Todeslügen

  • HarperCollins
  • Erschienen: August 2019
  • 1
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Almut Oetjen
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2019

Alter Fall und neue Probleme

Olivia Kiernans Serienfigur Detective Chief Superintendent Frankie Sheehan stammt aus dem Küstenort Clontarf in Irland und hatte ihren ersten Auftritt in „Too Close To Breathe“ („Zu nah“). Sie ist Leiterin einer Sondereinheit im Bureau for Serious Crime in Dublin.

Im zweiten Roman, „The Killer In Me“, bekommt sie es mit zwei Fällen zu tun. Seán Hennessy, der nach siebzehn Jahren wegen Mordes an seinen Eltern und versuchten Mordes an seiner Schwester aus dem Gefängnis entlassen wird, bittet sie um Hilfe in einem geplanten Wiederaufnahmeverfahren. Seine Anwältin ist Tanya West, Frankies Schwägerin und Mitarbeiterin in einer Organisation, die versucht, Justizirrtümer offenzulegen. Seán behauptet, unschuldig zu sein. Da er der Hauptverdächtige war, konzentrierten sich die Ermittlungen allein auf ihn. Er hatte zur Tatzeit ein Alibi, das unter den Tisch fiel. In den nächsten Tagen soll eine Fernsehdokumentation über ihn gedreht und zeitnah ausgestrahlt werden.

Aktueller Fall ist ein Doppelmord. Während der Unterredung Frankies mit Tanya und Seán werden in einer Kirche in Clontarf eine halbnackte Frau und ein Mann im Priestergewand tot aufgefunden.

Alleinlebende Polizistin ohne Affären

Olivia Kiernans Protagonistin ist unabhängig, vor allem hat sie keinen Mann und keine Affären. Sie weist eine enge Beziehung zu Tanya auf, die sie liebt, obgleich Tanya ihr gelegentlich das Leben schwer macht. Wirklichen Druck erfährt sie nur seitens ihrer Vorgesetzten, der neuen Commissioner Donna Hegarty. Die ehemalige Bankerin ist allein an Ergebnissen interessiert und in der Grundstimmung feindselig, weshalb sie den Assistant Commissioner und Frankie als Freunde bezeichnet. Frankies einziger Freund ist ihr Kollege Barry Harwood, genannt Baz. Baz steht für den Teil des irischen Mittelstands, der mit den Folgen des Crashs von 2008 einigermaßen zurechtkommt. Er blieb von der Arbeitslosigkeit verschont. Aber das Wohnungsproblem nach der Immobilienblase zwingt ihn zu einem Arrangement, das ihm nicht sonderlich gefällt. Er lebt in Wohngemeinschaft mit einer Französin, die ihn in den Wahnsinn treibt. Die Frau, die in Dublin als Französischlehrerin arbeitet, hat den gemeinsamen Wohnraum parzelliert in dein und mein, bis hin zum Kühlschrank. Sie führt gelegentlich Neuerungen ein, zuletzt einen Putzplan und eine Haushaltskasse für Dinge des täglichen Lebens, wie Spülmittel. Baz hat nicht immer Lust, sich auf das Einhalten von unsichtbaren Demarkationslinien und Haushaltsfragen, die ihn nicht interessieren, zu konzentrieren. Deshalb besucht er gerne Frankie, bringt Essen aus einem chinesischen Imbiss und eine Flasche Weißwein mit. Sie diskutieren ihren Fall, dann übernachtet er bei ihr auf dem Sofa. Sie haben nichts miteinander, weshalb die berufliche Beziehung und ihre Freundschaft unbelastet sind.

Konsequente Erzählperspektive der Ermittlerin

Alleinige Erzählperspektive ist die Frankies, die Ereignisse werden in der Gegenwartsform vermittelt. Frankie scheint sich direkt an die Leserinnen zu wenden. Sie teilt nicht nur ihre Geschichte mit ihnen, sondern stellt ihnen auch ihre Detectives – mit kurzen Charakterisierungen aus ihrer persönlichen Sicht - vor.

Steve Garvin, den Frankie als „fünfte Dimension“ bezeichnet, ist Spezialist im Umgang mit digitalen Technologien, seiner großen Leidenschaft. Helen Flood ist stolz, scharfsinnig, hartnäckig und leidet unter Anerkennungssucht. Paul Collins lebt mit einer Katze zusammen. Ryan Toomey ist fitnessstudiogestählt, trägt ständig einen Anzug, der frisch gebügelt aussieht, und hat Führungsambitionen. Die Beschreibung Toomeys spiegelt sich auf weniger freundliche Weise in der manch anderen Mannes. Gleich mehrere Männer lassen gerne ihre Muskeln spielen und haben Führungsambitionen – meist ihrer oder anderen Frauen gegenüber.

Wir begleiten Frankie, die gelegentlich, immer aber außerhalb ihrer Dienststelle, Objekt von Sexismus ist, durch den Fall bis zu seiner Lösung, sind immer auf ihrem Stand der Ermittlungen. Dies schließt manche Irritationen ein.

Kiernans Roman zeichnet sich durch eine intelligente Handlungsführung aus. Es gibt viele Hinweise, auch irreführende, aber die Geschichte ist mehr als die Suche nach einem Mörder. Die Figuren sind interessanter als der Fall, ebenso die verhandelten Themen: vor allem die Familie und häusliche Gewalt. Vergeblich sucht man nach Cliffhangern oder aufregenden Wendungen.

Der Originaltitel, „The Killer In Me“, lehnt sich an Jim Thompsons „The Killer Inside Me“ an. Beide Romane gehen der Frage nach, ob jeder Mensch fähig ist, zu morden, und was ihn schlussendlich zum Mörder werden lässt. Aber auch der deutsche Titel, „Todeslügen“, ist gut gewählt, weil es um Lebenslügen geht, die hier zum Tod führen. Frankie Sheehan erzählt nicht nur die Geschichte, sie reflektiert von Anfang an das Verhalten anderer, ihr eigenes Verhalten und Denken, wobei ihr eine Ausbildung als Profilerin hilfreich ist. Frankies Denken kreist häufig um Fragen nach den Begründungen für nicht nur das Verhalten im Tatzusammenhang, sondern auch in alltäglichen Kontexten, die einen Menschen an die Schwelle zum Verbrechen führen können. Moralisches Handeln ist ein weiteres wichtiges Thema in ihrem Denken. Frankie muss in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen überprüfen, die moralisch fragwürdig gewesen sein könnten. Sie setzt sich dabei mit der Frage auseinander, ob man durch solche Entscheidungen ein schlechter Mensch werden kann. Inwieweit Entscheidungen mitbestimmt werden durch äußere Bedingungen und welche Konsequenzen sich daraus für die persönliche Verantwortlichkeit ergeben. Das Warum bekommt in der Fallbearbeitung eine größere Bedeutung als das Wer.

Fazit:

In ihrem zweiten Roman, „Todeslügen“, verbindet Olivia Kiernan das Verbrechen und die irische Gegenwartsgesellschaft zu einem „Whydunnit“, den sie diszipliniert und gut strukturiert in Szene setzt.

Todeslügen

Olivia Kiernan, HarperCollins

Todeslügen

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