Hinterland

Film-Kritik von Carola Krauße-Reim (04.2022)
 

Krimi trifft auf Historiendrama

Wien 1920 - Der ehemalige Kriminalinspektor Peter Perg kehrt nach jahrelanger russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Die Welt, die er kannte existiert nicht mehr: das Kaiserreich ist zu einer Republik geworden, seine Frau hat die Stadt verlassen und die Gegenwart scheint genauso entwurzelt, wie die Menschen. Perg plagen die Erlebnisse aus der Gefangenschaft und er will eigentlich nicht in seinen Beruf zurück, doch in Wien geschehen brutale Morde, die ihn schon bald erst zum Verdächtigen und dann zum „Ermittler in Probezeit“ machen. Für Perg besonders erschreckend – die Bestie von Wien hat es auf Kriegskameraden von ihm abgesehen.

Skurrile Geschichte ...

Die Freigabe des Films ab 16 Jahren ist berechtigt, denn die Szenen haben es teilweise in sich. Der Mörder tötet nicht einfach, er verstümmelt seine Opfer auf das Brutalste und das wird dem Zuschauer nicht vorenthalten. Dass es sich um Taten im Zusammenhang mit dem 1. Weltkrieg handelt, wird ziemlich schnell klar und schon befindet man sich mitten im eigentlichen Thema des Films, der viel mehr ist als ein reiner Kriminalfilm.

Regisseur und Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky, inszeniert ein Drama, das die ganze Tragweite der Zerstörung des Krieges zeigt. Nicht nur Wien ist aus den Fugen geraten, der ganze Staat und vor allem die Menschen müssen wieder Boden unter den Füßen bekommen, selbst Kriegsgewinnler haben hier ihre Traumata. Die Geschichte erzählt von den Schicksalen einzelner und der Gesellschaft im Ganzen. Peter Perg ist ein gebrochener Mann, der mit den Dämonen des Krieges kämpft; er weiß um seine Schuld und um seine persönlichen Opfer. Er ist Teil dieser neu zu definierenden Gesellschaft, die Ruzowitzky gekonnt in ihrer Entwurzelung und Identitätssuche zeigt, wenn verschiedene Gruppierungen lautstark demonstrieren, „die Bolschewiken“ überall vermutet werden und der Adel zwar seine Titel aber nicht seine Macht verloren hat.

Murathan Muslu stellt diesen entwurzelten Perg glaubhaft, einfühlsam und sehr realistisch dar, erst recht als klar wird, dass seine Kameraden ermordet werden. Unterstützung findet er in der Gerichtsmedizinerin Theresa Körner (Liv Lisa Fries) und dem jungen Kommissar Severin (Max von der Groeben), die beide sehr gekonnt andere menschliche Schicksale des Krieges verkörpern.

… in skurrilem Setting

Der Film wurde fast komplett mit der Blue-Screen-Technik gedreht und das merkt man. Die Szenenbilder erinnern an die Stummfilme der 20. Jahre, der Hintergrund wirkt wie die gemalte Kulisse eines Theaterstückes. Die Perspektiven wirken verzerrt, was die aus den Fugen geratene Situation Wiens 1920 auch bildlich verdeutlicht, aber eher irritierend als imposant ist.

Was dem Film wohl einen intellektuellen Touch geben sollte, schmälert das Sehvergnügen enorm, denn stets ist dem Zuschauer bewusst, dass es sich um Fiktion handelt, in die man kaum gefesselt eintauchen kann. Das wäre mit konventioneller Darstellung wesentlich besser möglich gewesen. Es hätte die zentrale Aussage des Films nicht geschmälert und den spannenden Kriminalfall zu einem echten Highlight werden lassen, denn bizarre Morde in historischer Umgebung sind nicht erst seit „Vienna Blood“ der Renner.

Was nuschelt er?

Zum Glück verzichtete Ruzowitzky weitgehend auf den Wiener Dialekt und ließ seine Darsteller in Hochdeutsch parlieren. Dennoch waren sie teilweise nur schwer zu verstehen. Gerade Murathan Muslu nuschelt öfters mehr als dass er sprach und auch die anderen Darsteller hatten hier so ihre Schwächen. Neben der visuellen Herausforderung ist dadurch auch hier die komplette Aufmerksamkeit des Zuschauers gefragt. Den könnte dann auch die Frage beschäftigen, warum ausgerechnet das Lied „La Paloma“ in einer sehr expressionistischen Szene betont wird, welches in Österreich zu dieser Zeit eine eher fragwürdige Rolle mit schlechter Reputation, wenn nicht sogar eine verbotene Rolle spielte.

Fazit

Hinterland ist kein konventioneller Historien-Krimi. Die ebenso skurrile, wie spannende Geschichte wird als gesellschaftskritisches Drama mit bizarren Morden vor avantgardistischem Bildhintergrund inszeniert. Sehenswert für alle, die einmal etwas Ungewöhnliches anschauen wollen, aber eine eventuelle Enttäuschung für alle, die auf einen herkömmlichen Krimi im historischen Wien gehofft haben.

Bilder: © SquareOne Entertainment

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