Schwein gehabt

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2005
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  • Berlin: Ullstein, 2005, Seiten: 222, Originalsprache
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Andreas Kurth
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2011

Satanisten tummeln sich im Münsterland

Dieter Nannen führt als Prokurist der Firma seines künftigen Schwiegervaters in Essen ein überaus geruhsames Leben. Er erbt überraschend einen Bauernhof im tiefsten Münsterland – von einem früheren Verehrer seiner Mutter, den diese abgewiesen hatte. Es sind kaum Erlöse aus der Bewirtschaftung des Hofes zu erwarten, denn der Viehbestand besteht aus einem Schwein und einigen Kaninchen. Die muss Nannen allerdings zwingend am Leben erhalten, wenn er die bescheidene Immobilie erben will. Eher zufällig hört er von einem Kumpel, dass dieser angeblich als Privatdetektiv arbeitet, und denkt darüber nach, das Geschäftsmodell in die Provinz zu übertragen. Und dann gibt Nannens Freundin ihm überraschend den Laufpass – und der selbst ernannte Privatschnüffler steckt unversehens in seinem ersten Mordfall.

Es mag anderen Lesern nicht so ergehen, aber ich habe bei der Lektüre des Buches immer ein Gesicht vor Augen gehabt. Die Beschreibung des überaus "paddeligen", aber doch pfiffigen Helden Dieter Nannen erinnert mich ungemein an Oliver Korittke in seiner Rolle als "Ekki Talkötter" in den beim Publikum überaus beliebten Wilsberg-Verfilmungen des ZDF. Auf jeden Fall hat das Autoren-Duo einen sympathischen Protagonisten geschaffen, dem man seine naive Unbedarftheit in der Ermittlungsarbeit in jedem Fall gerne abnimmt. Endlich mal kein Super-Ermittler, der alles vorher ahnt und messerscharf kombiniert, schon bevor etwas passiert ist. Schon wegen der Hauptperson ist der erste Fall für Dieter Nannen ein wirklich gut und kurzweilig zu lesender Roman.

Die Geschichte ist überaus amüsant erzählt, und da kann man auch ein paar kleine Ungereimtheiten verzeihen. Nannen bekommt den Laufpass, Kündigungsschutz spielt keine Rolle – Schwamm drüber. Der geerbte Bauernhof hat keinen Strom, aber die Leitungen führen am Gehöft vorbei. Wirkt unwahrscheinlich, aber solche Häuser gibt es bei uns in der norddeutschen Tiefebene durchaus auch noch, dieser Punkt ist für mich also nachvollziehbar und glaubwürdig. Der Rückfall in eine gewissermaßen archaische Lebensweise ist für das Ruhrpott-Kind Nannen ein absoluter Kulturschock – und wird als solcher von dem Autorenduo wirklich hervorragend geschildert.

Das passende Pendant zum Alt-Freak Nannen ist seine Nachbarin, die Bio-Bäuerin Karin. Hier werden von Bresser und Springenberg nahezu alle Klischees bedient, die Großstädter möglicherweise über Frauen parat haben, die allein einen Bauernhof bewirtschaften. Nach und nach enthüllen die Autoren die differenzierte Persönlichkeit der Nachbarin, die vermutlich in den weiteren Folgen der Krimi-Reihe noch eine zentralere Rolle einnehmen wird. Neben den gelungenen Protagonisten überzeugt der Roman mit seinen lebensnahen Dialogen. Die Sprache kommt nicht geschliffen daher, sondern die Autoren haben – frei nach Luther – "dem Volk aufs Maul geschaut." Nun kann man mit Recht einwenden, hier sei eigentlich kein Kriminalroman, sondern eine Kriminalkomödie entstanden. Ich würde sagen, das ist Auffassungssache. Es kommt immer auf die Definition und die Rigidität an, mit der man die Messlatte anlegt und die Kriterien wertet. Angesichts der hinter der launigen Geschichte um Dieter Nannen doch spannend erzählten Krimi-Handlung, mit der ein guter Spannungsbogen aufgebaut wird, würde ich nicht von einer Komödie sprechen. Immerhin gibt es drei Morde, es geht um Drogen und andere Gesetzesverstöße. Die Autoren erzählen eine überaus spannende Geschichte, mit vielen falschen Fährten für Detektiv und Leser.

Der Clou ist die Satanisten-Sekte – mit all den Ungereimheiten, die hier scheinbar im Detail stecken. Den kritischen Einwand, so etwas könne es im erzkatholischen Münsterland doch gar nicht geben, lasse ich absolut nicht gelten. Ich habe als Lokaljournalist im Elbe-Weser-Dreieck meine Erfahrungen mit derartigen Phänomenen machen dürfen, und mir sagen lassen, dass es noch viel mehr gibt, als sich der Durchschnittsbürger mitunter vorzustellen vermag. Also gilt auch für diesen Teil der Geschichte, dass hier keineswegs zu dick aufgetragen wurde, sondern eher haben die Autoren ein gängiges Thema aufgegriffen und hervorragend in ihre Geschichte eingebaut. Schwein gehabt ist das Coming-out des Dieter Nannen als Privatdetektiv. Und die Figur hat noch reichlich Potenzial, also sollte man sich die bereits vorliegenden weiteren Folgen der Reihe auf jeden Fall auch gönnen – das Lesevergnügen dürfte in meinen Augen garantiert sein. Eines ist das Buch allerdings nicht – ein Münsterland-Krimi. Die Handlung könnte überall spielen, den Kulturschock könnte sich der Protagonist in nahezu jeder ländlichen Region Deutschlands abholen. Aber das ist nur wieder mal so ein Marketing-Schnickschnack, für den die Autoren nichts können. Man ist ja schon zufrieden, dass es mal einen deutschen Provinz-Krimi gibt, der nicht in der Eifel oder im Allgäu spielt.

Schwein gehabt

Michael & Springenberg Bresser, Ullstein

Schwein gehabt

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