Der Fluch der Isis

  • Kabel
  • Erschienen: Januar 2002
  • 5
  • Hamburg: Kabel, 2002, Seiten: 478, Übersetzt: Angelika Felenda
  • München; Zürich: Piper, 2004, Seiten: 477
  • München; Zürich: Piper, 2006, Seiten: 477
Der Fluch der Isis
Der Fluch der Isis
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Michael Drewniok
35°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2004

Kalter Mord in heißer Wüste

2.500 Jahre ist's jetzt her, dass der persische Herrscher Kambyses ein vieltausendköpfiges Heer in die ägyptische Wüste schickte, um das Orakel von Amun zu erobern. Dort erwarteten ihn die Götter, offenbar mächtiger als erwartet, denn ein urplötzlich losbrechender Sturm tötete alle Soldaten und Söldner und bedeckte sie und einen mitgeführten Schatz von unermesslichem Wert mit Sand.

Der gibt nunmehr Teile davon frei und sorgt für ein einiges Durcheinander. Im ägyptischen Luxor untersucht Inspektor Yusuf El-din Khalifa eine Reihe seltsamer Morde. Die Leichen werden im Nil gefunden, übel verstümmelt und offensichtlich gefoltert. Das letzte Opfer ist der zwielichtige Handwerker Abu Nayar, der nebenbei mit Antiken handelte, mit deren Herkunft er es nicht sonderlich genau nahm. Es heißt, er habe kürzlich ein Grab voller Kostbarkeiten in der Wüste entdeckt.

Böser Mann mit Draht nach oben

Leider haben sogar Khalifas gierigsten Spitzel Angst zu reden. Die Sayf al-Tha'r-Bewegung hat ihre blutige Hand im Spiel - eine strikt nationalistische, betonfundamentalistische Terroristenorganisation. Der charismatische, aber völlig skrupellose, weil von seinem "göttlichen Auftrag" überzeugte Sayf al Tha'r, zur Zeit im Sudan im Exil lebend, steht ihr vor. Er hat sich in den Kopf gesetzt, den Schatz des Kambyses zu heben und zu verkaufen, um mit dem Erlös Krieger und Waffen für seinen "heiligen Krieg" zu finanzieren.

Noch hat er seinen Schatz nicht gefunden. Der Zufall will es, dass eine junge Frau schneller ist. Tara Mullray arbeitet im fernen England im Reptilienhaus des Londoner Zoos. Der Kontakt zum Vater, dem berühmten Ägyptologen Professor Michael Mullray, ist nur noch lose; man versteht sich nicht. Nun hat Mullray die Tochter dringend nach Kairo eingeladen, wo er seit vielen Jahren lebt und arbeitet.

Die Schöne und diverse Biester

Tara reist an, aber sie findet den Vater nur noch tot - anscheinend fiel Mullray einem Herzschlag zum Opfer. In seinem Nachlass findet die Tochter ein merkwürdiges Hieroglyphen-Fragment, das den Weg zum Schatz des Kambyses weisen könnte. Das haben inzwischen die Schergen des Sayf al Tha'r ebenfalls herausgefunden. Zwar können Tara und ihr neuer Gefährte, der Archäologe Daniel Lacage, in letzter Sekunde diversen Anschlägen entgehen, aber die Fanatiker lassen sich nicht abschütteln...

Viel Wüstenstaub um nichts

Neue Besen kehren gut; manchmal wirbeln sie indessen vor allem Staub auf. Dieses Buch ist so ein Fall: Drei Jahre hat sein Verfasser dafür recherchiert, wenn man dem Klappentext Glauben schenken möchte. Wissen ist sichtlich nicht Macht, denn der fleißige Paul Sussman verpackt es in eine Story, die sich entweder sehr flott herunterlesen lässt oder die Lektüre erschwert, weil diese heftiges Kopfschütteln und lautes Stöhnen hervorruft.

