Im Namen der Lüge

  • Heyne
  • Erschienen: März 2020
  • 5
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Andreas Kurth
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2020

Der braune Sumpf ist unendlich tief und schmutzig

Es ist schon erstaunlich, wie manche Themen-Komplexe lange Zeit nachwirken und immer noch für guten Thriller-Stoff sorgen. In den ostdeutschen Bundesländern ist das Ministerium für Staatssicherheit immer für alte Seilschaften und von Stasi-Verbrechen traumatisierte Menschen gut. In der alten Bundesrepublik nimmt diese Rolle die Rote Armee Fraktion ein. Ehemalige RAF-Mitglieder geistern noch durch etliche Spannungsromane, so wie Brigitte Veih, die unbeugsame Mutter des LKA-Ermittlers Vincent Che Veih. In seinem überaus lesenswerten neuen Thriller hat Horst Eckert das personelle Spektrum erweitert, jetzt betreten drei sogenannte RAF-Rentner die Szenerie.      Die realen Überfälle von „RAF-Rentnern“ auf Geldtransporte in Norddeutschland haben dem Autor nach eigener Aussage einen naheliegenden Anknüpfungspunkt geboten.

Und so beginnt das Buch eben mit dem Überfall der drei Ex-Terroristen auf einen Geldtransporter. Im zweiten Kapitel geht es direkt in die rechte Szene, die Polizei wird zu einem Einsatz in die Freie Republik Hellershof” in Düsseldorf gerufen, ein Mann wurde getötet. Was wie ein Eifersuchtsdrama aussieht, entpuppt sich viel später als etwas ganz anderes.

Anspruchsvoller Plot mit reichlich Personal

Horst Eckert ist für seine verwinkelten, ich würde eher sagen anspruchsvollen Plots bekannt. Auch im neuen Thriller geht es richtig rund. Ein angebliches Strategiepapier zur Bildung einer neuen RAF spaltet die links-autonome Szene, Vincent Veih und sein Team werden in die Mordermittlungen zum Hellerhof eingeschaltet. Derweil muss die Verfassungsschützerin Melia Khalid zum Rapport bei ihrem Chef Dr. Walter Jacobs antreten, dem passt das Gerede über die armen RAF-Rentner gar nicht.

Unruhe gibt es aber nicht nur in der linken Szene. Verschiedene rechte Organisationen konkurrieren um den braunen Nachwuchs. Kameradschaften, ein Zusammenschluss namens Westkreuz - und alle irgendwie mit Personen aus dem Sicherheitsapparat im weiteren Sinne verbandelt.

Horst Eckert hat hier ein reichhaltiges Personaltableau aufgestellt, eine Liste der wichtigsten Personen wäre hilfreich gewesen. Der Autor zeigt mal wieder, dass er so einiges in der Trickkiste hat. So lässt er die RAF-Rentner aus Norddeutschland an den Niederrhein umziehen. Da kennt Eckert sich besser aus, und die drei sind mitten im Geschehen des Romans.

“Ich schwör’s, gegen Westkreuz ist die Kameradschaft ein Kindergarten. Du kriegst ‘ne echte Ausbildung. Wie man sich verteidigt oder ein Haus voller Zecken stürmt. Schulung in Rhetorik und Staatskunde, das wär doch was für dich. Und sobald in Deutschland aufgeräumt wird, winkt dir ein guter Posten. Die niedrigen Mitgliedsnummern kommen zuerst dran, also beeil dich.”

Es ist schon eine sehr ausgeklügelte Geschichte, die hier erzählt wird. Der Vater von Melia Khalid ist ein führendes Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion, und ein persönlicher Freund des Ministerpräsidenten, der um seine Wiederwahl kämpft. Und irgendwie sind da lauter Drähte, die in die rechtsradikale Szene führen.

