Der böse Hirte

  • Blanvalet
  • Erschienen: März 2022
  • 2

- Ein Colter-Shaw-Thriller 2

- Übersetzung: Thomas Haufschild

- Originaltitel: "The Goodbye Man"

- Hardcover mit Schutzumschlag

- 512 Seiten

Der böse Hirte
Der böse Hirte
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2022

Am Schnittpunkt menschlicher Not und Dummheit

Colter Shaw sucht flüchtige Verbrecher, sieht sich aber nicht als Kopfgeldjäger, weil er die Festnahme letztlich gestellter Strolche der örtlichen Polizei überlässt. Außerdem hat er ein offenes Ohr für Verdächtige, die sich in einer Notlage befinden: Hier schlägt seine Autobiografie durch, denn Shaw ist der Sohn eines selbsternannten Streiters gegen jene Art gut vertuschter Verbrechen, die beispielsweise große Konzerne zur Steigerung ihrer Profite begehen.

Ashton Shaw wurde letztlich von seinen Gegnern umgebracht. Seither ist Colter ins Visier der Täter gerückt, denn der Vater hat enthüllende Aufzeichnungen hinterlassen, aber so gut versteckt, dass nicht nur die Verfolger/Mörder, sondern auch der Sohn sie bisher nicht finden konnten.

Aktuell unterbricht eine neue Fahndung die Suche. Im US-Staat Washington setzt Shaw sich auf die Fährte zweier Jugendlicher, die offenbar ein Hassverbrechen begangen haben. Shaw stellt das Duo, einer der jungen Männer springt dabei von einer Klippe. Dieser Selbstmord lässt Shaw Fragen stellen, die ihn in ein „Camp“ führen, das von der mysteriösen „Osiris-Stiftung“ geführt wird.

Shaw schleicht sich als ‚Sinnsuchender‘ dort ein - und gerät in eine Sekte, die vom charismatischen „Meister Eli“ angeführt wird. Dieser stützt sich nicht nur auf sein Charisma, sondern auch auf einen Kreis skrupelloser Söldner, die allzu neugierige Skeptiker notfalls verschwinden lassen. Ohne Verbindung zur Außenwelt, waffenlos und umgeben von verblendeten ‚Gläubigen‘ versucht Shaw der „Osiris-Stiftung“ das Handwerk zu legen …

Angst, Fanatismus und die böse Macht des Glaubens

Wer wie Jeffery Deaver jährlich mindestens zwei Romane veröffentlicht, muss vor allem über handwerkliches Geschick verfügen. Die Frage, ob diese Fähigkeit dem schwer fassbaren „Talent“ zuzurechnen ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Anzuerkennen ist auf jeden Fall Deavers Geschick, den Buchmarkt mit Werken zu beschicken, die eine rasante Handlung mit einem wahren Twist-Feuerwerk verknüpfen.

„Der böse Hirte“ ist ein perfektes Beispiel - im Positiven wie im Negativen. Vielleicht liegt es daran, dass Profi Deaver selbst den recht dürftigen Plot erkannte: Wie viele Thriller spielten bereits in einem isolierten Camp, das von selbsternannten Heilsbringern regiert bzw. terrorisiert wird? Selbst Deaver kann dem Thema nichts Neues (oder gar Originelles) hinzufügen.

Wohl deshalb ist er mehr als bemüht, das in einem Wirbel ‚überraschender‘ Wendungen untergehen zu lassen. Diese werden meist als „Cliffhanger“ inszeniert, mit denen Deaver die kurzen Kapitel ausklingen lässt. In der Regel setzt er sofort wieder mit der Handlung ein, ‚dreht‘ diese jedoch so, dass sich die zuvor aussichtslos bedrohliche Situation für Colter Shaw in Nichts auflöst, weil dieser längst von der Gefahr gewusst und Vorbereitungen getroffen hat. Darüber hinaus schreckt Deaver nicht vor faulen Tricks zurück: Eine Drohung entpuppt sich im folgenden Kapitel gern als simples Missverständnis.

Wie wird er die Schurken dieses Mal ausmanövrieren?

