Pest in Breslau

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2009
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  • Warschau: Wydawnictwo, 2007, Titel: 'Dżuma w Breslau', Originalsprache
  • München: dtv, 2009, Seiten: 275, Übersetzt: Paulina Schulz
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Wolfgang Franßen
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2009

Im Metzgerladen des Verbrechens

Vergleicht man Marek Krajewski mit anderen Autoren, so hält er nicht wie Gerritssen oder Cornwell ein rohes Stück Fleisch in der Hand, um es voller Blut zu sezieren, oder dient dessen bloße Erwähnung, wie bei John Harvey oder McDermid, dazu einen Fall zu lösen. Krajewski brät das Fleisch und verzehrt es. Er ist ein sinnlicher Autor. Sein Schrecken erwächst der Tatsache, dass vieles, was einen Menschen ausmacht, nicht unbedingt gesellschaftsfähig ist. In seinem bunten Kaleidoskop erinnert er an Brecht: fressen und gefressen werden. Nur, dass er keine Hitze und keinen Gestank erträgt.

So begegnet uns sein Serienermittler Eberhard Mock gleich zu Anfang nicht als gewöhnlicher depressiver Alkoholiker. Mock wacht im Wald auf, von Jucken geplagt, besitzt keine Ahnung, wie er dorthin gekommen ist, nackt, von Schweiß bedeckt. Die Ouvertüre verspricht eine Burleske besonderer Art. Wie Mock unbekleidet, den Weg auf die Straße und nach Hause findet, ist an Selbstironie kaum zu überbieten.

Von der Kriminalpolizei wegen seiner Neigung zu Überreaktionen ferngehalten (er greift Wärter an), schwört er  einem toten, geschändeten Informanten Rache an seinen Peinigern, so dass er keine Gelegenheit auslässt, unter Beweis zu stellen dass ein solcher Mann untragbar ist und besser unter ferner liefen gelistet wird.

 

"Du dämliches Arschloch, du bist hier nicht Kunde!, sagte er zu sich. Zwei Frauen wurden ermordet, vielleicht haben sie Kinder hinterlassen, und dir gefällt nicht, dass sie unrasiert sind?"

 

Zwei Prostituierte sind auf bestialische Art ermordet worden. Wer wäre da nicht besser geeignet sich umzuhören und hinzuschauen als Eberhard Mock, der dem käuflichen Gewerbe zugeneigt ist, da es ihm unverstellter, weniger verlogen erscheint, als sich durch einen Trauschein die Berechtigung auf ein regelmäßiges Sexualleben zu erwerben.

Auf dem Karussell

Was Mock tatsächlich anhält, sich einzumischen, sind die ausgeschlagenen Zähne der Prostituierten. Sie machen ihn zornig. Es existieren selbst in dem Graubereich, in dem er sein Leben aufrecht erhält, Tabus, die es nicht zu brechen gilt. Mock ist nicht nur hart gegen andere, auch gegen sich selbst. Wenn er alle Zuhälter zusammen in eine Zelle sperrt, sie voreinander ihre Notdurft entrichten lässt, hat er einen Ruf zu verteidigen. Sei er auch noch so ramponiert. Kein Mann für halbe Sachen, kein Ermittler des Intellekts, sein feines Gespür für Verdächtige wie Zeugen, besteht darin, ihnen auf die Pelle zu rücken.

Bei dem dreiundvierzig Jahre alten Krajewski erscheint einem Breslau wie ein Hort der Welt, sind seine bizarren Verbrechen genauso gut vorstellbar in den pulsierenden Metropolen der Welt. Seinem Breslau jedoch haftet etwas Groteskes an. Wenn Mock einen Sanitätsarzt für seine Zwecke einzuspannen versucht, indem er ihn bei einem Seitensprung inflagranti erwischt, die Ehefrau samt Kind vor der Tür abliefert, die Familienzusammenführung droht, liegt keine hübsche Blondine neben dem Arzt, wie womöglich bei Ellroy. Bei Krajewski ist es die Schwiegermutter, und der Zwischenfall endet auch nicht damit, dass der Sanitätsarzt einknickt. Bei Krajewski stürmt die Tochter herein und fragt sich, was die Oma mit dem Papa im Bett macht.

Tanz mit dem Tod

Die Bilder sind roh, zuweilen brutal. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine geheime Bruderschaft aus Misanthropen, die drei Mordregeln an Menschen am Rand der Gesellschaft aufstellt: es muss entweder der Nachweis für der Tat erbracht, im Beisein gemordet oder jemand in den Selbstmord getrieben werden. Als Vorsitzenden sehnen sie einen Mann herbei, der einen Mord öffentlich begeht, zu ihm steht und der trotzdem freigesprochen wird. Fatalerweise gerät ausgerechnet Mock in deren Bannkreis, nicht nur als Ermittler auch als Verdächtigter. Dass das nicht als klassischer Whodunit endet, liegt nahe.

Krajewski ist ein Virtuose der theatralen Übertreibung, des übersteigerten, triebhaften Ehrgefühls. Seine Welt ist hart, verdorben, dem Untergang geweiht. Sie ist aus den Fugen geraten und tanzt um einen Vulkan, der längst ausgebrochen ist. Am Ende wird Mock sich sicher wie immer auf seine Weise beruhigen, indem er griechische und lateinische Verse rezitiert.

Pest in Breslau

Marek Krajewski, dtv

Pest in Breslau

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