Das Erbe der Toten

  • Goldmann
  • Erschienen: April 2023
  • 2
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 1970

Alte Sünden klopfen hämisch an

Ex-Inspektor John Rebus ist nicht für den Ruhestand geschaffen. Außerdem sitzt ihm das Schicksal im Nacken. Rebus hat einer schottischen Kriminalpolizei gedient, die in der Vergangenheit erfolgsorientiert gesetzliche Vorordnungen eher als lose Anleitungen interpretierte. Diese Sicht ist nach einer Kette unerfreulicher Skandale nicht mehr statthaft, wie plötzlich züchtige Politiker sowie die wie üblich auf Krawall gebürsteten Medien verkünden.

Dem folgen Taten, die auch Rebus ins Zwielicht setzen. Vor allem seine Jahre im Polizeirevier Tynecastle bereiten ihm Kopfschmerzen. Dort ging es besonders locker zu, wobei sich zu den Verstößen gegen Dienstvorschriften auch Korruption und die lukrative ‚Zusammenarbeit‘ mit dem organisierten Verbrechen gesellten. Noch heute hält die „Crew“, wie sich die Kollegen von einst nennen, sowie dicht als auch zusammen.

Nun tanzt Francis Haggard aus der Reihe. Er wurde wegen häuslicher Gewalt angezeigt und macht dafür seinen Dienststress als krimineller Polizist verantwortlich. Darüber will er aussagen, was die „Crew“ erwartungsgemäß aufschreckt. Rebus soll mäßigend auf Haggard einwirken, doch wie üblich steckt er in weiteren Schwierigkeiten: Morris Gerald „Big Ger“ Cafferty, Gangsterboss im angeblichen Ruhestand und so etwas wie ein Freund, bittet ihn um einen Gefallen. Jack Oram hatte ihn einst betrogen und dann seine Familie im Stich gelassen, als er voller berechtigter Angst um sein Leben die Flucht ergriff. Cafferty will Oram angeblich verzeihen, was Rebus’ Neugier erregt: Was plant der unverbesserliche Schurke wirklich?

Wieder wird Rebus’ Freundschaft mit seinem ehemaligen Schützling Detective Inspector Siobhan Clarke auf eine harte Probe gestellt, zumal sich Malcolm Fox, selbsternannter Bewahrer der Polizeigerechtigkeit, in eine Affäre einmischt, die sich bald zu einem schwer durchschaubaren Dickicht aus alten und neuen Verbrechen entwickelt - Mord inklusive!

Zeiten bzw. Werte ändern sich

Er ist schon einige Jahre im Ruhestand, doch dies ist kein Zustand für John Rebus - und sei es nur deshalb, weil ihn eine Vergangenheit einholt, die er längst abgehakt hatte. Doch im 21. Jahrhundert gerät er in die Mühlen eines Wertewechsels, der ihm die Gegenwart nachträglich vergällt: Rebus ist das Relikt einer Epoche, als Polizeiarbeit nach Ermittlungserfolgen bewertet wurde. Dies mag man als Selbstverständlichkeit betrachten, aber die Methoden, die Rebus einsetzte, entsprachen nicht zwangsläufig dem, was heutzutage als Standard gilt.

Um einen Strolch, der aus Polizei-Sicht schuldig war, ins Gefängnis zu befördern, wurden ‚Beweise‘ getürkt oder ‚Geständnisse‘ erprügelt. Wer dennoch dank juristischen Beistands entkam, musste damit rechnen, von einer polizeilichen Vigilantentruppe heimgesucht zu werden, die mit Faust und Schlagring nachholte, was das Gesetz scheinbar versaubeutelt hatte. Hinzu kamen Korruption und eine Zusammenarbeit mit dem lokalen Verbrechen. Man betrachtete dies als Möglichkeit, die organisierte Kriminalität zu kontrollieren, indem man ein Teil von ihr wurde.

Heutzutage ist dies ein Schandfleck, der nachträglich ausradiert gehört. Dies ist die durchaus ehrliche Meinung von Malcolm Fox, der nach zwei Bänden einer offensichtlich nicht erfolgreichen Separat-Serie von Ian Rankin ins ungleich prominentere Rebus-Universum übernommen wurde. Hier sitzt er (nicht nur) dem Älteren als selbst ernanntes Gewissen im Genick, sondern plant seinen Karriereaufstieg, indem er die Vergangenheit aufrollt und einstige Vergehen medienwirksam aufdeckt.

‚Besser‘ wird es dadurch nicht

Mit der ihm eigenen Ironie schildert Rankin Fox als Streber, der zwar seinem Gewissen folgt, d. h. tatsächlich angewidert ist, dass Polizisten das Recht selbst definieren und in die Hand nehmen, gleichzeitig jedoch eifrig um die Aufmerksamkeit von Vorgesetzten und Medien buhlt, um auf diese Weise aufzusteigen: Dies ist der ‚Stil‘ einer Gegenwart, in der die Rückkehr des Ellenbogens über kollegialer Solidarität steht.