Dass „Der böse Hirte“ mit einer recht heißen Nadel gestrickt wurde, belegt auch eine fast einhundertseitige ‚Vorab-Handlung‘, die mit dem Hauptgeschehen nur marginal zu tun hat. Irgendwie muss Deaver seine Hauptfigur ins Camp der „Osiris-Stiftung“ bringen, wo dieser als Ein-Mann-Armee gegen eine Schar (nur scheinbar) gut organisierter Kapitalkrimineller antritt. Diese machen sich die Schwäche (und Dummheit) von Menschen zunutze, die in eine Notsituation geraten sind, aus der sie sich ohne Hilfe bzw. ‚Führung‘ nicht befreien zu können glauben.

„Meister Eli“ ist keine absurd übersteigerte Gestalt. Deaver orientiert sich an realen Vorbildern. Überhaupt nimmt er sich Zeit, um uns das Camp und die dort herrschenden Strukturen vor Augen zu führen. Einerseits rennt er damit bei denen, die um die Fragwürdigkeit solcher Einrichtungen wissen, offene Türen ein. Andererseits fasst er ein Phänomen plausibel zusammen.

Dies ist spannender als die eigentliche Handlung, die sich darauf beschränkt, dass Shaw sich ‚undercover‘ in die Sekte integriert, während er gleichzeitig nach entlarvenden Beweisen sucht, das FBI informieren will und sich Waffen bastelt, mit denen er später gut bewaffneten Kult-Schergen die Felle gerben wird. Immer wieder scheint man ihn zu entlarven, aber Deaver lässt ihn (s. o.) gerade noch davonkommen. Erst im Finale fallen die Masken, doch dann hat Shaw einige (nicht gerade überzeugend eingeführte, aber kampfstarke) Verbündete gefunden und kann es richtig krachen lassen. Dabei setzt er erfolgreich auf die (politisch gänzlich unkorrekte) Befriedigung seiner Leser, die ‚miterleben‘ dürfen, wie Dreckspack anders als im echten Leben erwischt und nicht nur direkt, sondern auch schmerzhaft für sein Lumpentum gestraft wird.

Da war doch noch etwas!

Für Irritation sorgt die Tatsache, dass die Primärstory lange vor dem Buchende endet sowie der Hauptschurke und sein böser Handlanger entkommen. Auch dies ist ein Trick, der Spannung fördern soll: Schon zuvor hat Deaver Zeitsprünge eingesetzt und offene Konflikte einfach übergangen, um die Lösung später ‚nachzureichen‘. Er überspannt diesen Bogen, als er in einem ausführlichen Epilog auf einen Storybogen umschwenkt, die er im ersten Band der Colter-Shaw-Serie eingeführt hat, während er gleichzeitig - und allzu beiläufig - den flüchtigen Strolchen doch das Handwerk legt.

Das Geheimnis um Shaws weltflüchtigen, dann übergeschnappten und schließlich umgebrachten Vaters wird ein wenig gelüftet, aber sogleich mit neuen Chiffren versehen, um für dramatisches Geschehen in weiteren Bänden der Serie zu sorgen. Deaver ist wie gesagt ein Profi und als solcher ohne schlechtes Gewissen, wenn es gilt sein Publikum spannend in die Irre zu führen.

Der dafür eingesetzte Mechanismus ist dieses Mal ein wenig zu deutlich sichtbar. Dem entspricht eine Figurenzeichnung, die primär leserlichen Erwartungen gerecht werden soll. Deaver setzt Klischees vergleichsweise geschickt ein. Dennoch folgen gerade die Schicksale der Sektenmitglieder gar zu sehr bekannten Vorgaben. Man fühlt nicht mit ihnen, wie Deaver es offensichtlich plant, sondern hält sie erst recht für Trottel, die einem nicht ansatzweise genialen Rattenfänger in die Falle getappt sind: Wie verzweifelt (oder eben dämlich) muss man sein, um einem Lügner und Phrasendrescher wie „Meister Eli“ in die Fänge zu geraten?

Fazit

Band 2 der Colter-Shaw-Serie bietet abermals eine durch Action geprägte Handlung, was den recht groben bzw. beliebigen Plot ausgleicht, der zusätzlich durch einen übergreifende Storybogen aufgeweicht wird: Weil von einem Autoren-Profi geschrieben, kann „Der böse Hirte“ dennoch unterhalten. Aber: Jeffery Deaver hat bessere Werke verfasst.

Der böse Hirte

Jeffery Deaver, Blanvalet

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