Ein Mörder in unserer Stadt

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2006
  • 3
  • London: Century, 2005, Titel: 'Bad Moon Rising', Seiten: 357, Originalsprache
  • München: dtv, 2006, Seiten: 340, Übersetzt: Monica Bachler
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Frank A. Dudley
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2006

Mittelmäßiger Mix

Eines kann man Sheila Quigley nicht nachsagen, nämlich erfolglos zu sein. Denn sie hat erreicht, wovon so mancher Krimileser träumt oder auch schon mal spricht: Sie hat sich hingesetzt, geschrieben, das Manuskript eingeschickt — und einen Vorschuss von 300.000 britischen Pfund für zwei Kriminalromane eingestrichen. An sich nicht weiter berichtenswert, wenn Sheila Quigleys bisherige Karriere anders ausgesehen hätte. Die ehemalige Büglerin und mittlerweile achtfache Großmutter aus Newcastle lebte bis zum Abschluss ihres Vertrags mit dem Verlag Random House von Sozialhilfe.

Jetzt ist mit "Ein Mörder in unserer Stadt" Quigleys zweiter Roman erschienen, vom Verlag als Thriller bezeichnet. Auch hier beschreibt die spätberufene Autorin das nordenglische Hartz IV-Milieu, in dem sie sich aufgrund ihres bisherigen Lebens am besten auskennt, und benutzt es als Hintergrund der Geschichte. Vordergründig kommt der Roman als Polizei-Krimi daher, der Leser begleitet Detective Inspector Lorraine Hunt bei der Aufklärung von Serienmorden an Frauen.

Der Einstieg in die Geschichte ist die klischeehafte Schilderung des ersten Mordes: Gutaussehende Frau stöckelt durch dunkle und kalte Straßen, der Mörder lauert ihr auf und erwürgt sie, die Frau denkt als letztes an ihren kleinen Sohn. Danach entfaltet Quigley schon auf den ersten 30 Seiten ein dramatis personae von zwei Dutzend Namen, deren Träger eher verwirren als erhellen, da sie nicht unbedingt zur weiteren Handlung beitragen.

Schnell wird klar, was die Autorin eigentlich besser beherrscht, als einen spannenden Thriller-Plot mit fesselndem Anfang, glaubwürdiger Mitte und verdichtetem Ende zu entwerfen. Quigley beschreibt Leben und Leiden der kleinen Leute aus Houghton-le-Spring wesentlich dreidimensionaler als die Ermittlungsarbeit ihrer etwas farblosen Kommissarin. Die Hauptfiguren der eigentlichen Geschichte, ein arbeitsloser, aber ausgesprochen fürsorglicher und alleinerziehender Vater, seine an Kinderlähmung leidende Tochter sowie seine von Alzheimer bedrohte Mutter sind lebendig, wenn auch in ihren Nöten leicht überzeichnet dargestellt. Zumindest sind ihre Motive glaubwürdig, was man vom angekündigten Serienkiller nicht behaupten kann.

Zurück zur Rahmenhandlung: DI Hunt, frisch geschieden, frisch in einen Kollegen verliebt, lebt zum Zeitpunkt der Handlung bei Ihrer Mutter, die mit Verdacht auf Brustkrebs operiert wird. Soviel privates Ungemach scheint dann auch der Grund zu sein, warum sie ihre Führungsaufgabe nicht vollständig wahrnehmen kann und ihr eine rangniedrigere Polizistin mit diversen Eigenmächtigkeiten auch berufliche Komplikationen bereitet.

Während sich die Kleinstadt auf das alljährliche Herbstfest vorbereitet, schlägt der Serienkiller mehrfach zu und bringt junge Frauen um. Einzige Verbindung zwischen den Opfern: Schwarze Haare. Oho, Profiler, aufgepasst! Parallel dazu entfaltet sich das Kaleidoskop einer Sozialstudie des Lebens in einer nordenglischen Sozialwohnungssiedlung. Hier treffen Kredithaie, Geldeintreiber, Arbeitslose, Prostituierte, Schläger, Drogensüchtige und Sozialhilfe-Schnüffler aufeinander, hier gibt es echte Freundschaft, hinterhältige Brutalität und verzweifelten Überlebenswillen.

Ungewollt wird Ghettobewohner Jacko samt Mutter und Tochter in die Ermittlungsarbeit hineingezogen: Die Mutter wird von Geldeintreibern verprügelt und das Mädchen entführt. Und Jacko verdächtigt man, am Verschwinden seiner Tochter schuld zu sein, als der Serienkiller wieder zuschlägt. Die Aussage eines davongekommenen Opfers bringt einen Schausteller in Verdacht, mit dem auch Jackos Tochter kurz vor Beginn des Herbstfestes gesehen worden war.

Der echte Mörder hingegen, über dessen Seelenleben und Motivation der Leser in einigen Einschüben reichlich wenig erfährt (soviel sei gesagt: Mama ist an allem Schuld), treibt weiter sein Unwesen...

Sheila Quigleys zweiter Roman leidet darunter, dass die Autorin zuviel von allem hineinpacken wollte, allerdings ohne Details und Facetten genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Wo die Beschreibung von Polizeiarbeit im Vordergrund stehen sollte, hat Quigley nicht ausreichend recherchiert. Wo sie die Underdogs der britischen Gesellschaft beschreibt, ist ihr Stil nicht "noir" genug. Und wo Menschen und ihre Motive den Mittelpunkt bilden sollten, bleibt sie zu oft im Ungefähren. So ist "Ein Mörder in unserer Stadt" leider ein eher mittelmäßiger Mix aus lauwarmen Thriller-Elementen.

Ein Mörder in unserer Stadt

Sheila Quigley, dtv

Ein Mörder in unserer Stadt

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