Dunkle Tage

  • Sutton
  • Erschienen: Januar 2006
  • 1
  • Erfurt: Sutton, 2006, Seiten: 191, Originalsprache
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2007

Ein ganz besonderer Lesespaß

Berlin, 10.-19. März 1920: Max Unger, einer der führenden Industriellen Berlins, wird in seiner Wohnung erstochen aufgefunden. Kriminalkommissar Gregor Lilienthal wird mit den Ermittlungen beauftragt und nachdem er am Tatort einen Kalender mit philosophischen Zitaten findet, bittet er seinen Bruder, den Philosophieprofessor Hendrik, um Mithilfe. Schon bald geben sich die Tatverdächtigen ein munteres Stelldichein, denn der Tote hatte Feinde zuhauf.

Da wäre zunächst sein despotischer Bruder Hermann, der das Unternehmen gerne expandieren sähe und sich schon immer über die Ängstlichkeit seines Bruders erregte. Ebenso geriet der jüngere Bruder Friedrich ständig in Streit mit Max, da dieser ihn für einen Traumtänzer hielt und oft maßregelte. Ein durchaus nachvollziehbares Motiv hätten auch Barbara und Curt Broschek, denen Unger einmal mehr mit der Kündigung ihrer jämmerlichen Behausung und damit der Straße drohte.

Nach und nach stellen Georg und Hendrik fest, dass alle Verdächtigen bezüglich ihres Aufenthaltes zur Tatzeit gelogen haben. Während sie versuchen, Licht in den Fall zu bringen und die Lügengeflechte zu entwirren, entstehen auf den Straßen Berlins zunehmend Unruhen. Hauptmann Papst und einige rechtsgerichtete Militärs planen einen Putsch gegen die noch junge Weimarer Republik...

Kriminalistik contra Philosophie 

 

"Es war offensichtlich ein Fehler von mir, dich da hineinzuziehen", sagte Gregor und stand auf. "Unsere Fachleute arbeiten mit den modernsten naturwissenschaftlichen Methoden. Amateure richten bloß Schaden an."
"Sei unbesorgt! Auch ich halte mich an Fachleute: Aristoteles, John Stuart Mill..."
"Und was sind die Methoden deiner Fachleute?"
"John Stuart Mills System der induktiven und deduktiven Logik, das Organon von Aristoteles und dergleichen mehr."

 

Ja, die beiden Brüder haben es nicht immer leicht miteinander, was allerdings zur Unterhaltung des Lesers trefflich beiträgt. Gunnar Kunz hat mit Dunkle Tage einen vorzüglichen Krimi klassischen Aufbaus geschrieben, gepaart mit einem glänzenden Einblick in die damalige Zeit bzw. vor dem Hintergrund des sog. Kapp-Putsches. Parallel laufen die Ermittlungen der beiden Brüder und immer wieder werden die Zeugen und Verdächtigen befragt. Nach und nach zeigen sich immer mehr Widersprüche und so kommen die beiden nicht recht voran. Am Ende hat dann Hendrik die entscheidende Eingebung und so siegt dann doch die Philosophie über die Kriminalistik.

 

Hendrik konnte sich nicht zurückhalten, einen kleinen Hieb auszuteilen. "Diese Erkenntnis habe ich übrigens einem Fachmann zu verdanken"
Gregor verdrehte die Augen.
"Aristoteles systematisiert die Beobachtungen bei Veränderungen, das Werdende, wie er es nennt, indem er empfiehlt, vier Fragen zu stellen: Was hat sich verändert, wer hat die Veränderung ausgelöst, mit welchem Ergebnis und mit welchem Ziel? Interessant finde ich, dass er zwischen Ziel und Ergebnis differenziert."

 

Lesenswerter Mix aus Krimi vs. Geschichte

An dieser Stelle muss der Hinweis erfolgen, dass Leser ohne philosophische (Er-)Kenntnisse der Handlung durchaus problemlos folgen können. Dennoch bietet Dunkle Tage für alle, die sich für Krimis, deutsche Geschichte und Philosophie interessieren einen ganz besonderen Lesespaß. Die Lebensverhältnisse im Nachkriegsdeutschland werden bedrückend-anschaulich dargestellt, ebenso die damalige Geisteshaltung nationalistischer Kreise.

Der den Romanhintergrund bildende Kapp-Putsch (13.-17. März 1920) wird ebenfalls gelungen umrissen und so erfährt man - ganz nebenbei - wer für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verantwortlich war (sofern man dies nicht ohnehin schon wusste).

Alles in allem ist Dunkle Tage ein zwar kurzer, knapp 190 Seiten langer Roman, aber dennoch ein lesenswerter Mix aus Krimi vs. Geschichte. Ach ja, und Philosophie...

Dunkle Tage

Gunnar Kunz, Sutton

Dunkle Tage

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