Erwartung - Der Marco-Effekt

Film-Kritik von Carola Krauße-Reim (10.2022)

Wenig überzeugende Fortsetzung der Erfolgsserie

In einem Zug wird der junge Roma Marco aufgegriffen. In seinem Besitz der Pass von William Stark – einem Familienvater, der vor Jahren verschwand, nachdem er des Missbrauchs verdächtigt wurde. Weil der Fall schon längst im Archiv gelandet ist, muss das Sonderdezernat Q aktiv werden. Carl Mørck, Assad und das restliche Team stoßen in ein Wespennest aus Betrug, Korruption und Vertuschung. Es lässt vermuten, dass Stark nur ein Bauernopfer war und Marco sich als unfreiwilliger Zeuge in großer Gefahr befindet.

Schwache Adaption eines wenig spannenden Thrillers

Bereits 2013 erschien die Buchvorlage zum Film. Schon sie wurde von vielen sehr kritisch gesehen und als wenig spannend beschrieben. Doch der Film setzt noch eins drauf, oder besser – er lässt zu viel weg. Einige Handlungsstränge werden weder eingeführt, noch erklärt, wie z.B. Marco, der 14-jährige Junge, der scheinbar ohne Zuhause ist und seinen Vater in Dänemark sucht. Welchen Hintergrund er hat, welcher Bande sein Vater angehört und was eigentlich das Problem mit dem Bandenführer ist, wird nur angerissen. Die ganze Vorgeschichte zum Verschwinden von William Stark schneidet der Film nur durch die Ermittlungen leicht an, die Brisanz dieses ganzen Themas wird aber kaum aufgegriffen. Viele Szenen erscheinen in die Länge gezogen, basieren auf Handlung und müssen mit dünnen Dialogen auskommen.

Das schafft nicht gerade atemraubende Spannung, schon gar nicht, wenn die vorhandenen Gespräche dann auch noch durchweg aus einer Abfolge kurzer stakkatohafter Sätze bestehen, die keinen Redefluss besitzen und so kaum als realistisch zu bezeichnen sind. Eine Bindung der Zuschauer an den Film ist daher nur schwer möglich, zumal man das Gefühl hat, alles ist nur eine Inszenierung um die Person Carl Mørck im Mittelpunkt zu zeigen.

Never change a winning team

In den bereits erschienen vier Filmen über das Sonderdezernat Q spielte Nikolaj Lie Kaas die Figur des Carl Mørck und Fares Fares seinen Partner Assad. Die beiden haben es verstanden die Unterschiedlichkeit ihrer Charaktere zu vermitteln. Mørck war der eigenwillige und wenig teamfähige Ermittler mit großen Schuldgefühlen; Assad sein gutmütiger Gegenpol, der auf seinem eigenen schwierigen Lebensweg viel Einfühlungsvermögen entwickelt hat und Carl immer wieder zu bremsen wusste. Regisseur Martin Zandvliet muss nun mit einer komplett anderen Besetzung arbeiten. Neben Ulrich Thomsen als Carl Mørck und Zaki Youssef als Assad,  wurden auch die restlichen Rollen im Sonderdezernats Q neu besetzt. Doch das hätte man besser nicht gemacht. Ulrich Thomsen steht mit seiner Figur eindeutig im Mittelpunkt, alle anderen sind in diesem Film nur schmückendes oder besser, unvermeidliches Beiwerk. Sie treten nur am Rande auf und hätten genauso völlig weggelassen werden können.

Selbst Sympathieträger Assad spielt nur eine sehr untergeordnete und wenig ausgleichende Rolle. Wer an den bisherigen Assad gewöhnt ist, dürfte schwer enttäuscht sein, denn Youssef kann den sanften und verständnisvollen Assad der vorherigen Filme einfach nicht vermitteln. Er reduziert ihn auf einen mützetragenden Niemand an der Seite von Mørck. Aber auch Ulrich Thomsen zeigt lediglich einen schwachen Abklatsch des Spiels seines Vorgängers. Er beschränkt den Charakter Carl Mørck auf ein ständig Kaugummi-kauendes, wenig vielschichtiges Grummelpaket. Die persönlichen Probleme, mit denen sich seine Figur herumschlagen muss, werden zwar kurz thematisiert, doch von Thomsen wenig überzeugend dargestellt. Was ein Neubeginn in Sachen Darstellung hätte sein sollen, ging eindeutig nach hinten los. Lediglich Lobus Oláh als Marco macht seine Sache wirklich gut.

Ein Nordic-Noir ohne Spannung

Eigentlich ist der Ausgangspunkt für den ganzen Fall spannend und hätte selbst bei reduzierter Umsetzung der Buchvorlage zu einem durchaus ansprechenden Nordic-Noir werden können. Doch das Konglomerat aus ungeschickter Adaption, der vollen Konzentration auf die Figur des Carl Mørck und die durchweg wenig überzeugende schauspielerische Leistung der Crew machen diesen Film zu einem zwar düsteren Nordic-Noir, dem es aber an Spannung und fesselnder Handlung fehl. Wer an die bisherigen packenden Ermittlungen des Sonderdezernats Q gewöhnt ist, die manchmal sogar einen Hauch von Humor aufwiesen (ich sage nur Assads Kaffee), dürfte von dieser Verfilmung wenig angetan sein und auf eine Rückbesinnung zu den Wurzeln hoffen.

Fazit

Dieser Film dürfte für Fans der Reihe eine Enttäuschung sein. Ein unmotivierter Ulrich Thomsen als Carl Mørck steht im Mittelpunkt dieses Films, dem es aufgrund der schlechten Umsetzung der schon schwachen Buchvorlage an Spannung und Plausibilität mangelt. „Erwartung – der Marco-Effekt“ kommt in keiner Weise an die bereits erschienen Verfilmungen der Sonderdezernat Q-Serie von Jussi Adler-Olsen heran.

Bilder: © Koch-Films

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