Niemand kennt den Tod

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • London: Faber, 2009, Titel: 'Suffer the Children', Seiten: 321, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2010, Seiten: 389, Übersetzt: Andrea von Struve & Petra Post
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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2010

Für Liebhaber britischer Krimis ein Muss

Zu sieben Jahren Haft wird der Kleinkriminelle Jadus Golding verurteilt, nachdem er zuletzt einen Poststellenleiter mit einer Waffe bedroht hat. Doch obwohl Inspector Will "Staffe" Wagstaffe mit dem Urteil zufrieden ist, bleibt ein bitterer Nachgeschmack, denn die maßgebliche Aussage des Hauptzeugen wurde von seinem Chef beeinflusst und die Angehörigen von Goldings e.Gang haben Staffe bereits Rache geschworen. Staffe macht sich hierüber jedoch keine Gedanken, denn bereits am nächsten Tag will er ins spanische Baskenland reisen, wo vor vielen Jahren seine Eltern bei einem politischen Mord ums Leben kamen. Die Täter sucht er bis heute.

Aus seinen "Urlaubsplänen" wird allerdings nichts, da er zu einem Tatort gerufen wird, der selbst ihm, der schon alles gesehen zu haben glaubt, den Magen umdreht. Karl Colquhoun wurde in seiner Wohnung brutal verstümmelt bevor er einen langsamen Tod starb. Die Ermittler finden heraus, dass Colquhoun vor einigen Jahren wegen Kindesmissbrauchs angeklagt war, ein Verfahren mangels an Beweisen aber eingestellt wurde. Seine erste Frau trennte sich von ihm und zog umgehend mit ihren beiden Kindern nach Spanien, seine zweite Frau Leanne gab ihre Kinder vorsorglich in eine soziale Einrichtung ab, behauptet aber beharrlich, ihr Mann habe die Kinder nie angerührt. Leanne wird zur Hauptverdächtigen der Polizei und vorübergehend festgenommen als ein Mordversuch geschieht. Der erfolgreiche Banker Guy Montefiore wird unter ähnlichen Umständen wie Colquhoun misshandelt, überlebt aber schwer verletzt. Montefiore war ebenfalls des Kindesmissbrauchs verdächtigt, doch auch gegen ihn kam es nie zu einem Gerichtsverfahren.

Staffe und sein Team ermitteln unter Hochdruck, denn vor allem das Boulevardblatt "News" zieht die Story groß auf und stürzt sich auf die angeblich unfähige Polizei. Staffe hat nicht nur die Presse und die e.Gang am Hals, sondern muss auch noch zu allem Überfluss die Täter schützen und die Opfer verfolgen.

Es hört sich widersprüchlich an, doch Staffe muss die Täter (die früheren Kinderschänder) schützen, da offenbar ein Betroffener zur Selbstjustiz greift. Wenn es schon die Polizei nicht schafft, die Fälle so zu bearbeiten, dass es für eine Verurteilung reicht, dann muss es halt jemand anderes richten, um die Kinder zu schützen. So die Grundskizze des vorliegenden Romans von Adam Creed, der an der Universität von Liverpool als Leiter der Abteilung "Creative Writing" arbeitet. Er sollte also wissen, wie man einen guten Plot auf die Beine stellt und in der Tat ist sein Roman Niemand kennt den Tod überzeugend. Allerdings bekommt man bei dem Buchtitel leichte Magenkrämpfe. Wie kann man Suffer the Children derart übersetzen?

Der Schreibstil ist eingangs etwas gewöhnungsbedürftig, ja sogar auf den ersten Blick etwas sperrig, wozu zahlreiche sehr kurz gehaltene Sätze beitragen. Nach ein paar Seiten ist man aber in der Geschichte drin und darf sich auf eine spannende Lektüre rund um die Themen Kindesmissbrauch und Selbstjustiz freuen. Die Gewaltdarstellungen beziehen sich auf die Misshandlungen der aktuellen Opfer, also die früheren Täter; die Vergehen an den Kindern selbst werden hingegen nicht explizit dargestellt, so dass der Roman gut lesbar bleibt.

Detailverliebt wird der frustrierende Arbeitsalltag der Londoner Polizisten dargestellt, die zwar zahlreiche Verdächtige, aber keinerlei verwertbare Spuren haben. Die Stimmung könnte also besser sein, doch auch die Ermittler sind sich untereinander nicht immer grün und ermitteln zudem in einem sozialen Umfeld, in dem die Menschen nur wenig zu verlieren haben. Respekt gegenüber der Polizei gehört hier nicht zum guten Ton, ganz im Gegenteil. Gut gelungen ist auch die Figur des Protagonisten. Staffe hat bis heute nicht den Tod seiner Eltern überwunden, obwohl dieser schon zwanzig Jahre zurück liegt. Starrköpfig und immer dem Recht verpflichtet geht er seine Ermittlungen an, auch wenn dies im aktuellen Fall bedeutet, dass er Kinderschänder beschützen muss. Dies schafft nicht überall Sympathien, denn nicht wenige Menschen in seinem Umfeld sehen in ihnen Täter und nicht Opfer. Zudem muss er eine gescheiterte Beziehung verarbeiten und sich Sorgen um seine Schwester machen, die des Öfteren von ihrem Freund geschlagen wird. So greift Staffe wieder häufiger zu einem Laphroaig und einem Bier, was ihm vor vielen Jahren schon mal zum Verhängnis wurde.

Die bedrückende, zur Gewalt neigende Stimmung in der Londoner Unterschicht wird hervorragend eingefangen und so gelingt Adam Creed ein atmosphärisch dichter Plot, dem man gerne eine Fortsetzung wünscht. Die Auflösung von Niemand kennt den Tod dürfte allerdings nicht jedem Leser gefallen. Wie das halt so ist, wenn es um Selbstjustiz geht.

Niemand kennt den Tod

Adam Creed, Fischer

Niemand kennt den Tod

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