„Das Erbe der Toten“, der 24. (!) Band der Rebus-Serie, kreist um die Konsequenzen dieser ‚Neubewertung‘ aus dem Ruder gelaufener Polizei-‘Arbeit’. Zwar gibt es parallel dazu einen ‚richtigen‘ Kriminalfall, der jedoch bald Teil der eigentlichen Handlung wird. Die Ermittlungen gegen Angehörige einer Polizeiwache, die sich als ‚Gesetzeshüter‘ selbstständig gemacht und dabei die Grenzen überschritten haben, stehen im Mittelpunkt; dies auch deshalb, weil John Rebus einst mit der „Crew“ von Tynecastle gemeinsame Sache und sich dabei selbst die Hände schmutzig gemacht hat, obwohl er nie wie diese ‚Kollegen‘ systematisch abgesahnt oder das Gesetz gebrochen hat.

Allerdings nützt ihm das wenig, denn der auf seine Weise ähnlich skrupellose Fox setzt überall dort den Hebel an, wo er Schwäche = Angst vor einer nachträglicher Entlarvung wittert, die mit dem Verlust inzwischen erworbener Reputation und Vermögen einherginge. Rebus muss um den Verlust der Rente fürchten, aber ihm geht es auch um seinen Ruf. Den zu verteidigen ist eine Herausforderung, wie er selbst am besten weiß. Sein Primärproblem ist nicht Tynecastle, sondern die Nähe zum Gangsterboss „Big Ger“ Cafferty.

Der Polizist und der Gangster

Beide sind alt geworden und leiden unter gesundheitlichen Problemen. Dennoch klammern sie sich hartnäckig an das, was sie beherrschen und ihre Leben geprägt hat. Hinzu kommt eine seltsame Nähe. Rebus und Cafferty haben einander viele Jahre bekämpft und dabei widerwillig schätzen gelernt. Keineswegs sind sie Freunde, aber sie lieben es sich zu belauern, wobei die Tatsache, dass der alte Konflikt zerstörerisch wieder auflodern kann, sie zusätzlich zu faszinieren scheint. In diesem Roman kommt (nicht nur) dieser Ereignisstrang, der sich durch zahlreiche Rebus-Bände zog, zu einem überraschenden Ende, mit dem man angesichts eines Verhältnisses, das Rankin bewusst ambivalent gestaltete, nichtsdestotrotz rechnen musste.

Neben Rebus hat Rankin eine neue Generation potenzieller Hauptfiguren herangezogen. Siobhan Clarke könnte an Rebus’ Stelle treten. Rankin lässt seinen Helden altern, was den Tod zur Option werden lässt. Als wir Rebus dieses Mal verlassen, ist er in jeder Beziehung am Ende. Dieser Sturz und weniger der „Fall“ steht im Zentrum der Handlung. Daraus resultiert ein manchmal zähes Intrigenspiel, das sämtliche Beteiligten - den dieses Mal eindeutig unsympathisch dargestellten Fox eingeschlossen - schlecht bzw. allzu menschlich dastehen lässt: Wer im Dreck arbeitet, kann keine weiße Weste bewahren. Dies gilt für alle, die in diesem Roman auftreten, weshalb Rebus’ Kurzschlussreaktion, die einer von ihm mit der üblichen treffsicheren Energie betriebenen Separat-Ermittlung folgt, nur bedingt überrascht: Selbst der mit allen Wassern gewaschene Rebus hat seine Grenze - und die wurde dieses Mal ein wenig zu dreist überschritten.

Ungeachtet eines wieder aussagetoten deutschen Titels - wie viel schöner und auch treffender ist das Original: „Ein Herz voller Grabsteine“! - endet „Das Erbe der Toten“ mit einem echten Knalleffekt, der hier natürlich nicht verraten wird. Rankin sorgt für einen rigorosen Schnitt mit (vielleicht zu) lange gepflegten Rebus-Traditionen. Außerdem schürt der Autor eine Erwartungshaltung, die den Jubiläumsband Nr. 25 zur Pflichtlektüre für die Leser dieser Serie erheben wird!

Fazit

Im 24. Band der Serie zieht sich die Schlinge um John Rebus’ Hals zu: Die Welt ist noch schlechter als sonst, weshalb Gangster und Polizisten gleichermaßen ins Zwielicht geraten; zwar nicht der beste Rebus-Roman, weil ein wenig zerfahren und oft repetitiv, aber aufgrund seines konsequent düsteren Finales die Neugier auf eine Fortsetzung weckend.

Das Erbe der Toten

Ian Rankin, Goldmann

Das Erbe der Toten

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