Ägypten ist ein Land mit langer und großer Geschichte. Trotzdem kann man diese offenbar problemlos auf tierköpfige Götter, überlebensgroße Pharaonen & umhergeisternde Mumien herunterbrechen. Sussmans fügt dem historischen Zeichentrick die ägyptische Gegenwart zu. Er muss in den Nachrichten davon gehört haben, dass fundamentalistische Frömmlinge, die den Koran auf ihre kleinliche und kleinhirnige Weise missbrauchen, die verderbten "heidnischen" Ausländer mit Feuer und Schwert aus dem Land jagen wollen, das sie anschließend in einen "Gottesstaat" zu verwandeln gedenken.

Destillat aus 1001 Filmen

Flugs denkt er sich einen burnusbefrackten Buhmann aus, der dieses Ziel mit viel Geld realisieren möchte, das er sich durch den Höker mit Antiken beschaffen will. Fest hält der finstere Schurke die hilflosen ägyptischen Behörden im Würgegriff und kann nur durch eine wackere Englischfrau aufgehalten werden.

Nun gut, wir kennen diese Konstellation aus 1001 Hollywood-Filmen und verkneifen uns daher die Frage nach der Wahrscheinlichkeit solchen Gelingens. Fatalerweise schafft es Sussman jedoch nicht, sein Garn auch nur einigermaßen glaubhaft zu spinnen. Wir möchten ihm ja auf den Leim gehen und unterhalten werden. Es klappt halt einfach nicht. Zuviel buckelt er seinem schwindsüchtigen Plot auf, der darüber schlicht zu Boden geht. Oder liegt es daran, dass er ein wenig zu offensichtlich bei Kollegen klaut?

Gut abgekupfert ist halb verlötet

Damit beginnt er schon auf den ersten Seiten mit einem Flashback à la Clive Cussler ins 6. Jh. v. Chr. - aufwändig in Szene gesetzt, aber für die eigentliche Handlung ohne weitere Relevanz. Solche Episoden sind zahlreich; manchmal sind sie gut geschrieben, aber man überfliegt sie, ohne dabei den Faden zu verlieren.

Manchmal wird Sussman unverschämt. Bei einem nächtlichen Grabbesuch werden Tara und Daniel von einer riesigen Kobra attackiert. Seitenlang wird der lächerliche "Kampf" in der Gruft ausgewalzt, bis die Bestie erwartungsgemäß niedergerungen ist. Später legt der biedere Khalifa nonchalant ninjahafte Terroristen reihenweise um. Und als gar nichts mehr geht und das Böse triumphiert, bricht ein kolossaler Sandsturm los, der Hundertschaften killt und nur die beiden einzigen Gutmenschen verschont. "Kolportage" nennt man Geschichten wie den "Fluch der Isis" - anspruchslose, nur auf den Effekt zielende Unterhaltung ohne literarischen Wert. Das kann sehr reizvoll sein, wenn der Autor sein Handwerk versteht. Paul Sussman ist noch meilenweit von diesem Status entfernt.

Supermenschen aus der Retorte

Oh, wie haben wir sie satt, diese "Menschen wie du & ich", die in der Krise weit, weit über sich hinauswachsen! Jedenfalls fällt dieser Stoßseufzer, wenn wir Tara Mullray bei ihrem Sturmlauf für Gerechtigkeit & Freiheit durch Ägypten beobachten müssen. Sie flüchtet und verfolgt und findet zwischendurch immer noch Zeit genug für die Liebe & Mr. Right - eine Heldin nach dem Geschmack des größten gemeinsamen Leser/innen-Nenners, so wohl Sussmans Kalkül. Gleich mehrfach öffnet die oder zerreißt der Heldin die Bluse und enthüllt "Brüste, die blass im Mondlicht schimmern" und was derlei spätpubertären Frivolitäten mehr sind.

