Das Geheimnis von Zimmer 622

  • Piper
  • Erschienen: März 2021
  • 8

- OT: L'Énigme de la Chambre 622

- aus dem Französischen von Michaela Messner und Amelie Thoma

- HC, 624 Seiten

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Julian Hübecker
84°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Mit viel Raffinesse geschrieben

Wer hat den Mann in Zimmer 622 ermordet? Joël Dicker nimmt die Fährte auf und entwirrt eine Tragödie, an der viele Menschen mit unterschiedlichen Motiven beteiligt sind. Alles nimmt seinen Anfang 15 Jahre zuvor, als Macaire Ebezner, Sohn eines Bankpräsidenten, eine schwerwiegende Entscheidung trifft …

„Er sucht sich immer die Netten, die sich gern ausbeuten lassen, die weich sind wie Lehm. Er benutzt sie, und dann schafft er sie sich wieder vom Hals.“

Der berühmte Schriftsteller Joël Dicker zieht sich ins Hotel Palace zurück, um ein wenig Ablenkung von seiner gescheiterten Beziehung und dem Verlust seines Verlegers und Freundes Bernard de Fallois zu bekommen. Dort fällt ihm auf, dass es kein Zimmer 622 gibt – auf Zimmer 621 folgt 621a. Natürlich packt ihn die Neugierde, doch die Mitarbeiter im Hotel machen erstmal dicht. Erst durch ein wenig Recherche findet er heraus, dass in dem Zimmer 622 ein Mord geschah, der bisher unaufgeklärt ist. Vor Dicker öffnet sich eine neue Geschichte, an deren Ende der Mord aufgelöst werden soll.

Sieben Tage vor dem Mord beginnt eine Kette von Ereignissen (die im Grunde aber bereits 15 Jahre zuvor ihren Anfang nahm), die sich schließlich zum Showdown entladen. Macaire Ebezner soll die Präsidentschaft der erfolgreichen Familienbank übernehmen – so zumindest verrät ein Insider einer Tageszeitung. Macaire ist natürlich hoch erfreut. Umso größer ist sein Schock darüber, dass sein Vater vor seinem Ableben verfügt hat, dass die Leitung der Bank nicht – wie üblich – an den jeweiligen ältesten Sohn übergeben werden soll, sondern neu gewählt werden wird. Denn 15 Jahre zuvor hat Macaire dem geheimnisvollen, stinkreichen Tarnogol aus noch unbekannten Gründen seine Bankanteile übergeben und der Bank so einen heftigen Schlag verpasst. Macaires Vater kam nie über diesen Verrat hinweg.

Nun versucht Macaire die Zügel wieder zurückzugewinnen, denn der neue Präsident soll am Wochenende im Hotel Palace verkündet werden – jenem Ort, an dem ein Mann im Zimmer 622 zu Tode kommen wird ...

Ambivalente Gefühle

Joël Dicker ist bekannt für seine zahlreichen Sprünge zwischen verschiedenen Szenarien und Zeiten, und auch hier spart er nicht damit. Das Faszinierende an diesem Buch ist jedoch, dass er sich selbst in die Geschichte mit eingebaut und so eine Geschichte in der Geschichte geschaffen hat. Dabei verrät er mehr über seine Person und über den Verlust seines Freundes Bernard de Fallois, lässt zudem Fiktion und Wirklichkeit geschickt verschmelzen. Das macht das Buch bis zum Ende sehr reizvoll.

Woher die ambivalenten Gefühle kommen, das ergibt sich aus den zahlreichen Protagonisten, die einer Tragikomödie entsprungen zu sein scheinen. So viele schlechte Charaktereigenschaften in einem Buch durfte ich noch nie lesen: Neid, Eifersucht, Missgunst, Überheblichkeit, Starrsinn – man könnte die Liste endlos weiterführen. Macaire als Dreh- und Angelpunkt ist rückgratlos und egozentrisch, seine Ambitionen lassen ihn rücksichtslos über andere hinweg gehen. Tarnogol als mysteriöser Strippenzieher scheint der Teufel in Person, der scheinbar auch über Leichen geht. Man fragt sich unweigerlich, was man mit diesen Charakteren anfangen und wie man sich mit ihnen anfreunden soll, denn annehmbare, angenehme Figuren gibt es in dem Buch nur wenige.

Doch allein die jeweils etwa 200 Seiten starken Kapitel „Vor dem Mord“, „Das Wochenende des Mordes“ und „4 Monate nach dem Mord“ zeigen schon, dass das Gesamtbild viel komplexer ist und jeder Protagonist seine Rolle zu spielen hat. Man muss jeden von ihnen hinnehmen und sich einfach mitziehen lassen. Dann offenbart sich beinahe schon ein Theaterstück, ein Drama, eine Komödie, ein Krimi – und so viel mehr. Mit viel Raffinesse und Gespür für Intrigen navigiert Joël Dicker seine Leser durch ein Verwirrspiel, das irgendwann einfach nur noch Spaß macht.

Fazit

Mit seinen schrägen Protagonisten, den vielen Sequenzen und Dickers eigenem Auftreten ist dieses Buch nicht einfach. Doch hat man sich erst darauf eingelassen, offenbart sich eine großartige Geschichte, die zu einem Finale führt, das man sich geradezu herbeisehnt.

Das Geheimnis von Zimmer 622

Joël Dicker, Piper

Das Geheimnis von Zimmer 622

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