Kein Lebenszeichen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2005
  • 14
  • New York: Delacorte Press, 2002, Titel: 'Gone For Good', Seiten: 340, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 448, Übersetzt: Gunnar Kwisinski
Kein Lebenszeichen
Kein Lebenszeichen
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Thomas Kürten
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2005

Vom Umgang der Lebenden mit den Toten

Will Klein hat sich mit seinem Schicksal arrangiert, sein New Yorker Stadtleben scheint in geordneten und glücklichen Bahnen zu verlaufen. Allerdings ist da ein Ereignis, das inzwischen schon elf Jahre zurück liegt und immer noch schwere Schatten auf seine Seele wirft. Damals wurde seine Freundin Julie ermordet und sein großer Bruder Ken war unter drückender Beweislast der Hauptverdächtige. Allerdings ward Ken seit jener Nacht nicht mehr gesehen und blieb trotz Großfahndung des FBI verschwunden. Die Kleins fanden sich schließlich damit ab, dass auch Ken damals ums Leben gekommen sein musste und seine Leiche wohl nie mehr aufgefunden werden würde.

Nun, elf Jahre später, flüstert Wills Mutter auf dem Sterbebett ihrem jüngeren Sohn ins Ohr, dass sein Bruder Ken noch am Leben sei und dass er zurückkommen werde, sobald er seine Unschuld beweisen kann. Und tatsächlich, als seine Mutter kurz darauf stirbt, entdeckt er in ihrem Nachlass ein erst zwei Jahre altes Foto seines geliebten Bruders. Die Freude über den zurück gewonnenen Bruder währt für Will aber nur sehr kurz, denn seine Lebensgefährtin Sheila verschwindet in der folgenden Nacht. Und dann geht es erst richtig los. Will hat kaum mit der Suche nach seinem vermissten Bruder angefangen, als das FBI bei ihm auftaucht. Sheilas Fingerabdrücke sind an einem Tatort in New Mexico, Tausende Kilometer von New York entfernt, gefunden worden. Sie ist Verdächtige in einem Doppelmordfall. Kurz darauf wird die grob geschändete Leiche von Sheila gefunden. Die Antwort darauf, wie dieses furchtbare Drama passieren konnte, erhofft sich Will von seinem vermissten Bruder, den er fortan fieberhaft sucht.

Erstklassiger Psychothriller...

Der Autor versteht es wie momentan kaum ein anderer, seine Leser von der ersten Zeile an zu fesseln. Die äußerst interessante Psyche Will Kleins wird von ihm umfassend und glaubwürdig dargestellt. Sein Verhalten, sein Umgang mit den auftretenden Schicksalssituationen ist ein Schwerpunkt in der Erzählung, wobei seine Motivation zu handeln für den Leser zu jeder Zeit nachvollziehbar ist. Der Umgang mit Trauer, mit dem Verlust von nahe stehenden Menschen wird facettenreich geschildert; das reicht von der absolut lähmenden Erschütterung bei dem einen bis hin zur (komödiantisch anmutenden) Anbetung von Lady Di bei jemand anderem.

In der ersten Hälfte der Handlung arbeitet Harlan Coben mit einigen Einschüben, bei denen er die Perspektive des Ich-Erzählers verlässt. Früh wird dem Leser dadurch deutlich, dass es in der Figur der Sheila einige Inkonsistenzen gibt. Ebenso werden bei diesen Einschüben sehr bald die beiden Bösewichter (und McGuane und "der Ghost" sind literarische Schurken übelster Kajüte) eingeführt. Der offene Kampf der beiden gegen Will auf der einen sowie dem FBI auf der anderen Seite ist Schlüsselelement im Spannungsaufbau bei Coben. Ferner liebt er es, mit dem Leser zu spielen, indem er durch die Behauptung seines Protagonisten, gewisse Dinge seien ganz logisch, die kritische Hinterfragung des Lesers ausschaltet. Wer sich hier vom Autor manipulieren lässt, verpasst Schlüsselstellen.

...mit einem enttäuschenden amerikanischen 08/15-Finale

Auf der Kehrseite der Medaille sorgt dieser Kampf Gut gegen Böse aber auch für den Genickbruch bei diesem Roman. Sowohl die Agenten des FBI (egoistische Fahndungsgeier) als auch die Verbrecher (skrupellose Massenmörder) erfüllen alle gängigen Klischees. Dadurch verdirbt Coben den Anspruch auf Alleinstellungsmerkmale. Außer Will Klein hat er irgendwie keinen interessanten wie originellen Charakter anzubieten.

Und dann das Finale... 350 Seiten treibt er ganz solide die Spannungskurve in die Höhe, bringt dabei durchaus gute Ideen ein. Und dann kommt auf den letzten 90 Seiten irgendwie nichts Neues mehr. Alles schon mal da gewesen und in diversesten Hollywoodstreifen verwurstet worden. Macht den Eindruck von solidem Handwerk, Innovationskomponenten sind jedoch hier nicht mehr zu erkennen.

"Kein Lebenszeichen" ist ein sehr guter, begeisternder sowie fesselnder Psychothriller. Beifall verdient sich der Autor dabei in erster Linie für die Erarbeitung des Charakters seines Protagonisten. Die weithin spürbare Trauer geht teilweise unter die Haut. Schade, dass der sehr gute Gesamteindruck durch ein Standardfinale verdorben wird. Harlan Coben ist nicht weit davon entfernt, den Rang eines Spitzenautors zu erreichen... nur ungefähr 90 Seiten fehlten ihm hier.

Kein Lebenszeichen

Harlan Coben, Goldmann

Kein Lebenszeichen

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