Wesentlich nervender ist allerdings Taras permanente Redlichkeit, die sie ihren Verfolgern um die Ohren zu schlagen pflegt. Man fragt sich, wann sie endlich begreift, dass dies wenig zweckvoll ist bei solchen Munkelmeuchlern. Die Klappe hält sie jedenfalls nicht.

Klischee as Klischee can

An Taras Seite: der propere Daniel, ein Franzose (oh-la-la, da weiß der Angelsachse gleich, was das bedeutet: Sex & ethische Wankelmütigkeit), der sich im Land auskennt, Hieroglyphen lesen und Motocross-Motorrad fahren kann, was im Verlauf der Handlung wichtig wird. Ansonsten bleibt er profilarm; muss er auch, denn sonst würde Sussmans große Finalenthüllung (die hier nicht verraten werden soll, obwohl es den Aufwand grundsätzlich nicht wert ist) völlig in Unglaubhaftigkeit versinken.

Dann gibt es noch den eifrigen Inspektor Khalifa. Der tritt politisch korrekt selbstredend als wahrer Heiliger auf, ist unbestechlich, berufserfahren, noch dem letzten Straßenbettler ein guter Kumpel, ein vorbildlicher Ehemann und Vater und was der Langweiligkeiten mehr sind. Darüber hinaus wird Khalifa von Sussman mit einem gar tragischen Familiendrama geschlagen, das wiederum zum finalen Höhepunkt für einen Leserschock sorgen soll, den jedoch der (und die) Dümmste schon hundert Seiten früher kennt.

Qualitätsiegel deutscher Bösewicht?

Die "Qualität" des Werkes lässt sich auch an der Figur des Caspar Dravic bemessen: Der ist riesengroß und entstellt, foltert und mordet voller Wonne mit seiner zugefeilten Maurerkelle und ist selbstverständlich ein Deutscher, sogar ein doppelt schlimmer: Sein Vater war beim DDR-Geheimdienst ein hohes Tier und vorher ein übler Nazi. Dravic ist in Wort und Tat so übertrieben finsterboldig, dass man über seine Eskapaden nur lachen kann, was nicht im Sinne des Verfassers liegen dürfte.

Sein Chef Sayf al Tha'r ist der übliche Rattenfänger, der dumme Phrasen von Menschenrecht und Gottesfurcht drischt und dem doch die (anscheinend durch die Sonne hirngeschädigten) "Gläubigen" in hündischer Ergebenheit am Rockzipfel hängen. Auf diese Figur konzentriert Sussman sein Bemühen, den religiösen Fanatismus im Nahen Osten zu "erklären", welcher der Welt heute so zu schaffen macht. Daran sind schon wesentlich klügere Köpfe gescheitert, und so wundert es nicht, dass hier wiederum nur pseudo-philosophische Faseleien den Leser langweilen.

Sonst wird Ägypten von treuherzigen Dieben, vergeistigten Altertumsforschern, spinnerten Fanatikern und zwielichtigen Ausländern bevölkert. Die spukende Mumie fehlt, aber wenigstens das dürfen wir dem Verfasser nicht zum Vorwurf machen: "Der Fluch der Isis" ist als Titel die zweifelhafte Schöpfung der deutschen Übersetzung. Von Isis keine Spur, und einen Fluch gibt es auch nicht; klingt aber gut genug, um mullbindensüchtige Leser zu locken ...

Ein ernüchterndes Fazit

Der ganze Aufwand ergibt nur eine angestrengt ambitionierte, tatsächlich anspruchslose und oft unbeholfene Mischung aus historischer Mystery und Polit-Thriller. Keine neuen Ideen, sondern die Kombination längst bekannter Elemente und ständige Klischees bestimmen die an unglaubhaften "Zufällen" allzu reiche, sprunghafte Handlung. Auch die Figuren wurden offenbar dem Hollywood-Kino entliehen. Kurz: Lektüre vor knatterbunter Exotik-Kulisse für einen schon halb vom Schlaf geprägten Feierabend.

Der Fluch der Isis

Paul Sussman, Kabel

Der Fluch der Isis

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