Ein neuer Tag wird in dem Roman übrigens immer mit fiktiven Schlagzeilen aus verschiedenen Medien eingeleitet - man merkt also schon, dass Horst Eckert viele Jahre als Journalist gearbeitet hat.. Dadurch wird der Takt des neuen Tages schon gleich deutlich vorgeprägt. Reichlich Verwirrung stiftet der Autor mit einem zweiten Mord - nach der Aktion im Hellerhof - und den Reaktionen darauf. Bei der Lektüre habe ich gemerkt, welch großen Spaß Horst Eckert am Legen falscher Fährten hat.

Nette Anekdote am Rande: In diesem Buch schreiben sich die Protagonisten noch SMS-Nachrichten. Offenbar ist Whatsapp in Teilen von Düsseldorf noch nicht angekommen, oder nicht so en vogue. Das Buch entwickelt eine unglaubliche Spannung. Als es dann sogar hinaus ins Bergische Land zu einem Schulungszentrum der Organisation Westkreuz geht, fährt Horst Eckert so richtig auf.

“Vor allem an Wochenenden trafen sich hier gleich gesinnte Soldaten, Reservisten und Beamte aller möglichen Polizeibehörden und Geheimdienste. Eingeweihte Funktionäre rechter Parteien und Splittergruppen, Abgesandte diverser Kameradschaften und Bürgerwehren, Heimatschutz, Weiße Wölfe, Arische Brüder, Blood and Honour, Burschenschaftler und Old-School-Hooligans. … Milizenführer aus ganz Deutschland tagten hier regelmäßig. Westkreuz besaß Ableger in allen Bundesländern: Nord-, Süd- und Ostkreuz. Zu den befreundeten Organisationen zählten Combat 18 aus Dortmund und Kassel, Nordic 12 aus Bremen, die Aryans aus Sachsen-Anhalt sowie die Brigade 8 aus der Schweiz. Neue Division Brandenburg und Uniter gingen ebenfalls ein und aus. Man schmiedete Pläne für den Tag X.”

Wie so oft wird an dieser Stelle bei manchem Leser die Frage nach dem Realitätsgehalt der Geschichte aufkommen. Im Interview mit der Krimi-Couch sagt Horst Eckert dazu, eine rechtsradikale Verschwörung in den deutschen Sicherheitskräften gebe es seit Jahren, und das errege auch immer wieder Aufsehen. Als Beispiel nennt er das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, wo es aktuell eine eingehende Untersuchung geben soll. Ich halte die geschilderten Verbindungen zwischen Polizei, Politik, Verfassungsschutz und rechter Szene leider für höchst realistisch - der Autor hat mit seinen bisherigen Bücher oft genug gezeigt, wie nahe er zuweilen an der Realität ist.

Erfrischend sind die unterschiedlichen Perspektiven. Einmal die gewohnt von Vincent Che Veih, und dann die neue, gewöhnungsbedürftige von Melia Khalid. Der Leser weiss im Grunde ziemlich schnell, wohin die Richtung geht. Aber angesichts der vielen Wendungen und falschen Fährten wird dadurch die Spannung kaum abgeschwächt.

Fazit:

Was für ein grandioses Buch. Aber ich muss mich ehrlicherweise outen. Zunächst liebe ich Polit-Thriller, das schlägt sich natürlich in meiner Bewertung nieder. Dann schätze ich den Kollegen Horst Eckert - nicht nur, weil ich auch Politikwissenschaftler und Journalist bin. Er hat einfach einen Blick für aktuelle politische Fragen, das hat er in seinen bisherigen Büchern schon oft genug gezeigt. Und dann setzt er das in einen spannenden und sehr ausgeklügelten Plot um. Auf dem Buchrücken wird Stefan Aust zitiert: “Wenn sich Politik, Geheimdienst und Rechtsextremismus durchmischen, wird es gefährlich. Eckert trifft das präzise und erzeugt Gänsehaut.” Da kann ich dem Kollegen Aust nur zustimmen, und ergänzend hinzufügen: Es ist erschreckend, wie realitätsnah die geschilderten Ereignisse wirken. Dieses rasante Buch legt man nach den ersten Seiten jedenfalls nicht mehr aus der Hand.

Im Namen der Lüge

Horst Eckert, Heyne

Im Namen der Lüge

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