. Eine junge Frau wird bereits eine Nacht vor ihrer Hochzeit Witwe. Der weit ältere Bräutigam wird ermordet aufgefunden, mit den Trauringen im Mund. Was Geordie mit viel Unbehagen an einen zurückliegenden, unaufgeklärten Fall ähnlichen Kalibers  erinnert.  Sidney Chambers ist wie gewohnt eine wichtige Hilfe bei der Entlarvung des Täters, die mit akzeptabler (aber nicht zwingender) Logik, unaufdringlich vorangetrieben wird. Um am Ende nur ein Vehikel für eine weitere Familienzusammenführung zu sein.

Everything's Gonna Be Cool this Christmas3

„Weihnachten in Grantchester“ bereitet viel Spaß, weil es genau das ist, was es zu sein vorgibt. Ein kleines, harmoniebedürftiges Intermezzo, bevor es mit dem Ernst des komplexen Lebens, der sich in Zwischensequenzen immer wieder andeutet, weitergeht. Man kennt und schätzt diese britische Art von Weihnachtsfest: Ein bisschen nachdenklich, witzig und spannend; gut gespielt, so elegant wie zweckdienlich inszeniert. Genau die richtige Krimiunterhaltung für die Feiertage und die Zeit zwischen den Jahren - falls die DVD unterm Weihnachtsbaum liegen sollte. 

1) „Ihr Kinderlein kommet“, Johann Abraham Peter Schulz
2) „Knecht Ruprecht“, Theoder Storm
3) „Everything's Gonna Be Cool This Christmas“, Eels

Cover und Fotos: © Edel Motion/Glücksstern

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