Der Kollektor

  • List
  • Erschienen: Januar 2009
  • 4
  • London: Hodder & Stoughton, 2007, Titel: 'The unquiet', Seiten: 474, Originalsprache
  • Berlin: List, 2009, Seiten: 447, Übersetzt: Georg Schmidt
  • Berlin: Ullstein, 2010, Seiten: 477
Der Kollektor
Der Kollektor
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2009

Im Zentrum des schwer zu beschreibenden Bösen

Von den Geistern seiner unbewältigten Vergangenheit buchstäblich verfolgt, lebt Privatdetektiv Charlie "Bird" Parker seit neun Monaten von Frau und Kind getrennt in Portland, einer Küstenstadt des US-Staates Maine. Seine aktuelle Klientin ist Rebecca Clay, die von einem unbekannten Mann bedrängt wird, der Auskunft über den Verbleib ihres Vaters fordert.
Daniel Clay, einst ein bekannter und geachteter Kinderpsychiater, hatte als Gutachter in einem Prozess wegen Kindesmissbrauchs schwere Fehler begangen, die ihn erst seine Reputation und dann seinen Lebenswillen kosteten; im Jahre 1999 tauchte Clay unter und wurde inzwischen gesetzlich für tot erklärt

Doch Frank Merrick – so der Name von Rebeccas Verfolger – glaubt nicht an dieses Ende. Der ehemalige Berufskiller will Clay stellen, weil er ihn für das Verschwinden seiner minderjährigen Tochter verantwortlich macht. Um Clay zu finden und zur Verantwortung zu ziehen, ist ihm jedes Mittel recht, wie auch Parker bald feststellen muss.
Merrick ist ein gefährlicher Gegner, aber er ist nur verlängerter Arm einer dunklen Macht, mit der Parker schon in der Vergangenheit konfrontiert wurde: Der "Sammler", selbsternannter Henker verderbter Zeitgenossen und möglicherweise nicht einmal menschlicher Herkunft, kreuzt erneut seinen Weg.
Worum handelte es sich bei dem mysteriösen "Projekt", in dem ihr Clay eine prominente Rolle spielte? Wer sind die "hohlen Männer", vor denen seine ermordete Tochter Parker eindringlich warnt? Die Spuren führen in die Geisterstadt Gilead, in der sich einst Gräuel ereigneten, die nunmehr neu aufleben …

 Odyssee ins Herz der Finsternis

 Zum sechsten Mal begibt sich Charlie "Bird" Parker auf einen Feldzug gegen das Böse und jene, die es verkörpern. So muss man seine Aktivitäten wohl umschreiben, die nur vorgeblich den Versuch darstellen, dem geschriebenen Gesetz Genüge zu verschaffen. Parkers Vorstellung von Gerechtigkeit wurzelt in einer archaischen Welt, die definitiv mehr als die derzeit wissenschaftlich belegten Dimensionen aufweist.

Lassen wir die phantastischen Elemente, die Verfasser Connolly dieses Mal ohnehin zurück nimmt, erst einmal beiseite, stellt Der Kollektor eine Rückkehr zum Ursprung der Parker-Serie dar. Das schwarze Herz und Das dunkle Vermächtnis stellten ihn in den Mittelpunkt eines Geschehens, das als Irrfahrt durch die Abgründe der menschlichen Seele angelegt war. Der übernatürliche Aspekt deutete sich schon an, kam in aller Deutlichkeit jedoch erst später; er erweiterte die Serie um ein unerwartetes sowie überzeugend umgesetztes Element, nahm ihr aber gleichzeitig viel von ihrer ursprünglichen Wucht: Kein Höllendämon kann so realistisch ängstigen wie der banal böse Mensch.

 Rückkehr zu den Wurzeln

 Nachdem Connolly es in Der brennende Engel nicht nur mit dem Mystery-Faktor sicherlich übertrieb, ist Der Kollektor beinahe ein Kammerspiel; die Zahl der handelnden Figuren ist klein, und die Schauplätze beschränken sich auf wenige Orte im US-Staat Maine. Spektakuläre Action gibt es nicht, Connolly beschreibt vor allem die Arbeit eines Privatdetektivs. Parker folgt mühsam und oft vergeblich gut verwischten Spuren und wertet Indizien aus.

 Dabei beschäftigt sich Connolly ausgiebig mit der Frage dem Ursprung des Bösen. Dies liegt nahe, denn er gibt ihm ein besonders hässliches Gesicht: Charlie Parker deckt die Taten einer professionell organisierten Kinderschänder-Bande auf. Das Thema ist heikel, und das gilt erst recht, weil es zum Element eines Unterhaltungsromans wird. Der Missbrauch von Kindern löst beim gesunden Menschen bereits in der Vorstellung Entsetzen und Ablehnung aus, die sich ein skrupelloser Autor, der womöglich noch in entsprechenden Details schwelgt, leicht zunutze machen könnte. Connolly ist sich dieser Gefahr bewusst; oft spürt man sogar in der Übersetzung, wie vorsichtig er ist. Er hat sich mit dem Thema beschäftigt, schreibt er im Nachwort zum "Kollektor", und möchte allen Aspekten gerecht werden. Darüber gleitet er mehrfach ins Didaktische ab, statt sich den Gegenstand seines Plots tatsächlich zueigen zu machen

Das bemerkt man im Kontrast mit jenen Passagen, in denen der Verfasser sich auf ungefährlicherem Terrain bewegt. ´Normale´ Übeltaten wie Mord und Totschlag sowie Gefühle wie Trauer und der Schrecken, die nicht nur die Opfer, sondern auch und vor allem die Überlebenden bzw. die zurückbleibenden Familien und Freunde peinigen, weiß Connolly mit manchmal bedrückender Intensität zu verdeutlichen. In diesem Punkt schwingt er sich zu unbehaglich stimmenden Höhen auf, während die Story selbst dieses Mal nicht so fesselnd geraten ist. Der Plot ist dermaßen komplex, dass er sich mit seinen zahlreichen Zufällen vermutlich nur im wirklichen Leben so ereignen könnte. Darüber hinaus wird deutlich, dass Connolly den "Kollektor" auch als Gelegenheit sieht, die Flut der in fünf Bänden angehäuften, meist privaten Verwicklungen abzuarbeiten.

 Das Jenseits hält sich zurück

 Es wurde bereits erwähnt: Niemand vermag den Menschen so furchtbar zu quälen wie der Mensch selbst. Kriminologischer oder psychologischer Realismus steht für den Verfasser allerdings nicht allein im Vordergrund. Die Charlie-Parker-Serie ist ein seltsamer Zwitter, der neben den Krimi die Phantastik stellt; nicht selten arbeitet Connolly mit echten Horror-Elementen.
Obwohl er in beiden Genres das Rad nicht neu erfindet, ist sein Einfallsreichtum beeindruckend. Connolly variiert die bekannten Schrecken und kleidet sie in Gestalten, die ihnen ein Auftreten gestatten, das sie nicht der Lächerlichkeit preisgibt. Das wirkt in diesem Buch besonders harmonisch, weil sich Realität und Phantastik in etwa die Waage halten. Die "hohlen Männer" erschrecken, aber sie bleiben passiv. Einzige ´echte´ Kreatur der Finsternis bleibt dieses Mal der "Sammler".Der ist keine für den "Kollektor" geschaffene Figur.

Parker trifft erstmals im Kurzroman "The Reflecting Eye" (dt. "Das spiegelnde Auge", in: "Nocturnes", Ullstein-TB Nr. 26412) auf ihn bzw. prallt mit ihm zusammen. Der "Sammler" ist connollytypisch keine reine Horrorgestalt, sondern symbolstark aufgeladen: Er ist Parkers dunkles Spiegelbild, stellt womöglich dessen Zukunft dar, sieht sich als Mitstreiter und Konkurrent, nicht zwangsläufig als Feind. Ähnliche und beunruhigende Parallelen gibt es auch zwischen Parker und Frank Merrick.

 Alte Bekannte im Schnelldurchlauf

  Der Kollektor ist ein auf Charlie Parker zentrierter Roman. Meist nur kurz treten bekannte Randfiguren auf; das finstere Schutzengel-Paar Angel und Louis scheint beispielsweise nur mitzumischen, weil es ihre Fans unter den Lesern fordern. Für rare Momente handfesten Humors sorgen Schlagetot Jackie Garner und die irren Fulci-Brüder. Natürlich thematisiert Connolly außerdem die schwierige Beziehung zwischen Parker und Rachel, deren weitgehende Abwesenheit freilich die Schmalzschmierung der Handlung auf ein erträgliches Maß minimiert.

 Mit Der Kollektor möchte Connolly sich, seiner Hauptfigur und seinen Lesern entweder eine Atempause gönnen oder die reihenübergreifende Rahmenhandlung neu ausrichten. Nachdem im Brennenden Engel Luzifers Himmelssturz als reales Geschehen und Parker als Inkarnation eines gefallenen Engels enttarnt wurde, war dieser Schritt ratsam, denn wie hätte Connolly diesen Effekt noch steigern sollen?

  Der Kollektor ist ein spannender, mit überraschenden Wendungen nicht geizender Roman. Der finale Cliffhanger bleibt dieses Mal aus. Oder liegt es daran, dass Connolly Parker ein mildes Happy-End gönnt? Solcher Frieden passt nicht zu dieser Figur. Immerhin darf man sicher sein, dass er nur von kurzer Dauer sein wird, bevor die Dunkelheit Charlie Parker erneut auf den Leib rückt.

Der Kollektor

John Connolly, List

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